Michael STOLLSEIS: Was ist ein Name?#
Michael STOLLSEIS: Was ist ein Name?, Schriftenreihe vontobelstiftung, 2021 / Rezension von Guenther Johann
STOLLEIS, Michael: „Was ist ein Name?“, Zürich 2021
Es begann in der Frühzeit, dass der Mensch alles mit einem Namen versehen hat. Historisch finde man schon im Alten Testament, dass die Schöpfung benannt wurde: Erde und Meer. „Indem die Menschen seit unvordenklichen Zeiten ihre Welt benannt, klassifiziert und geordnet haben, haben sie sich die Welt „untertan gemacht“. Benennen wird so auch faktisches beherrschen.“ (Seite 10) Ausgehend vom 16. Jahrhundert bis in unsere heutige Zeit wird – nicht nur in Diktaturen – über Namensgebung die Staatsgewalt ausgeweitet und konzentriert. Herrscher wie Maria Theresia von Österreich erkannten dies und nützten es. Zunehmend wurde neben dem Namen auch die Bezifferung, die Vernummerung wichtig, um mehr Details zu besitzen. Unter diesem Motto führte diese österreichische Herrscherin das Grundbuch und die Meldepflicht der Menschen ein. Menschen änderten so ihre Zugehörigkeit; waren sie vor diesen Maßnahmen Untertanen von Klöstern oder Adeligen, wurden sie Staatsbürger, Untertanen des Staates. Das Kunstgebilde „Staat“ wurde immer perfekter und das Bedürfnis nach Ordnung, Klassifizierung und Nummern (Steuernummern, Krankenkassennummern, Rentenversicherungen etc) wurde größer. Namen werden mit Daten verknüpft und das benannte Objekt noch detaillierter aussagefähig. Aber auch „Nichtwissen“ wird durch Medien und wissenschaftlichen Institutionen verbreitet.
Speziell in revolutionären Zeiten wurden Dinge und Menschen umbenannt und oft für die Zukunft nicht mehr zugänglich. Neue Zeitrechnungen, Gewichtsmasse und die Existenz von Menschen wird so ausgelöscht oder verändert. „Politische Erst- und Umbenennungen ordnen die Welt immer wieder neu. Das gehört zum Wechsel der Generationen, ist ein Thema der modisch gewordenen political correctness oder auch einfach des Zeitgeistes.“ (Seite 20) Historische Ereignisse werden für die Zukunft erst durch Namensgebung und Vernummerung zu Fakten, die nicht immer den tatsächlichen Ereignissen entsprechen. Manche Dinge sind auch verkommen, wie etwa die Unterschrift. Musste diese in der Vergangenheit noch zusätzlich von einer dritten Person legitimiert werden, so ist sie zunehmend zu Ziffern verkümmert. Der Schwur vor Zeugen wurde zu einer publikumswirksamen Demonstration, wenn etwa Politiker ein Amt antreten.
Der Autor zeigt sehr strukturiert die Benennung unserer Welt auf. Einerseits mit Namensgebung und andererseits durch Bezifferung. Auch die Veränderungen und Umbenennungen haben historisch betrachtet eine große Bedeutung. Der Einfluss durch die Macht des Staats ist im Zunehmen. Demokratien versprachen die Freiheit und brachten eine neue Bindung an „gewählte“ Machthaber.
Abschließend möchte ich den Autor noch selbst zu Wort kommen lassen, wenn er da schreibt: „Ob der Mensch seine Identität durch eine (fälschbare) Unterschrift, durch das (unzuverlässige) Passbild, durch den Maschinenblick in die Iris, durch Spracherkennung oder durch einen unter die Haut gepflanzten Chip nachzuweisen hat: Der enorm technische Aufwand, den wir heute treiben, um uns zu vergewissern, wer derjenige ist, mit dem wir kommunizieren, ist mit der Komplexität unserer Lebensverhältnisse und der Vervielfältigung technischer Möglichkeiten gewachsen. Die reale Person, die man kennt und auf deren Unterschrift man sich verlässt wird zum blassen Schemen. Die eigentliche Identität vermittelt nun der mit Zertifikat gesicherte Datenschlüssel oder die maschinelle Prüfung. Die Entzauberung scheint kein Ende zu haben.“ (Seite 52)