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Warum gibt es dieses Coronavirus? #

Selbst wenn ein Laborunfall bewiesen werden würde, bliebe uns die Auseinandersetzung mit den Ursachen der Pandemie nicht erspart.#


Von der Wiener Zeitung (26. Februar 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Cathren Landsgesell


Ein Forscher fängt Fledermäuse in einer Höhle in Gabon auf der Suche nach zoonotischen Viren, die potenziell die Fähigkeit erlangen könnten, auf den Menschen überzuspringen, sich dort zu vermehren und von Mensch zu Mensch übertragbar zu werden
Ein Forscher fängt Fledermäuse in einer Höhle in Gabon auf der Suche nach zoonotischen Viren, die potenziell die Fähigkeit erlangen könnten, auf den Menschen überzuspringen, sich dort zu vermehren und von Mensch zu Mensch übertragbar zu werden.
Foto: © APA / AFP / Steevee Jordan

Die "Laborthesen" gehen, grob skizziert, so: Der Ursprung dieser Coronavirus-Pandemie mit dem neuen Virus Sars-CoV-2 ist auf einen Unfall im Wuhan Institute of Virology in China zurückzuführen – entweder wurde das Virus künstlich im selben Labor erzeugt, ein Mitarbeiter infizierte sich und die Pandemie begann; oder es wurden Experimente mit dem Isolat eines noch unbekannten Virus gemacht, ein Mitarbeiter des Labors infizierte sich und die Pandemie begann. Sind diese Thesen hilfreich, um zukünftige Pandemien zu verhindern?

Die Laborthesen#

"Einen Laborunfall, die unabsichtliche Infektion eines Mitarbeiters, kann man auf wissenschaftlicher Grundlage nicht ausschließen", sagt Franz X. Heinz. Heinz ist Virologe, er forschte und lehrte an der Medizinischen Universität Wien, leitete viele Jahre das dortige Institut für Virologie, war bis vor kurzem Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Berliner Robert Koch-Instituts und ist Mitglied der Corona-Ampelkommission der Bundesregierung. Unter anderem seiner Forschung ist es zu verdanken, dass es einen Impfstoff gegen das FSME-Virus gibt, das die sogenannte "Zeckenkrankheit" auslöst, die zu Gehirnentzündungen führen kann und 2019 zwei Todesopfer in Österreich forderte. Heinz ist ein renommierter Wissenschafter, und er hat ein großes Problem mit der These, Sars-CoV-2 sei ein künstliches Labor-Produkt: Nicht nur ist sie "extrem unwahrscheinlich", wie er sagt, sie ist auch denkbar ungeeignet, die Ursachen der Pandemie zu verstehen. Versteht man diese Ursachen jedoch nicht, kann es jederzeit wieder passieren: "Es sind alle Voraussetzungen dafür gegeben, dass wieder ein neues Virus des Menschen aus einem tierischen Reservoir entsteht und die Geschichte von vorne beginnt."

Diese Voraussetzungen sind bekannt und weniger kurzweilig als die Geschichte mit der "Bat Lady" aus dem Labor in Wuhan, deren Gain-of-Function-Forschung schiefgelaufen sei: Die Virologin Shi Zheng-Li hat am Wuhan Institute of Virology an Coronaviren geforscht, unter anderem auch an dem nächsten - identifizierten - Verwandten zu Sars-CoV-2, dem Fledermaus-Virus RaGT13.

Wenn ein Unfall mit (manipuliertem) RaGT13 der Auslöser der Pandemie wäre, wären ihre Ursachen allerdings nicht behoben: Wir rücken Wildtieren in bisher nicht gekanntem Ausmaß auf den Leib und potenzieren damit unsere Chancen, wieder eine Pandemie auszulösen. "Die Ursachen der Pandemie sind in den Veränderungen in unserem Lebensstil zu suchen, und das große Problem ist das natürliche Reservoir der vielen potenziell humanpathogenen Viren", sagt Heinz. "In diese Forschung muss man investieren, wenn man Pandemien verhindern will." Diese Suche nach Ursachen hat jedoch bisher auch die Laborthesen scheinbar gestützt. Bislang sind alle Versuche, das Ausgangsvirus von Sars-CoV-2 zu identifizieren, erfolglos.

