Silke HASSLER, Peter TURRINI: Jedem das Seine#
Silke HASSLER, Peter TURRINI: Jedem das Seine / Ein Volksstück, HAYMON, 2016 / Rezension von Guenther Johann
HASSLER, Silke, TURRINI, Peter: „Jedem das Seine. Ein Volksstück“, Innsbruck Wien 2016
In den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 wurden Gefangene aus verschiedenen Lagern in Richtung Westen getrieben; weg von den anrückenden sowjetischen Militärs. Sie gingen mit der Bezeichnung „Todesmärsche“ in die Geschichte ein. Die beiden Autoren beschäftigte dieses Thema schon länger. Vor allem, weil „diese Greueltaten an Juden geschahen direkt vor den Augen der Menschen und nicht in Konzentrationslagern, von denen angeblich niemand etwas gewusst hat.“ (Seite 102) Sie wählten für die Umsetzung dieses Themas eine Tragikomödie, in der sie die Zuschauer und Leser zuerst zum Lachen bringen, um sie dann am Ende mit den tatsächlichen Schrecknissen zu konfrontieren. Das Stück besteht – so Peter Turrini – aus einer Mischung von Erfundenem und Vorgefundenem. Manche Personen gab es wirklich; andere wurden dazu gedichtet.
Das Stück spielt in der Scheune eines Bauern, in der eine Gruppe jüdischer Häftlinge gefangen gehalten wird. Einer von ihnen ist Schauspieler. Er will die triste Stimmung, der zum Tode verurteilten heben und schlägt vor die Operette „Wiener Blut“ aufzuführen. Für die erschöpften und ausgehungerten Menschen ein schier unvorstellbares Unterfangen. Dann tritt eine Magd des Bauernhofs und die Bäuerin auf. Sie bringen den Häftlingen zu essen und beteiligen sich am Einstudieren der Operette. Ein altes Klavier wird hervorgeholt, auf dem ein alter Häftling spielt. Ein Geiger ist unter den Gefangenen und die Magd bringt ihre Gitarre, an der einige Saiten fehlen. Auch die Bäuerin beteiligt sich. Neben einem Suppentopf bringt sie ihre Zither. Der Bauer ist als überzeugter Nationalsozialist beim Volkssturm engagiert. Für ihn ist - als er in den Stadl kommt – die Situation eine Katastrophe. Er ist politisch für die Sache verantwortlich und sieht auch das Risiko, das er und seine Frau eingehen. Heftig opponiert er gegen diese Operettenaufführung. Letztlich überzeugt ihn die Ehefrau und er holt seine Ziehharmonika und spielt mit. Als der Dorfgendarm in den Stadl kommt verteidigt der Bauer die Situation. Es sei sein privater Stadl und da könne er machen, was er wolle. Ein Bub kommt und schreit, dass Hitler gestorben sei. Das bedeute doch, dass der Krieg aus sei. Die Operette wird auszugsweise aufgeführt. Das Stück endet aber anders:
„Auf der Rückseite der Bühne erscheint folgender Text: In der Nacht auf den 2. Mai 1945 wurde der Stadel von betrunkenen Nazioffizieren und einigen Dorfbewohnern angezündet. Alle jüdischen Häftlinge sind verbrannt, keiner von ihnen hat überlebt.“ (Seite 67) Silke Hasler argumentiert diesen Schluss so: „Für uns ist der Schluss ganz wichtig, weil er die Realität zeigt, nicht, was wir gerne hätten, sondern was tatsächlich vorgefallen ist.“ (Seite 104) Mit der Magd und der Bäuerin bleibt aber auch ein positiver Aspekt im Raum stehen: „Es gibt Menschen, die helfen, und es gibt Menschen, die sich für das Schicksal anderer nicht interessieren.“ (Turrini, Seite 110)
Das Stück wurde von zwei Personen – Hassler und Turrini – geschrieben. Sicher kein einfaches Unterfangen. Turrini sagte dazu „Wir streiten auf Augenhöhe. Anders geht es gar nicht, sonst nimmt man die Argumente des anderen nicht ernst.“ (Seite 105) Die Beiden haben zwar schon lange zusammengearbeitet, aber jeder für sich geschrieben und vom Partner die Anregungen angenommen (oder auch nicht). In diesem Fall musste es aber so sein, dass beide mit einer Formulierung zufrieden waren. Das brachte sicherlich noch eine weitere Qualitätssteigerung; obwohl beide schon auf hohem Niveau schreiben.