Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Erika FATLAND: SOWJETISTAN#

Erika FATLAND: SOWJETISTAN / Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan, Suhrkamp, 2020 / Rezension von Guenther Johann

Erika FATLAND: SOWJETISTAN
Erika FATLAND: SOWJETISTAN

FATLAND, Erika: „SOWJETISTAN – Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan“, Berlin 2020 VORAB: Diese Rezension ist im Vergleich zu meinen bisherigen Buchbesprechungen sehr lang geworden. Das hat zwei Gründe: Erstens sind es eigentlich fünf Bücher in einem Buch. Fünf postsowjetische Staaten sind beschrieben und jedes enthält so viel Informationen wie ein ganzes Buch. Ich habe daher jedem Land eine ausführliche Beschreibung gewidmet. Zweitens habe ich einen starken persönlichen Bezug zu diesen Ländern. Unmittelbar nach der politischen Wende und der Abwendung von der Sowjetunion habe ich in all diesen Ländern eine Firma gegründet. Es war spannend zu lesen, was sich in diesen vergangenen Jahrzehnten verändert hat.

Sie als Leser können aber beruhigt sein: ich zeige nur die Vielfalt des Buchinhalts auf. Vieles ist unbesprochen geblieben und wirklich lesenswert.

Die Norwegerin Erika Fatland ist nicht nur eine ausgezeichnete Reiseberichterstatterin, sie erzählt in diesem Buch auch die jüngste Geschichte dieser ehemaligen Sowjetrepubliken. Der durchschnittliche Bürger des Westens weiß eigentlich Nichts über die Situation in diesen Ländern. Fatland liefert ein Geschichtsbuch der letzten Jahrzehnte. „Sowjetistan“ besteht aus fünf großen Kapiteln, die jedes eines der Länder beschreibt. Jedes Kapitel könnte ein eigenes Buch sein, weshalb ich auch jeden Abschnitt, jedes Land hier beschreiben möchte.

Turkmenistan

Ihre Reise begann sie in Turkmenistan. Die Einreise war sehr bürokratisch. Das Land hat die härtesten Einreisebestimmungen der Welt. Nur Länder wie Venezuela, die Türkei , Kuba oder die Mongolei brauchen kein Visum. Drei Wochen fuhr sie durchs Land. Meist wurde sie von Mitarbeitern staatlicher Reisebüros begleitet. Es ist ein Bericht über ein Land mit einem Diktator, der alles bestimmt. Ein Land, das eigentlich wegen seiner Öl- und Gasvorkommen reich sein müsste. In der Hauptstadt Aschgabat sind die Häuser des Zentrums fast ausschließlich mit weißem Marmor verkleidet. Damit soll Reichtum demonstriert werden. Davon spüren aber die meisten Einwohner nichts. Lediglich Brot, ist kostenlos. Dafür sind sie ihrem Herrscher dankbar. Wann immer sie den Präsidenten ansprechen, fügen sie den Satz „unser guter Präsident“ hinzu. Übrigens, auch Benzin ist (fast) kostenlos. Der erste Präsident – Turkmenbaschi - war in der UdSSR Parteisekretär dieser Sowjetrepublik. Er ließ eine Volksabstimmung für die Unabhängigkeit des Landes durchführen und setzte sich selbst als dessen Führer und obersten Chef ein. Er schrieb die Geschichte des Landes neu. Die meisten Bücher wurden verboten, aber „sein“ Buch mussten alle Schüler lesen, ja sogar bei der Führerscheinprüfung wurde dessen Inhalt abgeprüft. Er ordnete unverständliche Dinge an: in der Hauptstadt durfte es keine Hunde geben, Oper und Zirkus wurde verboten. Alle Bibliotheken am Land wurden geschlossen. Als der Herrscher 2006 starb, wurde sein Stellvertreter Berdimuhamedow zum Nachfolger und hob viele dieser Verordnungen wieder auf, um seine eigenen Ideen durchzusetzen. Ließ Turkmenbaschi im ganzen Land vergoldete Statuen von sich aufstellen, so stellte der neue Präsident sein Konterfei in weißem Marmor gegenüber. Am Land erlebte Fatland die Armut der Bevölkerung, aber auch die Freundlichkeit: „Gleichzeitig wurde ich hier, bei diesen armen Menschen, die nicht mehr besitzen als ein paar Kochtöpfe, ein Paar Kamele und eine Herde Ziegen, am herzlichsten empfangen.“ (Seite 71) Als sie nach drei Wochen das Land in Richtung Kasachstan mit ihren Eindrücken verließ nannte sie es „Absurtistan“.

