Corona, Kultur und Klopapier #
Was ist in Zeiten der Krise notwendig, was ist überflüssig? Die aktuelle Lage bringt den Stellenwert der Kultur ans Licht, den sie in Wahrheit hat. Ein Kommentar von Daniela Strigl. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (26. März 2020)
Von
Daniela Strigl
Marie von Ebner- Eschenbach hat es aphoristisch zugespitzt: „Aus dem Verlangen nach dem Überflüssigen ist die Kunst entstanden.“ Aber was ist in Zeiten der Krise notwendig, was überflüssig? Ist die Begrenzung auf das Notwendige (Klopapier) massenpsychologisch klug? Reicht die flächendeckende Versorgung mit Schutzmasken, Verhaltensmaßregeln und Durchhalteappellen aus, um die Not des Individuums zu wenden? Oder ist das Verlangen nach der Kunst nicht gerade in einer Situation der Verunsicherung und diffusen Bedrohung essentiell?
Österreichs Medien würden diese Frage in ihrer Mehrzahl derzeit wohl verneinen. Kaum war hierzulande das allgemeine Veranstaltungsverbot etabliert, hat der „Kultursender“ Ö1 sein tägliches Kulturjournal eingestellt. Etliche sogenannte Qualitätszeitungen haben ihre Kulturseiten drastisch reduziert, als würden sich kulturelle Aktivitäten in Darbietungen vor Publikum erschöpfen, als gäbe es keine Bücher, die trotz allem erscheinen und der Rede wert sind; als gäbe es keine Wohnzimmerkonzerte im Netz; als gäbe es keine Filmschaffenden, die ihre Werke online zeigen und darüber zu sprechen bereit sind; als hätten die Menschen aufgehört, Kunst zu produzieren und zu reflektieren, weil sie sie anderen nicht mehr von Angesicht zu Angesicht präsentieren dürfen. Während die tägliche Infektionsraten- Grafik zur Fieberkurve einer Nation wird und Stillstand zur allgemeinen Tugend, verlieren Künstlerinnen und Künstler mit dem Wegfall von Gagen und Honoraren buchstäblich den Boden unter den Füßen und mit dem sich schnöde abwendenden Berichterstatter auch noch die Möglichkeit, einen Rest von öffentlicher Aufmerksamkeit zu lukrieren.
Längst begehrte Einsparungen #
Jetzt rächt sich die jahrelange Verwechslung von Eventwesen und Kunst: Der Kulturjournalismus hat seiner eigenen Liquidation vorgearbeitet. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in den Chefetagen versucht wird, aus der Krise sozusagen Kapital zu schlagen, nämlich längst begehrte Einsparungen nun als Sachzwang zu etikettieren und ohne viel Gegenwind durchzuziehen.
Ganz geht die Rechnung erfreulicherweise nicht auf. So hat der Germanist Klaus Kastberger einen offenen Brief verfasst, in dem er das Gebaren der Entscheidungsträger „erbärmlich“ nennt und gerade jetzt eine „solidarischere Auffassung von Kultur“ einfordert, nach der die Verantwortlichen sich selbst nicht als Verwalter oder bestenfalls Konsumenten begreifen, sondern als Teil des Ganzen, und Kunst-Belangen den gebührenden Raum widmen, statt sie „im letzten Winkel“ zu verstecken. Vergeblich war die polemische Liebesmüh augenscheinlich nicht, denn bald danach wurde das Kulturjournal reanimiert, zwei Mal pro Woche in bekannter Version. Den Radiomitarbeitern ist kein Vorwurf zu machen, die sind ebenso findig wie willig, ihre Arbeit im Zeichen der Improvisation zu verrichten. „Ich moderiere hier in einem Raum, der dem Kinderzimmer meiner Tochter zum Verwechseln ähnlich sieht“, vermeldete Wolfgang Popp mit charmanter Gelassenheit zum Neustart der Sendung.
Kastberger selbst ist als Direktor des Grazer Literaturhauses mit gutem Beispiel vorangegangen und hat alle, deren Lesungen abgesagt werden mussten, ersatzweise eingeladen, „Corona-Tagebücher“ zu verfassen und auf der Homepage des Literaturhauses zu publizieren – von Bettina Balàka bis Daniel Wisser. Es gehe darum, lässt er die interessierte Welt in einem ansehnlichen Handy-Video wissen, das seine Tochter am familiären Esstisch gedreht hat, die Corona-Zeit nicht als „Unterbrechung unseres Lebens zu sehen, sondern als etwas, was wesentlich Teil dieses Lebens ist“.
