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Monika FAGERHOLM: Wer hat Bambi getötet?#

Monika FAGERHOLM: Wer hat Bambi getötet? / Roman, Residenz, 2022 / Rezension von Guenther Johann

Monika FAGERHOLM: Wer hat Bambi getötet?
Monika FAGERHOLM: Wer hat Bambi getötet?

FRAGERHOLM, Monika: „Wer hat Bambi getötet?“, Salzburg Wien 2022 Der Residenzverlag bringt die in Finnland anerkannte und ausgezeichnete Autorin dem deutschsprachigen Leserpublikum näher. Es beginnt mit dem Mädchen Emmy, das in der eigentlichen Handlung erst am Ende auftritt. Emmys erste Liebe starb bei einem Busunglück des Sportvereins. Sie tröstet dessen Schwester Saga-Lill und die beiden Mädchen werden Freundinnen. Emmy hat einen neuen Freund. Nachdem sie sich von ihm getrennt hat, lebt er mit der Freundin Saga-Lill zusammen, was die Beziehung der beiden jungen Frauen stört. Sie verzeiht es auch ihrem Ex-Freund Gusten nicht, dass er sich mit ihrer Freundin zusammengetan hat. Irgendwie sieht sie das wie einen Verrat. Gustens Mutter ist Opernsängerin und das neue Paar fährt zu einer Vorstellung der Mutter nach Wien. Emmy heiratet einen älteren Mann. Gusten bleibt aber ihre große und geheime Liebe. Sie formulierte es während ihres Zusammenlebens so: „Ich will die Liebe leben, nicht darüber reden. Die Liebe leben, wie die Musik, wie etwas, das nicht erklärt werden muss …“ (Seite 139) Die Geschichten werden aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Einerseits aus Emmys Sicht und dann wieder Saga-Lills Version. Die Proponenten leben in einem kleinen Vorort von Helsinki. In einem Villenviertel, wo normal angesehene Menschen leben. Die zwei jungen Frauen kommen aber vom Land. Durch die Heirat mit dem älteren Mann steigt Emmy in die Hierarchie der Villenbewohner auf. Der Kern des Romans geht aber auf eine Gruppenvergewaltigung zurück. Vier Freunde haben ein Mädchen vergewaltigt. Das Ganze fand im Haus einer einflussreichen Familie statt. Die Mutter wurde erst kürzlich zur Präsidentin einer prominenten Wirtschaftsstiftung gewählt und der Vater ist ein anerkannter Richter. Mit dem Gewicht dieser Eltern hätte man den Vorfall vertuschen können und auch wollen. Aber da war Gusten, einer der vier Täter, der das Mädchen geknebelt und gefesselt im Studio des Freundes fand. Der Freund war abgehauen und hatte sich in einem Wochenendhaus der Familie verschanzt. Gusten ist geschockt, als er das Mädchen findet und bringt es ins Spital. Sie selbst will nicht, dass er zur Polizei gehe. Sie erfand eine Geschichte. Sie sei im Wald von einer Gang, an deren Gesichter sie sich nicht erinnern könne, überfallen wollen. Gusten aber geht zur Polizei. Es wird ein Skandal. Die erst kürzlich zur Präsidentin erhobene Mutter wird von einem Fernsehteam überrascht und sie äußert sich unflätig, nennt die Journalisten Kommunisten, was die Angelegenheit in alle Medien bringt. Sie wurde überrascht „von Journalisten und Fotografen und gezwungen, eine Stellungnahme abzugeben. Wild um sich schlagen, jeder Vernunft, jeder Realität, jeder Wirklichkeit zum Trotz, denn schließlich weiß sie es schon, aber Gehirn und Gefühle und Auffassungsvermögen sind auf sonderbare Weise miteinander verbunden, was in Situationen von extremem Druck sowohl zu Verleugnung als auch zu Fehleinschätzung führen kann und infolgedessen zu absurdem Verhalten: „Kommunistenpresse!