Wolfgang Schüssel: Was.Mut.Macht.#
Wolfgang Schüssel: Was.Mut.Macht. / Bemerkungen und Bemerkenswertes, Eco Win Verlag, 2020 / Rezension von Hermann Maurer
Der Untertitel des Buches „Bemerkungen und Bemerkenswertes“ ist nicht nur gerechtfertigt, sondern sollte noch um einen Punkt ergänzt werden: „Präsentiert in bemerkenswerter Form“.
Wenn man normalerweise eine Biographie oder Autobiographie liest dann sind dies meist zusammenhängende, oft grob chronologische romanartige Erzählungen. Dieses Buch geht einen ganz anderen Weg: Es bietet 200 kurze Beiträge an, von ½ Seite bis 4 Seiten, zu ganz verschiedenen Themen und völlig nicht-chronologisch. Das Buch ist damit unglaublich erfreulich zu lesen: Ist ein Beitrag langweilig (was ohnehin selten der Fall ist), kann man auf der nächsten Seite einen lesen, der ein ganz anders Thema zu einer ganz andern Zeit in ganz anderer Form präsentiert. Es ist UNMÖGLICH, dass da Langweile aufkommt!
Die Leserschaft des Buches beschränkt sich nicht nur auf die "ältere Generation", die Wolfgang Schüssel noch in einer seiner wichtigen Funktionen erlebt hat und interessante oder amüsante Insiderinfo in kleinen Häppchen erhält. Sondern es ist auch für junge Menschen interessant und lesbar, weil man damit einen Blick auf Personen oder Vorgänge erhält, von denen man nichts oder nur sehr vage gewusst hat. Am besten würde ich hier 200 Beispiel geben, aber ich werde mich auf einige im zweiten Teil dieses Berichtes beschränken müssen: Dort wo ich direkt etwas aus einem Beitrag übernehme habe ich (hoffentlich konsequent) Kursiv verwendet!
Durch die Erinnerung an die Bombardierungen im 2. Weltkrieg wird einem klar, was die Bombardierungen im Nahen Osten anrichten. Bei der gegenwärtigen anti-USA Stimmung wird oft vergessen, dass ein Wiederaufbau Europas ohne die Marshall Hilfe nicht möglich gewesen wäre...und dass sie noch heute im European Recovery Program (ERP Fonds) und der FFG nachwirkt. Wir sollten diese Großzügigkeit der USA nicht vergessen, auch heute nicht, wenn wir verzweifelten EU Ländern helfen sollten, selbst wenn Österreich nichts direkt davon hat. Wir haben die lange Diskussionen über den Text der Österreichischen Hymne (Söhne, Töchter) miterlebt , aber wer bedenkt schon, dass die Europa Hymne mehr als überholungsbedürftig ist, denn was soll der Text "...deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt..." eigentlich bedeuten, und im Buch finden sich noch viele überraschend unsinnige Teile anderer Hymen. Wer dankt heute noch Frankreich dafür, als erstes Land ein internationales Fußballmatch mit Österreich im Dezember 1945 auszutragen (und sogar 4:1 zu verlieren) und damit erstmals die klare Aussage zu machen: Österreich ist wieder ein normaler, unabhängiger Staat! Aus großen einer Sammlung in China gefährlicher Dinge ist die Aussage: "Wage es zu denken, aber nicht zu sprechen".
Natürlich enthält das Buch nicht nur viele politische Anekdoten, sondern auch konkrete Vorschläge wie: "Wir benötigen eine europäische Seidenstraße die N mit S verbindet" (und erklärt das sorgfältig). Und natürlich berichtet das Buch über vieles, worauf Schüssel stolz ist, es erreicht zu haben, ohne je großes Eigenlob. Dass Schüssel Christ ist, dass er weiß, dass es Dinge gibt, die jenseits unserer Erkenntnisse liegen, wird mehrmals geäußert. Am besten gefällt mir der Ausschnitt eines Textes:
"Wir sehen, die Sonne aufgehen; wir sehen die Sonne untergehen. Die Realität ist anders als unsere Erfahrung. Nicht die Sonne geht auf und unter. Die Erde dreht sich. Doch unsere Erfahrung ist anders. Es gibt also eine Wirklichkeit jenseits unserer Erkenntnis." Christentum ist eine Provokation: „An executed rebel alive again after three days of death" ... das kann doch nur fake news sein!
Schüssel berichtet, dass Putin bei einem Besuch in Österreich einmal sehr offen sagte, dass er Russland als Teil Europas sieht und man zusammen arbeiten sollte. Es ist traurig, dass wir soweit von solchen Überlegungen entfernt sind.
Warum gibt es so viele martialische Wappentiere: Bär, Adler, Drache, Tiger…schöner wären doch Delphin, Schmetterling, Lerche usw!
Vor meinem Tod habe ich kein Angst. Nur vor dem Tod derer, die mir nahe sind. Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Charlie Brown sitzt mit Snoopy nachdenklich am Seeufer und sagt melancholisch: „ Eines Tages werden wir alle sterben müssen“. Der kluge Hund darauf philosophisch: „ Ja, aber an allen andern Tagen nicht“.
Otto von Habsburg: „Spätestens nach zwei Jahren soll jeder Streit beigelegt sein. Das Leben ist zu kurz für längere Fehden.“
Bill Clinton: „Wenn die Menschen unsicher sind ist ihnen ein starker Führer, auch wenn er falsc liegt, lieber als ein schwacher Führer, der Recht hat.“
Der Economist am 17.August 2019 zum Thema: An Universitäten darf jeder sagen was er will : „ Protecting students from unwelcomed ideas is like refusing to vaccinate against measles. When they go out into the world, they will be unprepared for its glorious but sometimes challenging diversity”. Ein klares Wort für die Meinungsfreiheit/Redefreiheit an den Universitäten!
Bert Brecht klagt an vielen Stellen, dass immer eine Person für den Erfolg verantwortlich gemacht. Dabei sind es oft viele Tausende. Ein Beispiel: „Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht mindestens einen Koch bei sich??“
Der Berichterstatter hofft, dass er auf das Buch neugierig gemacht hat. Man sollte es unbedingt lesen: Mir hat seit langer Zeit kein Sachbuch so gut gefallen wie dieses. Empfehlung: Mehrere Exemplare kaufen und alle bis auf eines an gute Freunde schenken.