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Die Ruhe vor dem Sturm #

Die Schließung aller Konzertsäle und Opernhäuser als Folge der Corona-Epidemie hat große Auswirkungen auf die Musikhauptstadt Wien. Besonders für freischaffende Künstler ist die Situation prekär. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (26. März 2020)

Von

Stefan Schocher


Rabenhof Theater in Wien.
Rabenhof Theater in Wien.
Foto: Name. Aus: Wikicommons

Vorhang zu! Durch die aktuelle Zwangspause im Kulturbetrieb werden die großen Häuser in den nächsten Monaten massive Verluste verzeichnen, viele Künstler bangen bereits jetzt um ihre wirtschaftliche Existenz. Hoffnung gibt das angekündigte Krisenpaket der Regierung.

Ein Sonntag, 18 Uhr, ein milder Abend. Die Straßen sind ruhiger als sonst – und aus Fenstern dringt Musik. Ein Idyll – und doch gespenstisch. Die Regierung hatte gerade alle Konzertsäle, Opernhäuser und Theater geschlossen, Publikumsveranstaltungen generell untersagt. Was viele Musiker an diesem Abend taten, war einfach das, was sie sonst auch Abend für Abend tun: Sie spielten. Nur eben nicht unter güldener Stuckatur in einem der prunkvollen Säle der Stadt, sondern in ihren Wohnungen vor offenen Fenstern. Die Musikhauptstadt Wien hatte den Eisernen Vorhang heruntergelassen.

Drei Opern- und zwei Konzerthäuser mit jeweils mehreren Sälen, die allesamt Abend für Abend bespielt werden, eine Reihe kleinerer Veranstaltungsorte für Nischen-, aber auch Touristenkonzerte, zwei Musikunis von Weltrang, vier Orchester von ebensolchem – klassische Musik ist weit mehr als eine Verkaufsstrategie im Schoko-Marzipan- Kugel-Format für Touristen: Sie ist die Seele Wiens – ob man dieses Genre nun liebt oder nicht. Und es sind vor allem die Tausenden Protagonisten abseits des „Walk of Fame“ des Klassikbetriebs, deren Existenzen jetzt an der Kippe stehen.

Katya Wolodarsky ist alleinerziehende Mutter. Und sie ist durchaus stolz auf ihre Karriere. Sie erzählt von Auftritten an der Hamburger Staatsoper, am Tiroler Landestheater, bei den Festspielen in St. Margarethen und davon, wie sie damals beschloss, nach Wien zu gehen. 2011 war das. Aber Wien, das war immer ein hartes Pflaster mit einem Überangebot an Künstlern höchster Güte aus aller Herren Länder und nachdrängenden Studierenden aus aller Welt. Aber das sind alles Erinnerungen. Die Gegenwart ist wenig glamourös. Zuletzt waren es Touristenkonzerte, mit denen sich die Sängerin über Wasser gehalten hat. Immer am Limit, wie sie sagt, und bereits vor Corona über einen Plan B nachdenkend. Kontostand nach einer Woche ohne Engagement: 21 Euro im Minus. Und da beginnt die Rechenmaschine zu rattern im Kopf: Miete, Gas, Wasser, ein wenig Essen für sich und ihre Familie, Sozialversicherungsbeiträge für 2017 sind zu zahlen, das sind 2000 Euro, und die SVABeiträge für 2018 stehen auch aus. Überziehungsrahmen der Bank: 3000 Euro. Sprich: Es ist Feuer am Dach. Es sind freiberufliche Künstler wie sie, die die Absage aller Engagements derzeit trifft wie ein Keulenschlag. Und tragend wird da vor allem der Faktor Touristenkonzerte: schlecht bezahlt, aber bisher eine berechenbare Einnahmequelle. Der Nachteil: In diesem Bereich gibt es keine festen Verträge.

Es sind aber nicht nur die Touristenkonzerte, um die sich die freie Szene schart. Denn auch die großen Orchester spielen mit dem Anreiz für junge Musiker, ein Engagement für einen der namhaften Klangkörper im Lebenslauf stehen zu haben. Bedenkt man zum Beispiel den Umstand, dass alleine die Philharmoniker unter Normalbedingungen täglich eine Opernaufführung bestreiten, während ein anderer Teil des Orchesters meist tourt. Da ist stramm eingeteilt, wer Dienst im Orchestergraben schiebt, Ausfälle miteingerechnet, Reserven parat – und da kommen freie Musiker ins Spiel, die pro Aufführung bezahlt werden. Und das keinesfalls üppig. Pro Auftritt in einem Touristenkonzert erhält eine Künstlerin wie Katya Wolodarsky zwischen 70 und 95 Euro, zusätzlich unterrichten einige oder gehen anderen Berufen nach, etwa in der Gastronomie. All das ist jetzt weg. Und ein Netzwerk hat Katya Wolodarsky nicht, nur ein paar Kollegen, sagt sie.

