Gudrun M. König: Konsumkultur#
Gudrun M. König: Konsumkultur. Inszenierte Warenwelt um 1900. Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar, 2009, 429 S., 33 s/w-Abb. € 35,00
Nachhaltigkeit, Käuferschutz, Gütesiegel, Konsumkritik, Nahrungsmittelkontrolle oder "Made in Germany" sind "moderne", aber keine neuen Begriffe. Auch das allgegenwärtige Prädikat "Neu!" taucht schon vor einem guten Jahrhundert in der Werbung auf. Gudrun M. König, Universitätsprofessorin in Dortmund, zeigt die Entwicklung der Konsumkultur, die in den 1880er- Jahren begann. Die ebenso spannende wie umfangreiche kulturhistorische Analyse gliedert sich in neun große Kapitel.
Die Ware und die Kulturwissenschaften erläutert Zugangsweisen und Ergebnisse zum Thema, das für die Europäische Ethnologie erst in den vergangenen 20, 30 Jahren als Forschungsfeld interessant wurde.
Die Regie des Geschmacks zeigt die Rolle der Ratgeberliteratur, die Materialkenntnisse und Geschmackskompetenz vermitteln und Einkaufshilfe sein wollte. 1877 wurde Geschmack definiert als "eine Empfindung für anhängende Schönheit", im Gegensatz zu einer objektiven, reinen Schönheit, die historisch wandelbar und kulturell geformt sei. Es gebe deswegen kein Geschmacksurteil, sondern nur Geschmackslaunen. Zehn Jahre später taucht die Kennzeichnung "Made in Germany" auf, durch die Qualitätsware internationale Anerkennung finden sollte. Reformbewegungen wie Dürerbund oder Werkbund waren bemüht, Geschmacks- und Moralvorstellungen populär zu machen. Ein bewährtes Mittel dabei waren Gegenüberstellungen wie "früher" (=gut) und "heute" (=schlecht). Schon die damaligen didaktisch aufgebauten "Geschmacksratgeber" zeigten entblößte Frauenkörper, ohne die das weitere Reklamegeschäft nicht mehr auskommen sollte.
Der Preis des Geschmacks stellt Warenkataloge und Katalogwaren vor, So gab es um 1912 einen 900 Waren umfassenden, 160-seitigen Katalog vom Dürerbund empfohlener Qualitätswaren - vom Küchengeschirr aus dem damals neuen Aluminum bis zu Kleidung und Möbeln. Interessant ist die Gegenüberstellung mit einem Kaufhauskatalog, wobei man nicht generell sagen kann, dass das "gediegene Gerät" das teurere war. Auch Versandkataloge gab es bereits in den 1890er- Jahren. Eine Firma, die 600.000 ständige Kunden zählte, verteilte gratis eine Million Stück. Großeinkauf und massenhafter Absatz machten die Waren entsprechend preisgünstig.
Das Warenhaus als Geschmacksagentur entwickelte sich in Berlin in den 1880er- Jahren. Das Warenhaus, Symbol für den Wechsel von einer produktions- zur konsumorientierten Gesellschaft, prägte die städtisch-industrielle Lebensform entscheidend. Die monumentale Architektur der "Kathedralen des Konsums" veränderte das Stadtbild, Schaufenster- und Einkaufsbummel eröffneten neue Erlebniswelten. Zur Dramaturgie des Verkaufens zählten neben dem attraktiven Zuschaustellen der Ware, Serviceangebote, Erfrischungen, vor allem der freie Eintritt und Waren zu fixen Preisen. Optimisten billigten der von Künstlern gestalteten Reklame sogar erzieherische Funktion zu: "Das Volk geht selten in Museen, fortwährend dagegen steht es auf der Straße vor Plakaten …."
Die Parade der Waren erforderte eine neue Präsentation, für die sich ab den 1890er- Jahren die Schaufenster anboten. Dekorations-Wettbewerbe dienten sowohl der Geschmackserziehung als dem Kommerz. Die (damals neuen) Konservendosen wurden in Form von Gebäuden aufgebaut, aus 8000 kg Seife entstand eine Brunnenlandschaft, aus der Seifenschaum sprudelte. Die Mahner vor der neuen Warenwelt warnten vor Scheinluxus und Neuerungsfieber und forderten die Revitalisierung der - deutschen - Volkskunst.
Die Aufstellung der Dinge führte um 1900 zu einer Flut an Gewerbeausstellungen einer Hochblüte der Ausstellungsgewerbe. Die erste Ausstellung dieser Art hatte es schon 1756 in London gegeben, doch für die neue Konsumkultur brauchte man Größeres - und inszenierte Erlebnisausstellungen. Eine Attraktion der Berliner Gewerbeausstellung 1896 war beispielsweise ein Höhenpanorama, das den Besuchern das Zillertal nicht nur zeigte, sondern ihnen die Illusion des Aufstiegs vermittelte. Man baute "bevölkerte Städte" - wie auch bei der Theaterausstellung 1892 im Prater "Alt-Wien" als Themenpark.
Berlin stellt aus: 1904 bis 1913: In diesem Kapitel analysiert die Autorin 379 Ausstellungen, die in dem knappen Jahrzehnt überliefert sind. Die Dauer schwankte von einer bis drei Wochen.Die zahlreichen Ausstellungsorte waren gut besucht, allein die Automobilausstellung 1906 zählte an einem Tag 25.000 Schaulustige. Rund ein Drittel der Ausstellungen war der Landwirtschaft gewidmet, fast 45 % Gewerbe, Unterricht und Erfindungen, ca. 22 % Kunst, Geschmack und Kunstgewerbe. "
Der Appell der Vitrine war in erster Linie Geschmacks- und Konsumerziehung vor dem Hintergrund gewerblicher Interessen. Daneben bestanden auch sozialpolitische Absichten, wie die Verbesserung der Situation der Heimarbeiter. Regionale Volks- und Wirtschaftskunde wurde wie "ein großer Anschauungsunterricht" vorgestellt. Das passte gut zur Kritik an der Massenkultur. "Volkskunst" fand Eingang in die Warenhäuser, erst als temporäre, dann als dauernde Ausstellung. Diese vereinten Sammeln, künstlerische Intervention und Revitalisierung. Man vergab Gütesiegel für "echte" Waren. Allerdings ging mit dem Lob der einheimischen Volkskunst eine Nationalisierung der Geschmackskultur Hand in Hand.
Die Erfindung der Käufer führte vom "Publikum" zum Konsumenten. Die Dramaturgie des Kaufens änderte sich um 1900, Bürger wurden zu organisierten Käufern. Es gab Weiße Listen empfehlenswerter Firmen, Verbraucherschutz setzte ein. Es bildeten sich Käuferligen nach dem Motto: "Wer lebt, muss kaufen. Wer kauft, hat Macht, und Macht verpflichtet."