Wie man sein Immunsystem für die Virenabwehr rüstet#
Gezielt gegen das Coronavirus gibt es keinen Schutz – ein starkes Immunsystem könnte aber den Krankheitsverlauf mildern.#
Von der Wiener Zeitung (28. März 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Petra Tempfer
Nackt in den eiskalten See springen. Im strömenden Regen spazieren gehen. Saunieren – oder einfach alles in regelmäßigen Abständen wiederholen. Das härtet ab, heißt es gemeinhin, das stärkt das Immunsystem. Aber abgesehen davon, dass Aktionen wie diese derzeit aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nur bedingt möglich sind: Können Sie dennoch helfen, eine Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 in unserem Körper zu bremsen? Tragen Sie dazu bei, dass die Krankheit Covid-19, die zu einer schweren Lungenentzündung bis hin zu Lungenversagen und Tod führen kann, nur mild – oder unbemerkt – verläuft?
Eines gleich vorweg: Gezielt gegen das Coronavirus gibt es im Moment keinen Schutz. Und: Es gibt auch noch keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass Menschen, die an Sars-CoV-2 erkrankt sind, immun dagegen sind. Monika Redlberger-Fritz vom Zentrum für Virologie an der Medizinischen Universität Wien geht allerdings davon aus, dass beim Coronavirus genauso wie bei anderen Viren Antikörper vor einer Neuinfektion schützen werden. Nur für wie lange, das wisse man nicht. Eine Studie aus China ergab, dass Rhesusaffen, die am Coronavirus erkrankt waren, immun gegen eine erneute Ansteckung waren. Die Ergebnisse ließen sich auch auf den Menschen umlegen, so die Forscher.
Viren, Pilze, Parasiten#
Antikörper und weitere Abwehrmechanismen werden vom Immunsystem gebildet – ein starkes Immunsystem hilft daher ganz generell bei der Abwehr jeglicher Art von Fremdkörpern wie Bakterien, Viren, Pilzen oder Parasiten. Das Prinzip dahinter: Antikörper sind Eiweißmoleküle, die sich an einem Ende mit dem zu bekämpfenden Fremdkörper verbinden, am anderen Ende an körpereigene Zellen andocken und dadurch die Fremdkörper unschädlich machen. Diese sind in unserem Fall Viren – die Antikörper schützen uns vor der Vermehrung der Viren durch deren Reproduktion in unseren Körperzellen. Im Idealfall passen Antikörper und die Oberflächenstruktur des Virus perfekt zusammen: Dieses Prinzip wird auch bei der Aktivimpfung genutzt, die es gegen das Coronavirus aber noch nicht gibt.
Daher zurück zum nackt in den eiskalten See Springen und Saunieren: Dafür, dass das sogenannte Abhärten einen direkten Einfluss auf das Immunsystem hat, gibt es zwar keinen wissenschaftlichen Nachweis – eine bessere Thermoregulation kann sich aber dennoch positiv auf die Gesundheit auswirken. „Eine gute Durchblutung ist wichtig, damit der Körper schnell auf Fremdkörper reagieren kann“, sagt Alexander Krüttgen, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie von der Uniklinik RWTH Aachen, zur „Wiener Zeitung“. Denn die B-Lymphozyten zum Beispiel, die zu den weißen Blutkörperchen gehören und im Blut und der Lymphflüssigkeit zirkulieren, sind als Teil des Immunsystems für die Antikörper-Bildung verantwortlich. Je schneller sie bei den Fremdkörpern sind, desto schneller können sie aktiv werden.
Zink und Selen#
Das Abwehrsystem braucht aber auch bestimmte Nährstoffe, um effektiv reagieren und Antikörper bilden zu können. Der viel beanspruchte Begriff „ausgewogene Ernährung“ fällt hier darunter, konkret seien vor allem die Spurenelemente Zink und Selen für die Antikörper-Bildung wichtig, ergänzt der Wiener Immuntherapeut Ralf Kleef. Bis zu 200 Mikrogramm Selen und 30 Milligramm Zink seien sinnvoll, aber auch Kupfer, Eisen oder Vitamine wie A, C, D und E. In ausgewogener Dosierung, um bei diesem Begriff zu bleiben. „Zu viel macht nicht viel Sinn“, sagt Kleef, „weil dann das meiste über die Nieren wieder ausgeschieden wird.“
Wie Ernährung und Gesundheit zusammenhängen, liegt in der fragilen Gesellschaft der Bakterien und Pilze in unserem Körper begründet – dem Mikrobiom. Die meisten dieser Mikroorganismen, an die 100 Billionen, leben im Darmtrakt, wo sie die Nahrung verwerten. Auch hier geht es um das Gleichgewicht, das Halten der Balance, damit die notwendige Menge an Nährstoffen in den Körper und damit das Abwehrsystem fließen kann. Eine Darmflora mit einer zu geringen Anzahl an Milchsäurebakterien zum Beispiel könne das Immunsystem ebenfalls schwächen, sagt Kleef, der empfiehlt, täglich etwa 100 Milliliter ungesüßtes Schaf- oder Ziegenjoghurt zu essen.
