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Cedric GRAS: Stalins Alpinisten#

Cedric GRAS: Stalins Alpinisten / Der Fall Abalakow, TYROLIA, 2020 / Rezension von Guenther Johann

Cedric GRAS: Stalins Alpinisten
Cedric GRAS: Stalins Alpinisten

GRAS, Cedric: „Stalins Alpinisten. Der Fall Abalakow“, Innsbruck Wien 2021

Eines vorweg: Fast Niemand im Westen wird mit dem Titel dieses Buches etwas anfangen können. Niemand hier weiß wer Abalakow war. Ich habe mit niedriger Erwartungshaltung zu lesen begonnen und wurde in den Bann gezogen. Diese Geschichte öffnet ein unbekanntes Zeitfenster. Erst der politische Umbruch der UdSSR hat es möglich gemacht. Die Archive aus Stalins Zeit wurden geöffnet und so bekommt man als Leser einen Einblick in die Zeit der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Es ist zwar die Geschichte der Bergsteiger, aber genauso ein Zeugnis der gesellschaftspolitischen Situation. Ein Franzose, ein Geograf und begeisterter Alpinist hat das vorliegende Buch geschrieben. „Für die Recherchen dieser Erzählung wollte ich alles mit eigenen Augen sehen, angefangen beim Geburtshaus der Brüder Abalakow. So bin ich nach Krasnojarsk gefahren.“ (Seite 214) Er hat Berge besucht und teilweise selbst bestiegen, weshalb es so eine hautnahe und spannende Erzählung geworden ist.

Der Altersunterschied der Abalakowbrüder ist nur ein Jahr: Der eine – Witali – wurde Maschinenbauingenieur, sein Bruder Jewgeni wurde Künstler. Sie sind beide begeisterte Bergsteiger und verdienen ihre ersten Sporen im Kaukasus. Die Sowjetunion will die Berge des Landes erforschen lassen. Es ist aber kein Bergsteigen wie im Westen, sondern – dem kommunistischen Denken entsprechend – ein kollektives. Multidisziplinäre Expeditionen erforschen das Land. Viele der Bergriesen waren in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts noch nicht bestiegen. Laufend werden auch neue entdeckt, wie der 7600 Meter hohe und dann nach dem Führer Pik Stalin benannt. 1933 wird so eine Mannschaft für die Besteigung des neu gefunden Riesen zusammengestellt. Der als Künstler schon bekannte Jewgeni wird in das Team aufgenommen. Allein die Anmarschroute beträgt 700 Kilometer. In seinem Tagebuch schreibt Jewgeni „Der Pamir ist eine der kontinentalsten und abgelegensten Gegenden der Welt.“ (Seite 35) Dabei treffen sie auch auf den längsten Gletscher der Welt. Der Künstler war der Einzige, der den Gipfel erreichte.

Als nächstes wird der Pik Lenin bestiegen. Die Brüder sind inzwischen verheiratet und Jewgeni hat eine Tochter. Im Sommer sind sie aber weiter in den Bergen unterwegs und die Familien bleiben allein in Moskau zurück. Bergsteigen ist in der UdSSR nicht nur ein Vergnügen, sondern auch Arbeit für die Wissenschaft. Es wird kartografiert und Gesteinsproben aus Felswänden für einen eventuellen Abbau gesammelt. Ab 1936 wird das Bergsteigen genau kontrolliert. In diesem Jahr machen die Brüder auch ihre letzte gemeinsame Besteigung. Dann trennen sich ihre Wege und sie werden auch sehr unterschiedlich behandelt. Der eine wird als Verräter eingesperrt, gefoltert und entging nur knapp dem Tod. 1937 war die Wende der „konterrevolutionären Alpinisten“, wie es der Autor des Buches nennt. Berge werden in großen Gruppen bestiegen. Bis zu 2000 Mann werden in Richtung Gipfel geschickt. Parallel dazu werden immer mehr alteingesessene Bergsteiger verhaftet, eingesperrt oder ermordet. So traf es auch Witali. In akribischer Kleinarbeit geht der Buchautor in russischen Archiven viele Akten und Dokumentationen durch und erstellt so die Leidensgeschichte des einen. Viele Freunde tätigten Falschaussagen und belasteten andere, um sich selbst eine bessere Position zu schaffen. Wieder freigekommen arbeitet Witali weiter, bringt sein Wissen ein und will auch noch einen höheren Berg besteigen. Sein Bruder wird aber für so eine Expedition nominiert, zu er aber nicht mehr kommt: in der Nacht nach der Nominierung wird er tot aufgefunden.

Witali arbeitet weiter darauf hin den höchsten Berg der Welt besteigen zu dürfen. Er, der Künstler und Bergsteiger wechselt in der Sommersaison ins Alpinisten-Fach und im Winter betätigt er sich als Künstler. Nach dem Tod Stalins ändert sich die Situation und viele werden rehabilitiert. Darunter auch Witali. Mit den Chinesen ist eine gemeinsame Besteigung im Himalaya geplant. Man beginnt in russischen Gebirgen, muss aber dann die chinesische Kooperation wegen Unruhen in Tibet abbrechen. Unter Gorbatschow geht es 1960 zum dritten Mal auf den Pik Lenin. Seine Frau Valentina ist ebenfalls aktiv. Die ganze Familie hat sich den Bergen verschrieben. Sohn Oleg wird „Meister des Sports im Alpinismus“ und die Tochter Galina Schifahrerin. Die Besteigung des Pik Kommunism – wie der Berg jetzt heißt - musste abgebrochen werden.

Noch im Alter von 60 Jahren ist das Ehepaar in den Bergen unterwegs. Mit 75 Jahren wohnt er in seiner sibirischen Heimat in Krasnojarsk und widmet sich dem weniger anstrengenden Wildwasserfahren. Seinen Lebenstraum, den Mount Everest zu besteigen, kann er sich nicht erfüllen, aber er ist maßgeblich an der Vorbereitung der Ausrüstung für eine Everest-Mission beteiligt. Seine Erfindungen waren erfolgreich und noch heute tragen viel Russen Rucksäcke mit seinem Namen. Nach erfolgreicher Besteigung ist er beim Empfang der sowjetischen Bergsteiger am Moskau Flughafen dabei. Selbst war es ihm nicht vergönnt. Witali starb im 80. Lebensjahr. Er wurde nicht wie sein Bruder am Nowodewitschi Friedhof beigesetzt, sondern weit weg von Moskau. Neben ihm im Grab liegt sein Sohn, der 1993 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, seine Frau Valentina und 1995 die an Krebs verstorebene Tochter.

Das vorliegende Buch bringt die Geschichte auch in den Westen. In einem sehr spannend geschriebenen Buch kann man das Leben der zwei berühmten sowjetischen Bergsteiger mitverfolgen.