Walter Schübler: Komteß Mizzi.#
Walter Schübler: Komteß Mizzi. / Eine Chronik aus dem Wien um 1900, Wallstein Verlag,, 2020 / Rezension von Janko Ferk
Am 28. April 1908 werden Marcell „Graf“ Veith und seine 18-jährige Tochter Marie festgenommen. Er wird der Kuppelei, sie der Geheimprostitution beschuldigt. Der Vater ist der Zuhälter, die Tochter die Hure – auch im Wien der Jahrhundertwende keine alltägliche Kombination. Marie geht am selben Tag in die Donau, der Vater kommt vor Gericht. Der Skandal-Prozess erregt weit über Wien hinaus Aufsehen. Der Zuhälter hat über die Freier ein Kassabuch geführt, in dem die bessere Gesellschaft mit Namen aufscheint, sogar hohe Beamte der Polizei und des Sicherheitsbüros sowie des Sittenamts scheinen auf. Nach der Verbüßung der Haftstrafe veröffentlicht der vermeintliche Graf in einem Revolverblatt eine Kundenliste mit 205 „Cavalieren“, in der es von richtigen Adeligen nur so wimmelt.
Der als kompetenter Biograf bekannte und mehrfach (unter anderem mit dem „Preis der Stadt Wien für Publizistik“) ausgezeichnete Walter Schübler hat aus zeitgenössischen Quellen und Dokumenten den beklemmenden Fall Marie Veith sozusagen aus nächster Nähe rekonstruiert. Der tausendseitige Gerichtsakt mit Zeugenaussagen von Dienstmädchen, Fiakern, Hausmeistern, Kellnern, Nachtportieren und nicht zuletzt von Bordellwirtinnen und Huren eröffnet die Möglichkeit, Wien um 1900 so zu schildern, wie es nur selten möglich ist.
Walter Schübler hat keinen Roman geschrieben, sondern etwas noch Spannenderes. Er schildert den Skandal und beginnt mit dem Tag der Festnahme Veiths, berichtet über jenen, an dem die Leiche Maries „gerichtlich beschaut und eröffnet“ wird, die Hauptverhandlung mit der Verhängung einer einjährigen Kerkerstrafe und endet beim Nachspiel, der Veröffentlichung der Kundenliste.
Viele Familiennamen sind noch heute geläufig. Am Ende des Buches zitiert Schübler aus zeitgenössischen Berichten und Kommentaren.
Ihre Lektüre ist trotz der tragischen Geschichte ein Vergnügen. Die damaligen Journalisten laufen auf dem Boulevard zu schreiberischer Höchstform auf.