““ (Seite 145) Gusten, der wie ein eigenes Kind im Haus des Freundes aus- und einging, weil seine Mutter – eine Opernsängerin – oft auf Tournee war, wurde als Verräter aus dem Haus geschmissen. Gusten kann aber keine Rachegefühle entwickeln. „Es klappt einfach nicht; also ist das wohl seine Veranlagung. Das zeigt sich auch ein bisschen im Job; beispielweise ist er völlig außerstande, seine Aufgaben als irgendeine Art von Leistung zu verstehen, die erbracht wird, um jemanden aus dem Feld zu schlagen. Um zu gewinnen, um der Beste zu sein oder so was in der Art.“ (Seite 125) Letztlich steht nur die eine, reiche und einflussreiche Familie im Blickpunkt der Medien. Für sie bricht vieles zusammen und nach einigen Jahren liest Gusten, dass die Mutter seine ehemaligen Freundes und Mittäters verstorben sei. Die Eltern der „Täter“ treffen sich regelmäßig während des Prozess und besprechen die Vorgangsweise. Reich sind sie fast alle und so leisten sie sich einen Medienberater, um richtig in der Öffentlichkeit aufzutreten und so indirekt den Prozess zu beeinflussen. Man tritt aber nicht nur für die eigenen Kinder ein, sondern macht auch das vergewaltigte Mädchen in der Öffentlich schlecht. Sie komme ja aus der sozialpädagogischen „Einrichtung für Verhaltensgestörte und Kleinkriminelle, die das Mädchenheim ebenfalls war. Und die Delikte, die Sascha sich zuschulden kommen hat lassen (kleine, die aber natürlich größer wurden, wenn man über sie sprach) und für die man eigentlich ins Gefängnis kam, wenn man nicht minderjährig war.“ (Seite 197) Sie selbst, Sascha sprach vor Gerichts nichts. Nur die Beschuldigten kamen zu Wort. Das Urteil fiel gut aus. Drei der Beschuldigten wurden freigesprochen, nur der Sohn der angesehenen Familie – Nathan – bekam eine bedingte Gefängnisstrafe. Seine Mutter kommentierte es vor der Presse so: „Jetzt blättern wir die Seiten um. Und eines schönen Tages haben wir so viele Seiten umgeblättert, dass nichts von alldem passiert ist.“ (Seite 209) Die Buben wurden in eine psychiatrische Behandlung geschickt. Gusten sogar in eine Irrenanstalt eingeliefert. Die Mutter von Nathan verlor ihren angesehen Job und versuchte es erfolglos mit einer neuen Organisation, bis sie selbst Krebskrank nach einiger Zeit starb. Ihr Mann setzte sich mit einer Freundin in die Schweiz ab. Gusten aber hadert mit seiner Vorgangsweise, die Polizei eingeschalten zu haben. Letztlich erfährt er vom misshandelten Mädchen Sascha, dass ihre Mutter Schwarzgeld geboten bekam, um die Sache zu verschweigen. Seine Mutter versucht ihn zu erinnern: „Aber du wurdest ja nicht verurteilt, mein lieber Junge. Du wurdest doch freigesprochen!“ (Seite 221) Der Sohn aber fragte sich „Wie konnte er weiterhin in dieser Welt sein?“ (Seite 223) und er will sich von einer Brücke stürzen, wo ihn aber die Mutter seines ehemaligen Freundes Nathan zurückhält. Erst als er Emmy kennenlernt (der Leser kommt mit ihr gleich zu Beginn des Buches in Kontakt), fast er Boden unter den Füßen und beginnt ein Studium an einer Schauspielschule und gewinnt einen Preis für seine erste Dichtung. Der Titel „Wer hat Bambi getötet?“ stammt von einem Song der Band „Pistols“ und einer der vier „Vergewaltiger“ versucht sich als Filmproduzent und nennt sein Erstlingswerk auch so, wie dieses Buch. Emmy, eine der Hauptakteurinnen, wurde für den Poster des Films mit einem Kaninchen fotografiert. Die Handlung des Romans ist sehr sprunghaft und macht es dem Leser nicht leicht zu folgen. So ist das letzte Kapitel der Erzählung eigentlich der Beginn.