Das Rätsel um Österreichs Corona-Tote#
Im Vergleich mit anderen Ländern weist Österreich eine extrem niedrige Zahl an Todesfällen auf. Eine mögliche Erklärung könnte das niedrige Durchschnittsalter der infizierten Personen sein.#
Von der Wiener Zeitung (25. März 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Ronald Schönhuber und Petra Tempfer
Mehr als 6000 Tote in Italien, die an den Folgen des Coronavirus gestorben sind. Mindestens 3277 Todesopfer in China, wo die Verbreitung des Virus im Dezember ihren Ausgang nahm. Etwa 2800 Coronavirus-Tote in Spanien, 1900 im Iran, 133 in Deutschland, 122 in der Schweiz – und 28 Tote in Österreich (Stand Dienstag, 15 Uhr, laut Gesundheitsministerium und dem Corona-Zähler der Website Worldometer).
Die Liste der Länder mit mehr Todesopfern als in Österreich ist lang. Die Anzahl der Opfer ist freilich immer gemeinsam mit der Größe des jeweiligen Landes zu betrachten und in Relation zur Zahl der (entdeckten) infizierten Menschen zu setzen. Doch selbst dann sticht Österreich mit einer auffallend geringen Anzahl hervor. Konkret liegt der Anteil der Coronavirus-Todesopfer in Österreich bei rund 0,6 Prozent, während dieser in Italien etwa zehn Prozent, in China vier, in Spanien sieben und in der Schweiz 1,3 Prozent beträgt. Allein Deutschland reiht sich mit einem Anteil von 0,4 Prozent noch hinter Österreich ein.
Dass Italien und mittlerweile auch Spanien eine überproportional hohe Anzahl an Covid-19-Toten aufweisen, lässt sich noch vergleichsweise gut erklären. So ist in beiden Ländern das Gesundheitssystem mit der gewaltigen Flut an Corona-Patienten überfordert, es fehlt an Ärzten, Intensivbetten und Beatmungsgeräten. Folglich sterben in Italien und Spanien auch Menschen, die ohne diese Kapazitätsengpässe wohl überlebt hätten.
Altersstruktur und Wohlstandsniveau ähnlich#
Die Überforderung des Gesundheitssystems taugt allerdings nicht als Erklärungsmodell im Vergleich mit der Schweiz, wo es bei rund doppelt so vielen Fällen fast fünf Mal so viele Tote wie in Österreich gibt. Oder für die Niederlande, die bei fast gleicher Fallzahl zehn Mal so viele Tote haben. Oder für Belgien, wo es bei weniger gemeldeten Fällen fünf Mal so viele Tote gibt.
Mit weniger als 10.000 gemeldeten Infizierten sind all diese Länder von einem Kollaps des Gesundheitssystems derzeit noch weit entfernt. Und auch Altersstruktur und Wohlstandsniveau sind ähnlich wie in Österreich.
Eine mögliche Erklärung für die österreichische Besonderheit wäre eine deutlich geringere Dunkelziffer als in den anderen Ländern. Denn wenn es weniger Menschen gibt, die das Virus – ob nun bekannt oder unbekannt – in sich tragen, hat das natürlich unmittelbare Effekte auf die Zahl der Toten: Viele Infizierte bedeuten mehr Tote, weniger Infizierte weniger Tote.
In Wuhan in China geht man momentan von einer Dunkelziffer aus, die beim 20-Fachen der entdeckten infizierten Personen liegt. Hierzulande ist sie laut Heinz Burgmann, Professur für Innere Medizin an der MedUni Wien, mit großer Wahrscheinlichkeit geringer und liegt beim Vier- oder Fünffachen. Die Dunkelziffer schwanke generell stark, sagt Burgmann.
Dass sie gerade in Österreich deutlich niedriger ist als in anderen Ländern, halten Experten allerdings für wenig wahrscheinlich. Hierzulande werden nur Patienten mit Symptomen getestet, die Kontakt mit Erkrankten hatten. In der Schweiz, die mit 5870 Tests pro einer Million Einwohner auf das mehr als dreifache Volumen Österreichs kommt, dürfte es daher einen deutlich genaueren Blick auf die Dunkelziffer geben als hierzulande. Noch viel mehr gilt das wohl für Südkorea, das gleich von Anfang an auf Massentests gesetzt hat und mittlerweile Proben von hunderttausenden Bürger untersucht hat. Doch auch hier liegt man mit 120 Toten bei 9000 Infizierten massiv über den österreichischen Werten.
Keine stichprobenartige Testung bei Verstorbenen#
Wer als Coronavirus-Todesopfer zählt, werde in Europa einheitlich gehandhabt, sagt Judith Aberle vom Zentrum für Virologie an der MedUni Wien: Einerseits fallen als infiziert bekannte Verstorbene darunter, andererseits werde bei Todesfällen mit einschlägiger Symptomatik wie eine schwere Lungenentzündung oder hohes Fieber auf das Virus getestet, sagt Aberle zur „Wiener Zeitung“. Eine unterschiedliche Zählung der Todesfälle fällt als Erklärung für den Ausreißer Österreich also auch weg. Aus Österreichs Gesundheitsministerium heißt es dazu konkret: „Bei einer Person, die bereits an Covid-19 erkrankt war, erfolgt in der Regel keine Testung an der Leiche. Eine Testung eines Verstorbenen ohne Corona-Vorgeschichte erfolgt nur, wenn ein Hinweis auf eine mögliche Infektion besteht.“
Laut Burgmann von der MedUni Wien dürfte daher vor allem ein Umstand für die geringe Zahl an Toten verantwortlich sein: Die Infizierten sind hier mit einem Hauptanteil in der Gruppe der 45- bis 54-Jährigen relativ jung. Als Risikopatienten mit deutlich erhöhten Sterberaten gelten dagegen Menschen ab 65 Jahren, wobei die Mortalität mit den Jahren nochmals deutlich zulegt.
Doch warum sind die Infizierten in Österreich durchschnittlich jünger als anderswo? Thomas Czypionka, Leiter der Gesundheitsökonomie am Institut für höhere Studien, verweist auf die relativ spezifischen Infektionsketten in Österreich. Denn hierzulande haben sich offenbar besonders viele beim Skifahren in Tirol angesteckt. „Wer Skifahren geht, ist in der Regel eher jünger und befindet sich konstitutionell in einem besseren Zustand“, sagt Czypionka. Dass jene, die dann mit dem Virus im Blut nach Hause gefahren sind, nur relativ wenige Ältere angesteckt haben, ist laut Burgmann und Czypionka vor allem den frühzeitigen Isolationsmaßnahmen zu verdanken.
Die Skifahrer-These scheint aber nicht nur für Österreich einige Zusammenhänge zu erklären, sondern auch für andere Länder. So weisen etwa Deutschland und Norwegen eine ähnlich niedrige Todesrate wie Österreich auf. Und in beiden Ländern führen zahlreiche Hauptinfektionsketten in die Tiroler Wintersportorte.