Wladyslaw BARTOSZEWSKI: Es lohnt sich, anständig zu sein#
Wladyslaw BARTOSZEWSKI: Es lohnt sich, anständig zu sein / Meine Erinnerungen. Mit der Rede vom 8. Mai, Herder, 1995 / Rezension von Guenther Johann
BARTOSZEWSKI, Wladyslaw: „Es lohnt sich anständig zu sein. Meine Erinnerungen. Mit der Rede zum 8.Mai“, Freiburg 1995
Ein großartiger Mensch, der in diesem Buch seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben hatte. Dabei zeigt er sich auch als ausgezeichneter Schriftsteller. Ich durfte ihn mehrmals treffen und konnte so selbst erleben, welches Charisma von diesem Menschen ausging. Vor allem aber ist er ein sehr verzeihender Mensch. Mehrmals war er eingesperrt – unter den Nationalsozialisten, den Russen und der polnischen Regierung. Acht Jahre seines Lebens verbrachte er in Kerkern. Er war Häftling in Auschwitz, obwohl er kein Jude war, diesen aber geholfen hatte. „Weil ich eine große Nase habe, wurde auch ich für einen Juden gehalten.“ (Seite 30) „In Auschwitz“, so schreibt er, „wurden wir erniedrigt … Am 22. September 1940 kam Lagerkommandant Fritsch und sagte „Ja, seht ihr den Kamin da drüben, seht ihr dort drüben, dort ist das Krematorium. Alles zum Krematorium, 3000 Grad Hitze.“ (Seite 42) Bartoszewski hat die ersten Menschen gesehen, die zum Verbrennen gebracht wurden. Zu Weihnachten wurde für die Häftlinge ein Tannenbaum aufgestellt, der mit elektrischen Kerzen beleuchtet war. Darunter legte man nicht Geschenke, sondern Lagerleichen.
Im Untergrund hat er gekämpft und damit sein Leben riskiert. Er sieht einen Grund in der Judenverfolgung in den Ursprüngen der katholischen Religion. „Die Juden haben unseren Jesus ermordet.“ (Seite 32)
Und trotz all dieser Erlebnisse war er nicht nachtragend und versuchte nicht voreingenommen zu sein. Bartoszewski ist nicht verbittert und er sann nicht nach Rache, „ganz im Gegenteil. Ich möchte junge Menschen in allen Ländern Europas und der Welt das ersparen, was ich erleben musste.“ (Seite 68) Er kann dies, weil er zwischen System und Mensch unterscheidet. „Ich halte die einzelnen Menschen nicht für schuldig, auch nicht meine Vernehmungsoffiziere. Auch nicht die, die mich unter diesem System verurteilt haben. Ich unterscheide zwischen System und Mensch. In dem Sinn suche ich nicht die Rache, auch nicht die prinzipielle Abrechnung. Ich suche die Abrechnung von oben, nicht von unten her. Nicht von denen, die die Befehle angenommen haben, sondern von denen, die sie befohlen haben.“ (Seite 110)
Sehr persönlich werden weltpolitische Ereignisse erzählt, wie etwa die Kriegserklärung Englands und Frankreichs an Deutschland. „Es war etwa 12,30 Uhr, der Priester predigte. Plötzlich kam ein Bote mit einem Zettel, und der Priester sagte „Ich unterbreche jetzt meine Predigt, denn ich muss eine gute Nachricht verlesen. Wir sind nicht allein, Großbritannien ist in den Krieg eingetreten für unser Land.“ Er stimmte das „Te Deum laudamus“ an. Alle Menschen in der Kirche weinten.“ (Seite 27) Als Sanitäter erlebte er den Krieg vor seiner Haustür. „Aber die Brandbomben fielen auf den Rasen und ich sah, wie die Menschen, Frauen, Männer, Junge, Alte, Kinder, auf diesem riesigen Vorplatz wie Fackeln verbrannten, schreiend und weinend, andere ohnmächtig still. Brandbomben wie Lichter am Weihnachtsbaum. Lebende Menschen, lebende Fackeln, bei lebendigem Leib verbrannt.“ (Seite 29)
Aussagen über die Situation Warschaus im Zweiten Weltkrieg erinnern an die heutige Situation in der Ukraine. Auf Vermittlung Heinrich Bölls kam er 1965 erstmals ins Ausland und nach Deutschland wo er sich für ein friedliches Zusammenleben der beiden Völker Deutschland und Polen einsetzte. „Es kann keine allgemeine Rache geben. Ein allgemeines Gefühl der Rache bringt dem Rächer noch größeren Schaden als dem Opfer, weil er in seinem Rachegefühl nicht mehr zu sich selbst zurückfindet.“ (Seite 99)
Bartoszewski ist ein wichtiger Zeitzeuge und in diesem Buch hält er das Erlebte für die nachkommenden Generationen fest. „Ich habe dieses Land nicht gewählt. Ich habe Auschwitz nicht ausgesucht. Auch habe ich in Polen den Einmarsch der Russen nicht begeistert begrüßt. Ich hätte bei uns lieber die Amerikaner und die Engländer gesehen. Polen wäre mir als neutrales Land lieber. Mindestens so neutral wie Finnland, eher noch wie Österreich. … Ich lebe in einem Land, wo ich zu einer kleinen Minderheit gehöre. Nicht wegen meiner Weltanschauung, meiner Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, ganz im Gegenteil. Sondern aufgrund der Erfahrung. Zwei Drittel der Menschen bei uns sind nach dem Zweiten Weltkrieg geboren und erzogen worden. Sie haben diese Erfahrungen nicht.“ (Seite 106) Als Bartoszewski 2015 starb, ging ein wichtiger Zeitzeuge verloren. In diesem Buch bleibt aber sein Gedankengut erhalten.
In der Ausgabe aus dem Jahr 1995 ist am Ende noch eine Rede Bartoszewski vor dem deutschen Bundestag und Bundesrat vom 28. April 1995 abgedruckt. Darin geht Bartoszewski in die deutsch-polnische Beziehung ein. Er verweist darin, dass etwa 100.000 Polen als Soldaten in den Armeen der Alliierten des Zweiten Weltkriegs gekämpft haben. Auch das Verhältnis der Nationalsozialisten zu den Juden und Polen sprach er offen an: „Die Hitler-Okkupation sprach den Juden das Recht auf Leben ab. Den Polen sprach er das Recht ab, Mensch zu sein und behandelte sie als „Untermenschen“, für die es keinen Platz in der gesamteuropäischen Kultur gab. Das stalinistische Nachkriegssystem verabreichte den Polen – ähnlich wie den Deutschen in der DDR – eine „antinationalistische“ Therapie…“ (Seite 123) Unermüdlich setzte sich Bartoszewski für eine friedliche und freundschaftliche Kooperation der beiden Länder ein.