Kasachstan

Kasachstan ist das größte Land der „Sowjetistan-Staaten“. Von der turkmenischen Grenzstadt weg fuhr die Autorin mit dem Zug nach Aral und Almaty. Bei Zugreisen kam sie mit einfachen Leuten ins Gespräch. Interessante Informationen auch für den Leser. Daneben wird auch das jeweilige Land allgemein vorgestellt. Etwa, dass Kasachstan mit 2,9 Millionen Quadratkilometern Größe das neuntgrößte Land der Welt und größer als Westeuropa ist. Es hat keinen Meerzugang und besteht zu drei Viertel aus Wüste; also unfruchtbar. Bei 17 Millionen Einwohnern leben nur sechs Menschen auf einem Quadratkilometer. Auch die jüngere Geschichte wird ausgeleuchtet. Bei einer Hungersnot in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts starben 25 Prozent der ethnischen Bevölkerung. Positiv ist, dass der Aralsee, der in den 1960er Jahren zu verschwinden drohte, weil die Baumwollpflanzungen so viel Wasser brauchten sich wieder zu füllen beginnt. Der Hafen in Aral liegt aber noch im Trockenen. Nach Aral und Almaty besucht Frau Fatland die Hauptstadt Astana (Astana heißt übersetzt „Hauptstadt“). Sie wurde von ihrem Präsidenten Nasarbajew als Prestigeprojekt von Almaty verlegt. Internationale Architekten konnten sich hier verwirklichen. Bis 2030 werden noch jedes Jahr acht Prozent des Staatsbudgets für die Hauptstadt ausgegeben.

Mit einem kleinen Flugzeug kommt die Autorin nach Semipalatinsk, wo die Sowjetunion in der weiten Steppe ihre atomaren Probeexplosionen durchgeführt hat. Heute leben nur mehr wenige Menschen hier und ein Großteil von ihnen ist von den Atomversuchen erkrankt oder gestorben. Kinder kommen mit sechs Fingern zur Welt und viele leiden an verschiedenen Krebskrankheiten. Es wird erzählt, wie sich der Entwickler der Wasserstoffbombe Sacharow zum Friedenstifter und Staatsfeind entwickelte und wie nach Zerfall der UdSSR die vielen atomaren Anlagen durch Hilfe der Amerikaner entsorgt wurden. Hier gab es eines der größten Gefangenenlager. Einer der Sträflinge war der Schriftsteller Dostojewski und das Buch erzählt von seiner Liebesaffäre.

Kasachstan ist auch die Geburtsstätte des Apfels. Es wird erzählt, wie er von einem Forscher aus Sankt Petersburg gefunden wurde, aber auch, wie sich die Autorin einen Apfel am Gemüsemarkt kauft und genießt. In vielen Interviews wurden Menschengeschichten eingefangen. So etwa die eines Aktivisten oder einer Schamanin oder Hexe. Man kann zusammenfassend sagen: „Kasachstan in Zahlen, Fakten, persönlichen Eindrücken und durch Menschenbilder.“

Tadschikistan

Tadschikistan ist das ärmste Land unter den ehemaligen Sowjetstaaten. Die meisten Einwohner verdienen weniger als 80 Dollar im Monat und ein Drittel ist unterernährt. Es gibt keine Öl- oder Gasvorkommen, wie in den Nachbarstaaten. Neunzig Prozent des Landes besteht aus Bergen und nur sieben Prozent sind landwirtschaftlich genutzt. Im Gebirge kann es im Winter über 50 Grad minus bekommen. Tadschikistan ist dem Persischen sehr ähnlich. Obwohl Tadschikisch in kyrillischen Buchstaben geschrieben wird und Persisch in arabischen, haben sie vieles gemeinsam. Bevor das Land eine sowjetische Republik wurde, hatte die heutige Hauptstadt Duschambe nur 3.000 Einwohner. Heute wohnen hier 700.000 Menschen. Trotz Armut will die Hauptstadt, wie ihre Nachbarn, protzen. Ein pompöser Präsidentenpalast und lange Zeit der höchste Fahnenmast sind nur zwei dieser Faktoren. Präsident Rahmons studierte, wie sein Kollege Nasarbajew aus Kasachstan, Wirtschaftswissenschaften. Aus einfachen Verhältnissen kommend machte er Karriere und wurde oberster Repräsentant der Sowjetrepublik und späterer Präsident.

