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Freundliche Revanche nach 173 Jahren#

Mitten in der Corona-Krise erinnern sich die Iren an eine Spende der Indigenen Nordamerikas während der Kartoffelpest im 19. Jahrhundert – und helfen ihnen nun ihrerseits in der Corona-Krise.#


Von der Wiener Zeitung (9. Mai 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Siobhán Geets


Monument Valley: Hunderttausende Euro flossen von der Grünen Insel ins staubige Grenzgebiet der USA zu Mexiko
Monument Valley: Hunderttausende Euro flossen von der Grünen Insel ins staubige Grenzgebiet der USA zu Mexiko.
© Ewald Judt

Neun Federn aus Edelstahl ragen in einem Park der irischen Kleinstadt Midleton aus der Erde. Die sechs Meter hohe, kreisförmige Skulptur ist dem nordamerikanischen Volk der Choctaw gewidmet – und ihrer großzügigen Spende aus dem Jahr 1847. In Irland wütete damals die Große Hungersnot, eine Folge der Kartoffelpest, die das Grundnahrungsmittel der Iren verfaulen ließ. Mehr als eine Million Menschen starben, zwei Millionen gelang die Flucht ins Exil. Und obwohl es den Choctaw damals nicht viel besser ging, spendeten sie 170 Dollar an irische Familien – eine stattliche Summe, umgerechnet auf heute mehrere tausend Dollar.

Das haben die Iren nicht vergessen. In den vergangenen Tagen und Wochen sind mehr als drei Millionen Dollar für die schwer von der Corona-Krise betroffenen indigenen Völker Nordamerikas zusammengekommen. Ein Blick auf die Spenderliste zeigt: Es sind auffällig viele irische Namen darunter. „Ireland remembers“, steht in den Kommentarspalten auf der Spendenseite, oder „Ní neart go cur le chéile“ („Es gibt keine Stärke ohne Einheit“).

Indigene stark gefährdet#

Die USA sind schwer vom Ausbruch des Coronavirus betroffen. Mit mehr als 1,2 Millionen offiziell Infizierten und rund 76.000 Todesopfern liegt das Land weltweit auf dem traurigen ersten Platz. Vor allem die Millionenmetropole New York leidet unter der Krise. Viel weniger Aufmerksamkeit bekommen die Indigenen im Südwesten der USA.

Das mit der Ausdehnung Schottlands größte Reservat, die Navajo Nation, hat bereits am 11. März den Notstand ausgerufen. Denn die Ureinwohner sind überdurchschnittlich stark vom Ausbruch des Coronavirus betroffen: Sie stellen nur rund elf Prozent der Bevölkerung, aber mehr als 55 Prozent der bestätigten Infektionen im Bundesstaat New Mexiko. In der Navajo Nation ist die Todesrate durch Covid-19 fast doppelt so hoch wie im Rest der USA.

Durch ihre Armut sind die Indigenen Nordamerikas besonders gefährdet. Bis Dienstag gab es allein unter den Navajo mehr als 2600 Infizierte und 85 Tote – und Epidemiologen fürchten, dass der Höhepunkt der Krise hier noch bevorsteht.

In den Reservaten der Navajo und Hopi, die sich über die Bundesstaaten Arizona, New Mexiko und Utah erstrecken, leben die Menschen häufig in Großfamilien auf engstem Raum. Ein Drittel hat keinen Zugang zu fließendem Wasser, die Arbeitslosigkeit beträgt zwischen 50 und 60 Prozent. Häufig sind es ältere Menschen, die sich um die Kinder kümmern, viele von ihnen starben bereits an den Folgen von Covid-19. Diabetes, Asthma und Herz-Kreislauferkrankungen, allesamt Hochrisiko-Faktoren, sind weit verbreitet, Nahrungsmittel und Hygieneartikel knapp: In den Reservaten gibt es nur 16 Geschäfte für rund 183.000 Menschen.

