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Ein Gesundheitsrisiko namens Trump#

Die soziale Schräglage der US-Gesellschaft und die Inkompetenz der Trump-Administration befördern die Ausbreitung des Coronavirus.#


Von der Wiener Zeitung (10. März 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Klaus Stimeder


New York hat Washington als Bundesstaat mit den meisten Fällen abgelöst
New York hat Washington als Bundesstaat mit den meisten Fällen abgelöst.
Foto: © afp/Kena Betancur

Der Präsident tat, was er immer tut, wenn die Dinge drohen, aus dem Ruder zu laufen: Erst einmal eine Runde Golf spielen, und warum nicht auch zwei. Während seine Administration langsam aber sicher den Ernst der Lage in Sachen Coronavirus erkannte, verbrachte Donald Trump sein Wochenende dort, wo er sich am wohlsten fühlt: am grünen Rasen, mit Freunden und Geldgebern, mit einem Schläger in der Hand und einer "Keep America Great"-Kappe auf dem Kopf. Zwischendurch twitterte er wie gewohnt seine Sicht der Dinge in die Welt hinaus. Die Botschaft des 73-jährigen Ex-Reality-TV-Stars an seine Landsleute: Fürchtet euch nicht. Das Coronavirus sei nichts anderes als die gemeine Grippe und solle auch so behandelt werden; jegliche Panik sei unangebracht und außerdem sei es - wieder einmal - die Schuld der Demokraten, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Nun waren und sind die Wirklichkeit und Trumps Wahrnehmung nämlicher immer schon zwei Paar Schuhe; aber selbst eingedenk dessen war die Geschwindigkeit, wie schnell ihn und seine Steigbügelhalter im Kongress Erstere diesmal einholte, geradezu atemberaubend.

Bis Dienstag hatten sich fünf konservative Abgeordnete zum Repräsentantenhaus und ein republikanischer Senator freiwillig in Quarantäne begeben, darunter zwei von Trumps prominentesten Fürsprechern: Matt Gaetz aus Florida und Ted Cruz, der für Texas im Oberhaus sitzt. Zudem muss Trump für mindestens zwei Wochen ohne seinen neuen Kabinettschef auskommen. Mark Meadows, Ex-Abgeordneter aus North Carolina und als Nachfolger von Mick Mulvaney vierter White House Chief of Staff in ebenso vielen Jahren, sah sich ebenfalls gezwungen, sich in die Isolation zu begeben. Wie seine Kollegen hatte er bei der Konferenz des Conservative Political Action Committee Ende Februar in Washington, einem jährlichen Stelldichein des Who’s Who des rechten und rechtsextremen politmedialen Komplexes der USA, Zeit mit einem mittlerweile identifizierten Träger des Virus verbracht.

"Drastische Maßnahmen"#

Ob Trump seine Haltung zu Covid-19, wie die vom Coronavirus ausgelösten Krankheit heißt, deshalb ändern wird, ist trotzdem zu bezweifeln. Immerhin kündigte der Präsident am Montag "drastische Maßnahmen" gegen die wirtschaftlichen Auswirkungen des Virus an. Die Rede ist etwa von Lohnsteuererleichterungen, Kredite für Kleinunternehmen und Hilfe für Menschen, die nach Stundenlohn bezahlt werden.

Seine Wahlkampforganisatoren planen für den Rest des Monats aber weiterhin ungerührt Auftritte des Präsidenten in oder nahe den Ballungszentren der "Swing States", jener Handvoll Bundesstaaten, die am 3. November unter anderem darüber entscheiden werden, ob Trumps Leidenschaft fürs Golfspiel auf familieneigenen Parcours und seine Aufenthalte in ebenfalls familieneigenen Hotels weiter vom Steuerzahler finanziert werden sollen. Während der Präsident und seine engsten Mitarbeiter sich einigeln, jagt eine Hiobsbotschaft die nächste.

Als der Ölpreis in den Keller schoss, fiel der Dow Jones Industrial Index am bereits jetzt als "Black Monday 2020" in die Geschichte eingegangenen Montag um sagenhafte 2033 Punkte - ein Rekord, der an der Wall Street zu einem kurzfristigen Aussetzen des Aktienhandels führte. Zeitgleich schießen mit jedem Tag die Zahlen der mit dem Coronavirus infizierten Amerikaner in die Höhe (Stand laut den Centers for Disease Control and Prevention/CDC am Dienstag: 423 Fälle in 35 Bundesstaaten, 19 Tote) - und die Angst, dass das alles erst der Anfang ist, lässt sich kaum von der Hand weisen.