Die Autorin besuchte wieder entlegene Gebiete, in den noch die letzten Ureinwohner, die Jaghnoben wohnen. Als die UdSSR Baumwollplantagen aufzogen, wurden die Bergbewohner in die Ebenen deportiert, um dort zu arbeiten. Die Gegend war ohne Straßenverbindung völlig isoliert. Die Deportierten wurden mit Hubschraubern ausgeflogen. Viele kamen immer wieder zurück, aber viele blieben im klimatisch besseren Gebiet, vermischten sich mit einheimischen Tadschiken. Verschiedene Menschenschicksale kann man im Buch nachlesen. Bei Beerdigungen und Hochzeiten hatte Fatland Kontakt mit der Bevölkerung und schrieb das Erzählte nieder. Ein Mann sagte zu ihr „Hier im Tal leben wir wie im 19. Jahrhundert. Es ist ein hartes Leben, aber wir sind glücklich.“ (Seite 273) Um überleben zu können gehen viele Männer ins Ausland zum Geldverdienen. Die meisten nach Russland. Ihre Frauen bleiben bei den Kindern im Dorf. Einmal im Jahr kommen die Männer heim, schwängern die Frau und oft heiraten sie dann in der Fremde eine andere Frau. Aber sie schicken Geld nach Hause. Die Hälfte des Bruttonationalprodukts besteht aus diesen Überweisungen. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wüteten Bürgerkriege und viele flüchteten. Die Gesellschaft ist von Klans dominiert. Diese Zusammengehörigkeit ließ nach dem Krieg viele wieder zurückkommen.

Erika Fatland ist eine Abenteuerin. Nur so ist es möglich, so ein Buch zu schreiben. Wenn sie etwa mit einem Hubschrauber in das Pamirgebirge fliegt. Die Passagiere sitzen auf Bänken. Der Kapitän allein im Cockpit. Der Copilot hatte dort keinen Platz mehr und musste bei den Passagieren sitzen. Die Tür zum Cockpit stand offen, damit die beiden miteinander kommunizieren konnten. Auf der drei- bis fünftausend Meter hohen Pamir Ebene zeigt sich die Wichtigkeit von Grenzen. Lange wurde hier gekämpft. Die beiden Großmächte Russland und das britische Empire standen sich gegenüber und eroberten diese zentralasiatischen Gebiete für sich. Man einigte sich auf Grenzen, die aber immer wieder vom Gegner überschritten wurden. Grenzen wurden auch willkürlich gezogen und sind heute noch ein Problem. Bis in die Jetztzeit wird um Gebiete um Afghanistan gekämpft. Obwohl Tadschikistan ein selbstständiger Staat war, waren russische Soldaten bis 2005 noch in Tadschikistan stationiert, um die Grenzen unter Beobachtung zu haben.

Kirgisistan

„Kirgisistan ist das freieste und demokratischste Land Zentralasiens, die Presse ist die freieste in der Region und auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Freiheiten landet das arme kleine Bergland unter den hundert fortschrittlichsten Ländern der Welt.“ (Seite 337) Bischkek ist die Hauptstadt und nach dem Bericht in diesem Buch die „grünste“ Stadt Zentralasiens. Es ist das einzige Land der Sowjetistan-Länder, die keinen neuen und protzigen Präsidentenpalast besitzen. Der Präsident residiert im Weißen Haus, das noch aus der Sowjetunions-Zeit stammt. Präsidenten haben sich nicht lange gehalten. Demokratische Bestrebungen haben sie bei Fehlverhalten vertrieben und durch neu gewählte ersetzt. Die alten fanden Asyl in Weißrussland oder Russland. Es ist das ärmste Land der Region. In der Zeit der UdSSR gab Moskau finanzielle Unterstützung. Drei Viertel des Staatshaushalts kam von dort. Heute lebt ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Damit nicht alles zum Stillstand kommt arbeiten vor allem junge Männer im Ausland und schicken Geld nach Hause. Die meisten von ihnen finden in Russland einen Job; allerdings zu sehr schlechten Bedingungen. Sie wohnen zu Dutzenden in einem gemieteten Zimmer. Durch die Armut im Land und unter den Fremdarbeitern ist wieder Tuberkulose ausgebrochen, die zu bekämpfen schwierig ist. Man schätzt, dass zehn Prozent von dieser Krankheit betroffen sind. So wie arbeitsfähige Männer ins Ausland abwandern, verlassen auch viele Ärzte das Land. Sie verdienen im Ausland mehr und zu Hause bricht das Gesundheitswesen zusammen.