Gain of Function#

Die eine Variante der Laborthesen, nämlich, dass das Virus zur Gänze synthetischer Natur sei, kann man wohl als "kompletten Unsinn" (Heinz) beiseitelegen: Es gibt keinerlei Hinweise, die darauf hindeuten, und auch keine Hinweise, die auf eine Vertuschung einer solchen Konstruktion eines neuen Virus hindeuten. Es gibt auch für die zweite Variante der Laborthese kein Indiz. Die zweite Variante, wonach der bisher identifizierte nächste Verwandte des Sars-CoV-2, eben RaGT13, das in einer Fledermaushöhle in der Provinz Yunnan gefunden wurde, ein möglicher Ausgangspunkt war, um auf dieser Basis ein neues Virus herzustellen, stützt sich unter anderem darauf, dass die Nukleotide von RaGT13 nur zu 96 Prozent mit jenen des menschlichen Sars-CoV-2 übereinstimmen. Das Coronavirus ist somit nicht nahe genug verwandt, um als ein direkter Vorläufer in Frage zu kommen.

Vertreter der Laborthese schließen daraus, dass dieses Virus möglicherweise manipuliert wurde. Solche Gain-of-Function-Forschung findet auch tatsächlich statt, um zum Beispiel besser zu verstehen, wie Viren es schaffen, leichter übertragbar zu werden. Für die Impfstoffentwicklung braucht man die Forschung nicht. In der Regel arbeiten Wissenschafter dabei mit Infektionsversuchen bei Tieren: Primaten, Mäusen oder Frettchen. Zeigt sich, dass ein im Labor "künstlich" mutierter natürlicher Virus an Übertragbarkeit gewinnt, werden Rückschlüsse auf die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch gezogen.

Laborunfälle, etwa mit Influenzaviren, hat es in der Vergangenheit gegeben. Auch kommt es selbst in Labors der höchsten Sicherheitsstufen manchmal zu Infektionen bei den Mitarbeitern. Dass Sars-CoV-2 ein entkommener manipulierter Virus ist, ist aber unwahrscheinlich, es gibt keine Hinweise auf eine Bearbeitung – man würde etwa Spuren hinzugefügter oder entfernter Sequenzen finden – und vor allem: "Die Mechanismen, die wirklich dazu führen, dass ein neues Virus des Menschen entsteht, sind sehr komplex. Nur das Virus zu übertragen, reicht nicht aus. Die Fähigkeit, wirklich effizient von Mensch zu Mensch übertragen zu werden, erfordert große Mühe, auch für das Virus", so Heinz.

Spurensuche#

RaGT13 fehlt einiges, um einen Menschen zu infizieren bzw. ein Virus zu sein, das von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Es fehlt etwa die Bindung, mit der Sars-CoV-2 an die menschlichen Zellen bindet und seine RNA in die Zellen einschleusen kann. Es musste für diese Pandemie also ein neues, ein menschliches Virus entstehen. Bei anderen Coronaviren wurden passende Schnittstellen zu dem relevanten ACE2 gefunden. Daher stammt die Vermutung, dass Sars-CoV-2 wie auch alle bis dahin bekannten Coronaviren des Menschen, die zoonotischen Ursprungs sind, durch Rekombination entstanden ist, also durch die Verbindung mit einem anderen Virus. Etwa jenem, das man bei einem Pangolin fand.

Vorangegangene neue Coronaviren – Sars-CoV-1 und Mers-CoV –, die 2002 und 2012 entstanden, die den Menschen infizieren und auch von Mensch zu Mensch weitergegeben werden können, waren auch einmal ursprünglich Viren, die nur Tiere infizieren. Erst durch Rekombination wurden sie für den Menschen gefährlich.

Es ist nicht leicht, die Zusammenhänge zu identifizieren. Beim Aids-Virus HIV dauerte es mehrere Jahrzehnte, bis man den Ursprung fand. Die Forschung, die dafür notwendig ist, führt in Fledermaushöhlen und in Wälder und erfordert eine akribische Analyse aller Umstände, die dazu führen, dass immer mehr Viren von Tieren die Gelegenheit zur Rekombination bekommen. Weniger als 300 zoonotische Viren sind bekannt. Die Zahl der unbekannten zoonotischen Viren wird auf 700.000 geschätzt.

Wiener Zeitung, 26. Februar 2021