Längst weisen nicht mehr nur ausgewiesene Trump-Kritiker darauf hin, dass weder auf das von der CDC präsentierte Zahlenwerk noch auf die Worte der Trump-Administration Verlass ist, wenn es um die Wirklichkeit geht. Die Gleichung ist einfach: Wer nicht testet, der findet auch keine neuen Fälle. Die CDC und der von Trump mit dem Pouvoir, sich um das Management der Virus-Bekämpfung zu kümmern, ausgestattete Vizepräsident Mike Pence mussten mittlerweile einräumen, dass man mit der Ausstattung der amerikanischen Spitäler mit den zur Feststellung des Krankheitserregers nötigen Test-Kits schwer hinterherhinke.

Abgesehen davon, dass sich die Richtlinien, die die Behörde den Spitälern bisher übermittelt haben, extrem fragwürdig darstellen. Ein Arzt, der in einem renommierten Krankenhaus auf Manhattans East Side arbeitet und anonym bleiben will, gab der "Wiener Zeitung" Einblick: Es werde de facto nur jenen Leuten ein Bett zugeteilt, denen es bereits derart schlecht geht, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten können: "Der Rest wird nach Hause geschickt, auch wenn ein Verdacht auf Covid-19 besteht. Aufgrund der CDC-Richtlinien sowie mangelhafter beziehungsweise nicht vorhandener Test-Kits sind uns die Hände gebunden."

Widersprüchliche Signale#

New York hat mittlerweile Washington als Bundesstaat mit den meisten Fällen abgelöst. In Kalifornien, dem mit rund 40 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten US-Bundesstaat, drohen italienische Verhältnisse. Schon jetzt werden täglich weitere Schulen und Universitäten geschlossen, Musikfestivals wie das im Coachella Valley, zu denen sonst zehntausende Gäste aus der ganzen Welt kommen, und zahlreiche weitere Massen-Events werden quasi im Stundentakt abgesagt.

Auch wenn sich die lokalen Behörden vom Gouverneur abwärts noch so sehr anstrengen, die Fassung zu wahren, dämmert es auch zwischen San Francisco und San Diego angesichts steigender Krankheitsfälle mittlerweile jedem, dass die Lage nicht nur ernst ist, sondern sich täglich verschärft. Auch wenn sich Hamsterkäufe derzeit noch im Rahmen halten, haben die Supermärkte längst begonnen, in großem Stil Toilettenpapier und Handreinigungsgels zu ordern.

Angesichts der dramatischen Situation und der widersprüchlichen Signale aus dem Weißen Haus fühlte sich Andy Slavitt, unter Präsident Barack Obama als Leiter der Centers for Medicare and Medicaid Services (CMS) einer der höchsten Gesundheitsbeamten des Landes, bemüßigt, bei alten Bekannten aus den Virenforschungslabors des Landes nachzufragen, wie lange es theoretisch dauern würde, jeden der rund 331 Millionen US-Bürger auf das Virus zu testen. Antwort: in zwei Monaten, wahrscheinlich.

Was bis dahin los sein wird, lässt sich angesichts der extremen sozialen Schräglage der US-Gesellschaft, kombiniert mit der offen ausländerfeindlichen Politik der Trump-Administration, unschwer ausmalen. Nahezu die Hälfte aller Amerikaner zwischen 19 und 64 Jahren verfügt über keine ausreichende Gesundheitsversicherung. Wie die Erfahrung zeigt, gehen die meisten von ihnen - aus Angst, sich finanziell zu ruinieren - nur dann zum Arzt, wenn ihnen ihr Zustand wirklich gar keine andere Wahl mehr lässt. Rund 15 Millionen Kinder leben unterhalb der Armutsgrenze; zwei Millionen, viele davon Ureinwohner, haben keinen Zugang zu fließendem Wasser. Ganz zu schweigen von der knapp über einer halben Million Menschen umfassenden Obdachlosen-Armee und den zwei Millionen, die im Gefängnis sitzen. Das Kraut richtig fett machen aber jene knapp elf Millionen, die sich ohne gültige Aufenthaltsberechtigung im Land aufhalten.

Wer ernsthaft glaubt, dass sich diese Menschen nach Jahren der Hetze, Ausgrenzung und Verteufelung von oberster Stelle freiwillig in ein Krankenhaus begeben, in dem sie ihre Personalien angeben müssen, um sich auf das Virus testen zu lassen, der hat sein Diplom wahrscheinlich an der (wegen illegaler Geschäftspraktiken 2016 geschlossenen) Trump University gemacht.

Wiener Zeitung, 10. März 2020