Soweit zu den Fakten. Fatland schreibt auch über persönliche Erfahrungen. So etwa sprach sie mit Frauen, die entführt und Zwangsverheiratet wurden. Brautraub ist immer noch üblich. Auch eine russische Frau, mit der die Autorin sprach, blieb davon nicht verschont. Nach einer Studie sind etwa ein Drittel aller geschlossenen Ehen nicht freiwillig, sondern durch Brautraub entstanden. Am Land sind es oft mehr als 50 Prozent. Sie machte auch Bekanntschaft mit Adlermännern, die die Kunst des Jagens mit einem Greifvogel aufrechterhalten. „Unsere Vorfahren hatten keine Waffen und nützten die Vögel zur Jagd“ (Seite 364) Kirgisen waren Nomaden. Unter Stalin wurden sie „umerzogen“, um sesshaft zu werden. Heute sind nur mehr zehn Prozent der Einwohner Nomaden. Stalin war es, der viele Menschen während des Zweiten Weltkriegs nach Zentralasien übersiedelte. So kamen 230.000 Krim-Tataren, 17.000 Koreaner aus Wladiwostok, 19.000 Aserbaidschaner aus dem Kaukasus und 8.500 Deutsche aus dem Wolga-Gebiet. Letztlich lebte eine Million Deutscher in der Region. 1989 wurde ihre Auswanderung zugelassen und die Zahl verkleinerte sich. Erika Fatland reiste – trotz Warnung – in so ein Dorf, das sich „Rot-Front“ nennt. Zwar konnte sie mit einem deutschen Mann reden, als sie dann einen Gottesdienst besuchte und der Gemeindevorstand gegen ausländische Journalisten predigte musste sie das Dorf verlassen.

Die Russen hatten willkürliche Grenzen gezogen und Stämme und Völker teilweise getrennt. Dies führt bis heute zu Konflikten. In Kirgisistan leben viele Usbeken. In den 1990er Jahren und im Juni 2010 kam es zu blutigen Ausschreitungen. 2010 kamen über 400 Menschen ums Leben, 2.000 wurden verletzt und mehrere hunderttausend flüchteten nach Usbekistan und in Grenzregionen.

Usbekistan

Beim Grenzübertritt nach Usbekistan hatte sie Glück, dass sie während der Baumwollerntezeit reiste. In dieser Zeit werden die Grenzen für die Einheimischen gesperrt, denn alle werden für die Baumwollernte gebraucht. „Jedes Jahr werden Hunderttausende Ärzte, Lehrer, Krankenschwestern, Beamte und andere öffentliche Angestellte sowie Studenten des Landes einberufen, um Baumwolle zu pflücken - eine alte Tradition aus der Sowjetzeit, die noch immer praktiziert wird.“ (Seite 398) Damit sich die Bewohner vor dieser Arbeit nicht ins Ausland flüchten können, wird die Grenze für sie gesperrt. Für Erika Fatland wurde es so ein schneller Grenzübertritt.

So wie in all diesen STAN-Ländern ist der russische Vergangenheitseinfluss nicht zu übersehen. Zwar haben nach der Verselbstständigung Usbekistans die Hälfte der russischen Einwohner das Land verlassen, aber eine Million ist geblieben und die Abhängigkeit von Russland ist geblieben. Das religiöse Leben blühte wieder auf. Wie in den Nachbarländern wird das Land von einem Diktator nach sowjetischem Muster regiert. Karimow, der Präsident der ersten Stunde, war ein Alleinregent, dessen Familienmitglieder sich bereicherten. Unruhen im Jahr 2005 bescherten viele Tote, aber der Aufstand wurde niedergeschlagen. Sehr detailliert wird im Kapitel „Der Stoff, aus dem Träume sind“ die Produktion von Seide beschrieben.

An der Grenze zu Turkmenistan liegt die kleine Stadt Nukus. Sie ist die wichtigste Stadt der Region Karakalpakstan, die etwa ein Drittel der Fläche Usbekistans besitzt, aber nur 1,7 Millionen Einwohner hat. Nur mehr ein Viertel sind Einheimische, aber auch die werden jedes Jahr weniger. Es herrscht ungastliches Klima. Im Sommer hat es oft mehr als 50 Grad und im Winter Kälte. In dieser entlegenen Gegend hatten die Sowjets ihre biologischen Waffen getestet. In den 1960er Jahren waren etwa 50.000 Menschen an diesen geheimen Versuchen beteiligt. Bedingt durch die Militäranlagen war es Sperrgebiet für Ausländer und Außenstehende. In dieser Stadt gründete der Ukrainer Igor Sawitzki, der selbst Maler war, ein Museum. Er war ein Sammler und trug Handarbeiten, Schmuck und Stickereien der Einheimischen zusammen. Aber das Besondere sind die tausenden expressionistischen Bilder, die er gesammelt hat. Bilder, die in der naturalistischen, kommunistischen Kunstauffassung nicht erlaubt waren. In der zentralasiatisch entlegenen Kleinstadt war die Moskauer Kontrolle weit weg. Heute hat dieses Museum einen internationalen Stellenwert. Fatland besuchte dieses außergewöhnliche Museum.

