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„Nationaler Schulterschluss“, „unsichtbarer Feind“?#

In der Corona-Debatte kommt Kriegsrhetorik zum Vorschein.#


Von der Wiener Zeitung (8. April 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

von

Robert Sedlaczek


Robert Sedlaczek ist Autor zahlreicher Bücher über die Sprache, jüngst ist bei Amalthea „Österreichisch für Fortgeschrittene“ erschienen.
Robert Sedlaczek ist Autor zahlreicher Bücher über die Sprache, jüngst ist bei Amalthea „Österreichisch für Fortgeschrittene“ erschienen. Alle Beiträge dieser Rubrik unter: www.wienerzeitung.at/sedlaczek

Seit vielen Jahren erstellt der Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer den „Vertrauensindex“. Der letzte Index erbrachte die höchsten jemals gemessenen Vertrauenswerte für Regierungspolitiker. „Dieses geradezu überzogene All-Time-High ist nur auf die aktuelle Corona-Krise zurückzuführen“, liest man auf der Website des Instituts. „Die Bevölkerung befindet sich in einer fast euphorisch anmutenden ,Blood, Sweat and Tears‘-Stimmung, rückt näher zusammen und folgt motiviert den Anweisungen der politischen Führung, um das Virus als gemeinsamen unsichtbaren Feind zu besiegen.“

Im ORF wurde der Politikwissenschafter Peter Filzmaier von Armin Wolf gefragt, was er von diesen Formulierungen halte. Er könne dem Inhalt weitgehend zustimmen, sagte Filzmaier, der Wortwahl allerdings nicht. „Das ist Weltkriegsrhetorik, das Zitat ,Blut, Schweiß und Tränen‘ stammt von Winston Churchill aus dem Jahr 1940, wo Menschen aufeinander schossen, weil sie unterschiedlicher Nationalität waren.“ Filzmaier kritisierte auch die Formulierung, dass „ein unsichtbarer Feind“ besiegt werden müsse. „Das Virus ist, laienhaft gesagt, nicht einmal ein richtiges Lebewesen.“

Die Kriegsrhetorik kommt in Österreich auf leisen Sohlen daher, in den USA verwendet sie Donald Trump offensiv in beinahe jeder Pressekonferenz. Ich halte es für gut, dass Filzmaier auf diese Tendenzen hingewiesen hat, wenngleich der Anlassfall nicht gerade spektakulär ist. Auch den Ausdruck „Schulterschluss“ brachte Filzmaier aufs Tapet. Ich wollte die Wortherkunft recherchieren, und das war gar nicht so einfach. Ausgehend von der Vorstellung, dass man sich „Schulter an Schulter“ für eine gemeinsame Sache einsetzt, bezeichnet der Begriff den Zusammenschluss mehrerer Kräfte, Einheiten oder Personen zu einer Allianz. Der Ausdruck „nationaler Schulterschluss“ wird heute vorwiegend von Vertretern der Regierung als Propagandaausdruck verwendet. Damit werden die Oppositionsparteien aufgefordert, alle Beschlüsse der Regierenden mitzutragen und sich jeder Kritik zu enthalten. Gesundheitsminister Rudolf Anschober formulierte es so: Jetzt sei nicht die Zeit für parteipolitische Auseinandersetzungen. Jetzt sei das Miteinander gefragt, es müsse gemeinsam an Lösungen gearbeitet werden. Aber gerade in einer Krise, die als „die schwerste seit dem Zweiten Weltkrieg“ bezeichnet wird, ist eine Kontrolle durch die Opposition und durch die Zivilgesellschaft dringend notwendig.

Auch das Wort Schulterschluss ist ein Begriff aus der Militärgeschichte. Im Rahmen der sogenannten Lineartaktik, eine für das 18. Jahrhundert typische Schlachtordnung, wurde die Infanterie in langgezogenen Linien aufgestellt, um möglichst viele Gewehre gleichzeitig zum Einsatz zu bringen. Außerdem diente diese Aufstellung dazu, die Desertion von zum Dienst gepressten Soldaten zu verhindern. Um die Linie bei Ausfällen durch Getroffene geschlossen zu halten, hatten die Flügelmänner die Aufgabe, immer nach innen zu drücken. So gesehen ist die Aufforderung zum Schulterschluss auch der Wortherkunft nach beängstigend.

Wiener Zeitung, 8. April 2020