Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Verena Moritz, Hannes Leidinger, Gerhard Jagschitz: Im Zentrum der Macht: Die vielen Gesichter des Geheimdienstchefs Maximilian Ronge#


Verena Moritz, Hannes Leidinger, Gerhard Jagschitz: Im Zentrum der Macht. Die vielen Gesichter des Geheimdienstchefs Maximilian Ronge. Residenz-Verlag, St.Pölten-Salzburg, 2007. 440 S. mit 16 Fototafeln. € 24,90


Zentrum der Macht, V. Moritz

Der am 9. 11. 1874 in Wien geborene Maximilian Ronge war nach seiner Generalstabsausbildung und einigen Jahren Truppendienst ab 1907 bis zu seinem Tod 1953 - mit einer Unterbrechung im Zweiten Weltkrieg, den er als Zivilist in Wien verbringen konnte - permanent für verschiedene Geheimdienste tätig.

Die daraus resultierende Macht jenseits aller Rechtsnormen genoss er ohne Skrupel in vollen Zügen. Als der deutsche Geheimdienst die entscheidenden Hinweise auf die Spionagetätigkeit des Obersten Alfred Redl lieferte, war Ronge voll in seinem Element: Jetzt konnte er - obwohl nur Major - höhere und höchste Dienstgrade einvernehmen und sie nach Details aus ihrem Privatleben befragen.

Besonders hatte er es dabei auf Theodor Körner und Alfred Boog abgesehen. Ohne Ergebnis allerdings. Trotz peinlichster Befragungen machten beide auch weiterhin Karriere. Wenn es auch um Homosexualität ging, war man noch nicht im Dritten Reich, die Habsburger-Monarchie war im wesentlichen doch ein Rechtsstaat, sodass Ronges Intrigen scheiterten. Boog avancierte 1918 zum Oberbefehlshaber der " Deutschösterreichischen Volkswehr ", Körner zum führenden Kopf der Isonzofront.

Im Ersten Weltkrieg wüteten Ronge und die Habsburger-Armee in Galizien jedoch ähnlich wie die Einsatzgruppenn der SS im zweiten. Mit dem Unterschied, dass Kaiser Franz Josef die Verbrechen im Gegensatz zu Hitler, der sie sogar anordnete, nicht billigte. Den verhafteten Lenin musste Ronge wieder freilassen. Daher beschritt man einen anderen Weg: " Verdächtige sofort erschießen und nicht verhaften " , lautete der Befehl des Oberkommandos in Przemysl. Im Prinzip war diese Vorgangsweise noch ärger als Hitlers Kommissar-Befehl.

Ganze Dörfer wurden im Zuge der Spionagehysterie niedergebrannt, sämtliche Brieftauben aufgekauft, das Züchten derselben mit standrechtlicher Justifizierung bedroht und völlig frei erfundene Informationen über angebliche Massaker der russischen Armee verbreitet.

So musste etwa Leutnant Heinrich Benedikt, später einer der renommiertesten österreichischen Historiker, auf Befehl Ronges einen völlig frei erfundenen Bericht über Gräueltaten der russischen Armee in der Bukowina verfassen, der in deutschen Zeitungen gedruckt wurde.

Dagegen regte sich massiver Widerstand. Die überwiegende Mehrheit der Soldaten und Offiziere waren wie Benedikt zutiefst bestürzt. Der Kaiser verbot die völlig kontraproduktiven willkürlichen Verhaftungen, von allem anderen hatte er kaum Kenntnis, da er nicht entsprechend informiert wurde. Stefan Zweig schrieb sein berühmtes Gedicht "Grodek" , das auch heute noch die Gräuel des Krieges in allen Facetten nachvollziehbar macht. Ronge jedoch blieb von den Verbrechen völlig unberührt.

Ronge - Der Spion, der aus dem Schatten kam#

Bei seinen Aktionen hielt sich Ronge im Schlagschatten der Macht immer vorsichtig bedeckt. Das führte unter anderem dazu, dass die österreichische Geschichtsforschung jahrzehntelang kein klares Bild von ihm hatte. Man war lange auf Ronges eigene Schriften angewiesen, deren Quellenwert aber - etwa im "Fall Redl" - sehr vorsichtig zu beurteilen ist.

Der Wiener Ordinarius für Zeitgeschichte, Dr. Gerhard Jagschitz, holte jedoch seinen Grossvater Maximilian Ronge durch ein ebenso mutiges wie gelungenes Buch, bei dem auch russische Quellen ausgewertet werden, aus dem Dunkel der Geschichte.

Einem eventuellen Vorhalt der persönlichen Befangenheit umgeht Jagschitz durch die Betrauung zweier Historiker, nämlich Verena Moritz und Hannes Leidinger, mit der Abfassung der einzelnen Kapitel. Er selbst gibt dabei lediglich seine persönlichen Erinnerungen an seinen Großvater wieder.

Die beiden Hauptautoren legen Ronges Verbrechen und seinen Charakter anhand der Fakten - wie oben im "Fall Redl" beschrieben - schonunglos offen. Militärgeschichte, wie sie geschrieben werden soll: Ronges Anteil am Selbstmord Redls wird ebenso dargelegt wie seine Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg und seine Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft zum Sturz der Republik, um nur einige Beispiele zu nennen.

Fast fünfzig Jahre österreichischer Geschichte werden aus der Perspektive der Spionage völlig neu beleuchtet. Ronges Name wird dabei zur Chiffre und zum Symbol sämtlicher geheimdienstlicher und staatspolizeilicher Aktivitäten. Dabei erweist sich die Realität wieder einmal wesentlich interessanter als jeder noch so gute Spionage - Roman.

Die vorliegende Biographie leuchtet Ronges Leben bis in das kleinste Detail aus. Sein Ende - er starb 1953 an einem langwierigen Krebsleiden - berührt ebenso wie seine lebenslangen Spionage-Aktivitäten erschüttern. Wie schon betont, ein sehr mutiges Buch, das die österreichische Geschichte vielfach neu akzentuiert. Absolute Pflichtlektüre für Historiker und Studenten. Darüber hinaus für alle politsch Interessierten , die wissen wollen - um mit dem preußischen Historiker Ranke zu sprechen - "wie es eigentlich", also wirklich gewesen ist......