Rainer Reinisch: Paschingers freier Fall#
Rainer Reinisch: Paschingers freier Fall, Verlag Innsalz, 2017 / Rezension von Ferk Janko
Am 26. April 1997 hat sich in seinem Wiener Büro der österreichische Bankmanager Gerhard Praschak sechsundvierzigjährig erschossen. Er war Direktor der Kontrollbank und lang davor Sekretär von Bundeskanzler Franz Vranitzky.
Der Banker Praschak hat vor seinem Tod an verschiedene Medien und politische Parteien Aufzeichnungen über politische Einflussnahmen und Steuerhinterziehungen verschickt. Unter anderem hat die Öffentlichkeit vom sogenannten Lombard-Club erfahren, in dem Bankinstitute Kartellabsprachen getroffen haben sollen. Dieser Suizid hat die österreichische Öffentlichkeit lange Zeit beschäftigt.
Zwanzig Jahre später hat der multiple Künstler Rainer Reinisch, ein gebürtiger Kärntner, der seit Jahrzehnten in Braunau lebt, wo er Stadtbaudirektor war, den grenzgenialen Roman, eigentlich müsste man die Genrebezeichnung Kriminalroman gebrauchen, mit dem Titel „Paschingers freier Fall“ geschrieben.
Reinisch, der denkt, malt, schreibt und zeichnet, prunkt nicht mit seinen Berufen beziehungsweise seinem Können, setzt seine Kompetenz aber konsequent ein. Der Architekt, zum Beispiel, beschreibt im Roman die baulichen Gegebenheiten der Sparkassenbüros, der Maler die Kunst in ihnen, was einen angenehmen Leseeffekt entstehen lässt.
Mit diesem Sachverstand hat der Autor Praschaks Selbstmord als Plan oder Vorlage herangezogen und erzählt die Geschichte des kleinen „Sparkasse“-Angestellten Gert Paschinger im oberösterreichischen Phantasieort Erding. Der Autor verschiebt die Geschichte und das Schicksal Praschaks parallel von Wien nach Erding und in die Abläufe der dortigen Sparkasse.
Auch der sechsundvierzigjährige Gert Paschinger ist zuerst ein Parteigünstling, dann Verfasser von Dossiers und schließlich, posthum, ein Aufdecker, der – wie sein Vorbild aus dem wirklichen Leben – eigentlich nichts bewirken kann.
Reinisch‘ literarisches Verfahren beruht auf einer spannenden Idee. Der Roman hat – in biblischer Weise – zwölf Kapitel. Jedem Kapitel setzt der Autor ein Zitat, das ein paar Zeilen lang ist, aus abgedruckten Pressemeldungen voraus. Auf dieser Grundlage erzählt er – parallelverschoben! – das Leben Gert Paschingers, was sich beispielsweise folgend anhört:
„PRESSEBERICHT ZU KAPITEL 3 In einem auf dem Postamt Westbahnhof aufgegebenen ‚politischen‘ Abschiedsbrief legt Praschak dar, dass er seine berufliche Zukunft gefährdet sehe. …
Diesen Brief verschickt er an die Oppositionsparteien und an verschiedene Zeitungen.“ (S. 32.)
Rainer Reinisch beginnt dazu „Kapitel III“ folgend: „Niemand hätte jemals für möglich gehalten, dass Paschinger Aktenstücke und Beweisstücke ausheben und sammeln wird, um sie dann dem politischen Gegner zu übermitteln.“ (S. 33.)
Reinisch hat Praschaks Geschichte vom hauptstädtischen Bankenlevel auf ein Bezirkssparkassenniveau geschrumpft. Er ist damit der oberösterreichische Untertreibungskünstler.
Diese Literatur setzt – auch mit ihrem einfallsreichen Verfahren – auf eigene Weise den Sozialrealismus und die Sozialkritik Franz Innerhofers oder Gernot Wolfgrubers, freilich mit einer anderen, und zwar einer bürgerlichen Thematik, fort, das heißt, die Gesellschaftsschicht ist eine andere, beschrieben wird gleichsam eine „richtige Sparkassenexistenz“.
Der Band ist bis in die Nebensätze interessant, da der fünfundachtzigjährige Reinisch ein Kenner vieler Vorgänge ist. Der Roman liest sich wie das Kleine Parteieneinmaleins, aber auch wie eine Biographie Paschingers, wobei der Autor virtuos die verschiedenen Zeitebenen beherrscht. Geschickt versteht er es, ein Buch lang den Eindruck zu erwecken, Paschinger werde denselben Freitod wählen wie die Maßfigur aus der realen Wiener Intrige, … aber es kommt anders.
Stark ist der Autor außerdem in seinen beredten Bildern. Eines sei als Vorgeschmack auf die Lektüre wiedergegeben: „… die scheußlichen Spuren von Senf …“. (S. 77.)
Für mich war es immer unverständlich – und ungerecht! -, dass ein Erzähler vom Format Rainer Reinisch‘ von der österreichischen Literaturkritik nahezu ignoriert wird und eine Reaktion immer nur zufällig stattfindet. Nach diesem Roman sollte die Partialignoranz in eine angemessene Rezeption übergehen.