Ein Service für beide Seiten: für die Schreibenden, deren finanzielle Ausfälle teilweise kompensiert werden, und für das Publikum, das so erfahren kann, was eine literarische Auseinandersetzung mit dem allgegenwärtigen Thema von der Verlautbarungsrhetorik der mehr oder weniger NLP-geschulten Politiker und Medienleute unterscheidet. Denn nicht nur das öffentliche Gespräch über Kultur droht zum Erliegen zu kommen, auch das Feld der Debatte liegt weitgehend brach. Im vom Regierungsrundfunk propagierten „Schulterschluss“ (ein Wort, das man ebenso aus dem Weltkriegsdiskurs von 1914 kennt wie den „Burgfrieden“) kommen abweichende Meinungen, wenn überhaupt, nur als bedauerliche Verirrungen vor.
Zuletzt hat der ORF noch schnell ein Aushängeschild des heimischen Literaturgeschehens eingezogen und den für Mitte Juni angesetzten Bachmann-Wettbewerb abgeblasen. In der Pressemeldung ist von der „Pflicht und Verantwortung“, den Bachmann-Preis 2020 „nicht durchzuführen und nicht zu vergeben“, die Rede. Vor lauter „Pflicht und Verantwortung“ wollte man gar nicht erst abwarten, ob dann vielleicht eine Studio-Veranstaltung ohne Publikum möglich sein würde, und gar nicht erst diskutieren, ob es virtuelle Alternativszenarien geben könnte.
Überrascht von der Absage wurde sichtlich die Jury. Mit ihr, die ihre Kandidaten bereits genannt hat und immerhin die Hauptlast der Livesendung trägt, hat man sich vor der Entscheidung nicht einmal beraten. Das schlechte Benehmen nährt den Verdacht, dass der ORF die Möglichkeit eines seuchenbedingten Ausstiegs nur allzu gern genutzt hat – immerhin hat Generaldirektor Wrabetz schon vor sieben Jahren mit der Abschaffung des Bewerbs gedroht. In einem offenen Brief haben nun fünf von sieben Jurymitgliedern gegen die Absage protestiert, an die enorme Bedeutung des Preises für das literarische Leben erinnert und ein ernsthaftes Nachdenken über eine digitale Variante verlangt – in federführender Funktion wiederum Klaus Kastberger, der Kugelblitz aller aktuellen Kulturgewitter; der Jury-Vorsitzende Hubert Winkels war nicht darunter, er zeigte im Radio Verständnis für den ORF.
Digitale Übertragung? #
Dessen Kärntner Landesdirektorin, Karin Bernhard, hatte schon schriftlich erklärt, dass der Preis als Publikumsevent nicht ins Fernsehen respektive Internet zu transferieren sei – obwohl er in den letzten Jahren immer mehr zu einer Inszenierung fürs Fernsehen geworden ist. Montagvormittag legte sie nach: Eine digitale Übertragung komme nicht in Frage, „die Qualität wäre eine Katastrophe“, der ORF brauche sein Geld jetzt für die Information und er lasse die eingeladenen Autoren keineswegs im Stich: „Ist es denn ihre Rettung, nur weil sie beim Bachmann-Preis lesen?“
Montagabend schrieb der Generaldirektor den nächsten Akt der Posse, nachdem neben der IG Autorinnen Autoren auch deutsche Zeitungen Unverständnis für die Haltung des ORF bekundet hatten: Es werde heuer einen digitalen Wettbewerb geben, er freue sich „über die Initiative von Karin Bernhard“.
Man wird’s ja noch probieren dürfen. Und vielleicht will man dann im nächsten Jahr lieber gleich auf die aufwendige Realversion verzichten. Aber von Menschen, die den Begriff der Katastrophe mit mangelnder Handybildqualität verbinden, sollte die Rettung von kreativen Köpfen wirklich nicht abhängig sein.
Auch hier gilt: Die aktuelle Lage bringt nur den Stellenwert der Kultur ans Licht, den sie in Wahrheit hat.
Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.