Um den Einwohnern zu helfen, startete die Navajo Nation auf der Internetseite GoFundMe einen Spendenaufruf. Ziel war es, 1,5 Millionen Dollar einzutreiben – eine Summe, die mittlerweile mehr als verdoppelt wurde. Das liegt auch an den Iren. Hunderttausende Dollar flossen von der Grünen Insel ins staubige Grenzgebiet der USA zu Mexiko.

Es ist die Revanche für ein Geldgeschenk, das 173 Jahre zurückliegt. Damals litt Irland unter der schlimmsten Hungersnot in der Geschichte des Landes. Zwischen 1845 und 1849 führte die neuartige Kartoffelfäule zu Missernten, verschärft wurde die Krise durch die Regierung in London, die sich, dem Prinzip des Laisser-faire folgend, nicht einmischte und mit Hilfsmaßnahmen zurückhielt.

An eigenes Leid erinnert#

Die Große Hungersnot in Irland war eine der ersten humanitären Katastrophen, über die global berichtet wurde. Als die Choctaw davon hörten, fühlten sie sich an ihr eigenes Leid erinnert, heißt es auf der Internetseite der „Choctaw Nation“. Denn die Vertreibung der Ureinwohner aus dem fruchtbaren südöstlichen Waldland der USA ins karge Oklahoma lag nicht lange zurück. Rund 15.000 Menschen starben auf dem „Pfad der Tränen“ an Hunger, Krankheiten und Erschöpfung. Das habe das Mitgefühl der Choctaw für die leidenden Iren verstärkt, schreibt Vanessa Tulley, eine der Initiatorinnen der Spendenaktion.

Die Beziehungen zwischen Iren und nordamerikanischen Indigenen rissen seither nicht ab. So reiste etwa der spätere irische Präsident Éamon de Valera 1919 in die USA, um für die irische Unabhängigkeit zu werben. Vom Volk der Ojibwe-Chippewa wurde er als „Vertreter einer unterdrückten Nation“ begrüßt – und kurzerhand zum Ehrenhäuptling ernannt. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Verbindung zwischen den Völkern weiter gewachsen. Zum 150-jährigen Gedenken an die Große Hungersnot reiste die damalige Präsidentin Irlands Mary Robinson 1995 zu den Choctaw nach Oklahoma, vor zwei Jahren stattete ihnen Premier Leo Varadkar einen Besuch ab. In den vergangenen Jahren kamen Vertreter der Indigenen ins irische Mayo, um am jährlichen Marsch in Erinnerung an die Hungersnot teilzunehmen.

„Ich wusste, was die Choctaw in der Hungersnot getan haben, so kurz nach dem ,Pfad der Tränen‘“, sagte einer der Spender, Sean Callahan aus dem südirischen Cork, zur „New York Times“. „Diese Güte und Großzügigkeit, die ich auch bei den Iren sehe, hat mich berührt. Es ist die richtige Zeit für eine freundliche Revanche.“

„Verwandte Seelen“#

Losgetreten wurde der Hype um die Spendenaktion offenbar auf Twitter. Eine Journalistin der „Irish Times“ hatte über den Kurznachrichtendienst dazu aufgerufen. In den folgenden 48 Stunden wurden mehr als eine halbe Million Dollar gespendet, das meiste davon aus Irland. Der Stamm sei „erfreut – und nicht wirklich überrascht – über die Hilfe unserer speziellen Freunde, der Iren, für die Navajo und Hopi Nations“, schrieb der Chief der Choctaw Nation Oklahomas Gary Batton in einer Aussendung. „Seit der Kartoffelpest sind wir zu verwandten Seelen geworden.“

Das Geld soll nun genutzt werden, um Hygieneartikel und Lebensmittel für die Bewohner der indigenen Reservate zu kaufen – und so das schlimmste Szenario zu verhindern.

Wiener Zeitung, 9. Mai 2020