Zu viel Zucker und Kohlenhydrate, die träge machen, seien indes genauso schlecht wie zu wenig Bewegung und zu wenig Schlaf. Eine Schlafdauer zwischen sieben und acht Stunden gilt als optimal. Moderates Training untertags stimuliert das Immunsystem – denn Lymphflüssigkeit (Lymphe) wird allein durch die Muskeln mitbewegt. Blut- und Lymphgefäße sind das Verkehrsnetz des Körpers. Die Lymphe transportiert Nähr- und Abfallstoffe und entsorgt in den Lymphknoten Krankheitserreger wie Viren.
Dieser Abtransport der bereits mit Antikörpern behafteten Viren, die „Müllabfuhr“, wie Virologe Krüttgen sie nennt, müsse genauso wie die Bildung der Abwehrmechanismen schnell gehen. Dass bei älteren Patienten generell alles langsamer und träger vorangeht und das gesamte System an Flexibilität verliert, sei der Grund dafür, warum diese zum Beispiel am Coronavirus heftiger erkranken und häufiger sterben, so Krüttgen. Werden sie bettlägerig, sei das ein Teufelskreis: „Das führt zu immer mehr Funktionseinschränkungen und zu einer Minderdurchblutung, oft kommt auch noch eine Mangel- oder Fehlernährung dazu. Das drückt die Funktionalität des Immunsystems hinunter.“ Die oberste Prämisse sei daher, dass ältere Patienten, die ins Krankenhaus kommen, so schnell wie möglich wieder aufstehen. „Das bringt die Heilung.“
Fieber feuert die Abwehr an#
Bei Patienten, die an einem Virus wie dem Coronavirus erkrankt sind, ist es laut Kleef das Fieber, das Heilung bringen kann. „Die Fiebersenkung am Beginn einer Erkrankung birgt ein erhebliches Risiko für einen nachteiligen Verlauf“, sagt Kleef. Warum? „Fieber hilft den Lymphozyten, die die Bakterien und Viren bekämpfen, ihr Ziel schneller zu erreichen.“ Denn die Lymphozyten gelangen mithilfe bestimmter Proteine zur infizierten Region. Wie Forscher vom Shanghai Institute of Biochemistry and Cell Biology im Vorjahr zeigten, wird ab 38,5 Grad Celsius ein Hitzeschockprotein ausgeschüttet, durch das mehr Lymphozyten in diese Region kommen. Daher sollte man erst bei hohem Fieber fiebersenkende Mittel einsetzen, so Kleef.
Beim Coronavirus muss man sich derzeit noch auf seine Abwehrkraft verlassen. Es ist die große Unbekannte: Für die Pharmafirmen, die fieberhaft an einem Impfstoff forschen, als auch für jedes einzelne Immunsystem, das noch nie Erfahrung mit diesem hatte. Der beste Schutz vor allem für Ältere ist daher vermutlich, mit Coronaviren und damit den Menschen, die diese übertragen können, erst gar nicht in Kontakt zu kommen.
Das Immunsystem besteht aus einem angeborenen (unspezifischen) und einem erworbenen (spezifischen) Anteil. Beide Teile sind eng verknüpft und auf den gesamten Körper verteilt. Blutbahn und Lymphgefäße sind die wichtigsten Transportwege für Immunzellen und Botenstoffe.
Das unspezifische Immunsystem schützt von Geburt an vor Fremdkörpern. Zu diesem zählen die Haut, aber auch lösliche Stoffe und Zellen, die versuchen, Fremdkörper abzutöten.
Das spezifische Immunsystem wird im Laufe des Lebens erworben, man spricht von einem immunologischen Gedächtnis: Die Zellen der Immunabwehr können spezifische Strukturen (Antigene) von Fremdkörpern erkennen und gezielt Abwehrmechanismen aktivieren. Vor allem die B-Lymphozyten, die auf das Antigen ausgerichtete Antikörper produzieren, aber auch die T-Lymphozyten („Killerzellen“) spielen hier eine wichtige Rolle.