Eine „tragende Säule“ für Wien #

Thomas Schindl ist Berufssparten-Vertreter und Perkussionist bei den Wiener Symphonikern. Von einer „Katastrophensituation“ spricht er. Und: Man bereite sich darauf vor, „dass das länger geht“. Thomas Schindl ist einer von jenen, die als Symphoniker in einem festen Arbeitsverhältnis stehen – sich also akut keine Sorgen machen müssen. Aber: „Wir machen uns als in Dienstverhältnissen stehende Musiker Gedanken, wie man die freie Szene unterstützen kann.“ Da geht es um Tausende Menschen. „Es muss nach der Krise weitergehen, darum geht es“, sagt er.

Staatliche Hilfen für den Kulturbereich wurden in einem Krisenpaket beschlossen. Vier Milliarden Euro an Hilfen will die Regierung in Summe bereitstellen. Wie viel davon für den Kulturbereich bestimmt ist, ist nicht eindeutig klar. Für Kulturschaffende in Vertragsverhältnissen gilt jetzt die Kurzarbeitsregelung, für freie ist eine Abfederung von Einnahmeausfällen beschlossen. Auch die Stundung von Steuerund SVA-Zahlungen scheint absehbar. Als nächsten Schritt gelte es, Details auszuarbeiten: „Welcher Personenkreis bekommt Unterstützung, wie schaut der formelle Ablauf aus, damit das Geld bei den Personen ankommt.“

Denn der Kulturbetrieb in Wien sei „wie eine Pyramide“. Und wenn da ein Stein fehle, bringe das das ganze Gebäude ins Wanken. Er spricht von einer „tragenden Säule“ für Wien – durchaus auch im wirtschaftlichen Sinn, was Hotellerie, Gastronomie, aber auch den gesamten internationalen Studienbetrieb angehe. Und in diesem Gesamtbild brauche es eben nicht nur die großen Institutionen wie Symphoniker, Philharmoniker, Tonkünstler oder das Radio-Symphonieorchester, sondern eben auch die vielen mittleren und vor allem ganz kleinen, die den täglichen kleinen Konzertbetrieb bestreiten.

Zweckoptimismus und Existenzängste #

Thomas Dürrer, Bundessekretär der Gewerkschaft Younion, verortet aber auf jeden Fall eine Aufmerksamkeit bei der Regierung: „Ich habe schon den Eindruck, dass die Bundesregierung sieht, dass da der Hut brennt.“ Und Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler sagt: Die prekäre Lage von Kulturschaffenden sei ihr „sehr bewusst“. Sie werde sich „sehr für die Anliegen der Kulturschaffenden einsetzen“. Ob das Geld reicht? Die Rechnung ist alleine seitens der Bundestheater so trocken banal wie dramatisch: 1,3 Mio. Euro an Einnahmen entfallen derzeit pro Woche. Bei einem Wiederanlaufen der Vorstellungen im Juni würde das einen Verlust von 21 Mio. bedeuten, wie es aus der Geschäftsführung heißt – und dann müsse sich erst weisen, wie es um die Auslastung der Spielstätten (Staatsoper, Volksoper, Burgtheater) der Holding bestellt sei: Vor Corona lag die in allen Häusern bei über 80 Prozent.

Zoltán Kiss, Posaunist der Gruppe Mnozil Brass, ist aber auch angesichts der dramatischen Lage optimistisch: „Ich denke, es braucht viel, um eine so tief verwurzelte Musikkultur wie in Wien zu zerstören.“ Davon ist er überzeugt. Auch wenn es eine traurige Zeit sei, berge die Krise ja vielleicht die Chance, etwas neu zu entdecken, neue Formen zu finden. Zoltán Kiss ist formal gesehen auch freier Künstler. Aber eben einer, der in den vergangenen Jahren Reserven anlegen konnte. Die Sorgen der Freien kann er aber bestens nachvollziehen: Schon bisher sei es für Aushilfsmusiker in Orchestern oder freie Musiker im Tourismus-Betrieb äußerst nervenaufreibend gewesen, an Jobs zu kommen. Jobs, die es jetzt nicht mehr gibt. Was ihm persönlich derzeit am meisten abgeht: die Bühne. „Ich blühe auf auf der Bühne. Wenn ich übe, langweilt mich das.“ Sein derzeitiges Publikum: seine Familie. Und der Preis, den er zahlt, damit die noch zuhört: Zwei Tage musste Zoltán Kiss auf Geheiß seiner Tochter Gesichtsbemalung tragen. Kultur wird uns die geistige Gesundheit erhalten, ist Kiss überzeugt.

Die Opernsängerin Katya Wolodarsky hingegen plagen Existenzängste. Sie versuche, nicht zu viel an die Zukunft zu denken, sagt sie. Nur, dass sie in ihrer Lage nicht alleine sei, mache sie optimistischer. Wären da nicht die offenen SVA-Rechnungen für 2017 und 2018. Über einen Plan B denkt sie bereits nach. Einen einfachen Job, etwas Sicheres.

Und was bleibt jetzt? Üben. Wieder und wieder. „Damit es meinem Instrument gut geht“, wie sie sagt, „und ich einen Teil meiner Identität leben kann“. Das nächste Mal vielleicht am offenen Fenster.

Der Autor ist freier Journalist.

DIE FURCHE (26. März 2020)