Ein Kapitel widmet sie auch der Baumwollproduktion, demzufolge der Aralsee zum Großteil ausgetrocknet ist, weil man das Wasser für die Baumwollplantagen brauchte. Neunzig Prozent des Sees sind in den letzten fünfzig Jahren verschwunden. Baumwolle wurde in Usbekistan schon seit 2000 Jahren angebaut, aber in bescheidenem Umfang. Die russischen Machthaber erhöhten dies, wodurch andere landwirtschaftliche Produkte wie Milch, Getreide, Obst und Gemüse zurückgedrängt wurden. Usbekistan musste diese, früher selbst produzierten Waren importieren. Das Land verarmte noch mehr. Die meisten Bauernhöfe gehören heute dem Staat und so bestimmt der usbekische Staat was angebaut wird und wie die Preise zu gestalten sind. Baumwolle ist weiterhin die Basis der usbekischen Wirtschaft.

Neben der Hauptstadt sind Buchara und Samarkand wichtige Städte. Ursprünglich war hier ein Zentrum der Wissenschaften, wo unter anderem der Mathematiker Abu Dscha´far Muhammad ibn Musa al-Chwarizimi schon im 7. Jahrhundert als Vater der Algebra angesehen wurde. Der Algorithmus war Teil seiner Forschungen und Publikationen. Ein anderer löste das Problem, wenn man auf ein Schachbrett ein Weizenkorn legt und auf das nächste die doppelte Menge und sofort, bis letztlich am letzten Schachbrettfeld über 18 Trillionen liegen müssten. Das intellektuelle Leben in Zentralasien war vor eintausend Jahren hochstehend. Als die Araber die Region eroberten, verfiel all dieses Wissen. Bibliotheken wurden verbrannt und Wissen ausgelöscht. Auch Andersgläubige wurden verfolgt und allein in Usbekistan tausende Christen ermordet.

Mit der transkaspischen Eisenbahn, die auf usbekischem Gebiet mit Hochgeschwindigkeitszügen fährt, kam die Autorin in die Hauptstadt Taschkent. Von der ursprünglichen Stadt ist durch ein Erdbeben im Jahr 1966 nichts übriggeblieben. Die UdSSR errichtete eine sowjetische Musterstadt. Da aber Usbekistan auch große Gas- und Erdölvorkommen hat, konnte eine moderne Stadt aufgebaut werden. Wie in den Nachbarstaaten herrscht ein Diktator. Interviewpartner waren nur schwer zu finden. Man hatte Angst. Aber bei Taxifahrten wurden die Menschen gesprächig und lieferten Eindrücke für den Leser des vorliegenden Buchs. Ausführlich widmet sie sich dem Klan des usbekischen Präsidenten. Einer der Taxifahrer brachte es auf den Punkt: „Die Sowjetgeneration ist, wie sie ist. Sie macht alles auf die gleiche, alte Art und Weise. Ich setzte meine Hoffnung auf die jetzt aufwachsende Generation. Viele von ihnen sind gereist und haben die Welt gesehen. Nur sie können etwas Neues schaffen.“ (Seite 495)

Wie sieht die Zukunft der Region aus? In einem Nachwort aus dem Jahr 2014 versucht es Fatland zu definieren: Die Russen eroberten im 19. Jahrhundert diese zentralasiatischen Gebiete, konnten sie aber nur schwer abgrenzen. Sie nannten die Region „Turkestan“, weil die meisten Völker türkischstämmig waren. Die fünf postsowjetischen Republiken existierten bis 1991 nicht als Nationen. „Bis heute unterhalten die Stans sowohl wirtschaftlich wie politisch enge Bande zu Russland als miteinander.“ (Seite 386)

Viele Gesprächspartner trauern immer noch der Sowjetunion nach. Sowie es Boris, einer ihrer Führer ausdrückte: „Alles war besser in der Sowjetunion. Speiseöl war billig, das Brot kostete nichts und ein Flugticket nach Moskau war auch nicht besonders teuer. Wir bekamen genügend Lohn für eine ganze Familie. Jetzt reicht das Geld nie, und viele von uns sind krank.“ (Seite 449)

Das Buch erschien 2014. Vom Ende der Sowjetunion weg war viel passiert. Inzwischen sind weitere Jahre ins Land gegangen. Wie sieht es heute dort aus? Das Interesse ist geweckt. Frau Fatland: was wäre mit einer Fortsetzung?