Manfred Nagl: Gotik und Informatik#
Manfred Nagl: Gotik und Informatik / Intelligenter Entwurf damals und heute, Springer Vieweg, 2019 / Rezension von Hermann Maurer
Auf den ersten Blick verblüfft ein Buch mit dem Titel „Gotik und Informatik“, noch dazu verfasst von einem der bekanntesten Informatikern in Deutschland. Aber schon ein kurzes Schmökern erklärt die Situation (ich zitiere im Folgenden ungeniert Stellen aus dem Buch mit kleinen Änderungen.) Es ist kein Zufall, dass der Begriff Architektur beim Bau von Gebäuden und Software verwendet wird. Die Verbindung mit der Gotik (im Buch beschränkt in erster Linie auf die Struktur großer Kirchen und Kathedralen) ergibt sich über intelligente Entwurfsprinzipien, die über das „immer wieder das Gleiche tun“ hinausgehen. Auch in der Gotik (die übrigens nicht aus Deutschland sondern aus Frankreich stammt, und die es nur ein Europa gibt, wie der Autor betont) sind z.B. Elemente der Ähnlichkeit, der Wiederverwendbarkeit, der Klassen, ein Durchdringen des Entwurfsprozesses und die Parametrisierung eines intelligenten Entwurfs in der gotischen Architektur ganz ähnlich wie in der Softwarearchitektur zu finden. Durch diese an vielen Stellen hervorscheinenden Ähnlichkeiten zunächst ja doch ganz verschiedener Bereiche passt das Buch so gut in die relative neue Springer Reihe Die blaue Stunde der Informatik (http://www.springer.com/series/1585) in der bisher das gegenständliche Buch das zweite der drei bisher erschienen ist, weitere sinn in Planung. Die blaue Stunde – die Zeit am Morgen zwischen Nacht und Tag, die Zeit am Abend ehe die Nacht anbricht. Wenn alles möglich scheint, die Gedanken schweifen, wenn Zeit für anregende Gespräche ist und Neugier auf Zukünftiges wächst, auf alles, was der nächste Tag bringt. Genau hier setzt diese Buchreihe rund um Themen der Informatik an: Was war, was ist, was wird sein, was könnte sein?
Von lesenswerten Biographien über historische Betrachtungen bis hin zu aktuellen Themen umfasst diese Buchreihe alle Perspektiven der Informatik – und geht noch darüber hinaus. Mal sachlich, mal nachdenklich und mal mit einem Augenzwinkern lädt die Reihe zum Weiter- und Querdenken ein. Für alle, die die bunte Welt der Technik entdecken möchten. Zurück aber zum Buch selbst. Es behandelt viele der wichtigsten gotischen Kathedralen Europas im Detail, mit Grundriss, architektonischen Entwürfen und Bildern. Es ist ein Vergnügen, Kathedralen, die man schon besucht hat einmal detailziert und systematisch zu verstehen… wofür man weder ein Spezialist der Gotik noch der Informatik sein muss. Und es geschieht vermutlich nicht nur dem Rezensenten, dass man sich eine Liste jener Kathedralen die man noch oder noch einmal mit anderen Augen besuchen wird. Ein ungewöhnliches, schönes aber trotz aller Details auch durchaus „aufregend“ zu lesendes Buch, mit vielen Überraschungen. Etwa, wieviel Unterschied „geschlossene „ und „offene Türme machen“, dass die Bauzeiten der gotischen Kathedralen typisch weite über hundert Jahre betrug, dass oft frühere Kathedralen durch einen gotischen Teil der später hinzugefügt wurde enorm belebt wurden (wie z. B. das Münster von York, Ab. 149, es so deutlich zeigt und wie überwältigend hoch (oder auch voluminös) die größten gotischen Kathedralen sind und frühere und spätere Kathedralen durchaus in den Schatten stellen. Ein schönes Buch, eine interessante Reihe. PS: Dass die Produktion eines Buches mit so vielen oft mehrfärbigen Abbildungen teuer ist, beschreitet man in der Blauen Reihe erstmals einen Weg, der dem Rezensenten neu ist. Es werden einige wenige Seiten als Werbeseiten (die sich gut direkt oder durch Wortspiele in die Umgebung einbauen lassen) eingefügt, ohne dass die störend wirkt und erreicht damit für das wunderbar massiv bebilderte mit über 300 Seiten z.B. als originelles Geschenk verwendbare Buch einen Preis unter 30 Euro! Man kann dem Autor nur zu seinem Werk gratulieren, aber auch Springer, einem Verlag, der auf immer neue Ideen ansprechbar ist.