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Wenn Corona die Regie übernimmt #

Trotz mäßiger Umfragewerte galt Donald Trump als der Favorit im Rennen um das Weiße Haus. Doch nun hat ihm Covid-19 alle seine Trümpfe aus der Hand geschlagen. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (12. März 2020)

Von

Oliver Tanzer


Bis vor wenigen Tagen lautete die Hauptfrage im Wahlkampf der USA: Wer kann Donald Trump und sein demagogisches Konzept schlagen, und wie? Aber auch in den USA stellt Corona einiges auf den Kopf. Trump ist in der Defensive, als Krisenmanager, als Wachstumsgarant – und als Hüter der Nation. #

Das Covid-19-Virus ist, das wird nun offensichtlich, nicht nur ein gesundheitliches Problem. Es ist auch ein weltpolitisches Problem und entfaltet dort seine schädlichste Wirkung, wo es von der Politik kleingeredet wird. Das bekommt USPräsident Donald Trump gerade zu spüren, und zwar so intensiv, dass es ihn die Präsidentschaft kosten könnte.

Vor wenigen Tagen besuchte ein gut gelaunter Trump die staatliche Gesundheitsagentur in Atlanta und ließ sich dort mit den Worten vernehmen, er fürchte das Virus nicht, er glaube nicht an die Sterberate, welche die Weltgesundheitsorganisation WHO veröffentlicht hatte (bis zu 3,5 Prozent, also 35mal höher als bei einer normalen Grippe). Außerdem sei das Virus nur eine leichte Erkrankung, die Menschen könnten sie zu Hause kurieren, „indem sie herumsitzen, oder auch zur Arbeit gehen“. Gerade letzterer Tipp, zusammen mit der Diskreditierung der Gesundheitsexperten, sorgte für einen Aufschrei der Empörung. Die Vorwürfe quittierte Trump mit der Bemerkung, es gebe ein internationales und nationales Komplott zur Verhinderung seiner Wiederwahl. Seither wird auf sonst recht trocken berichtenden Sendern wie MSNBC offen eine „Paranoia“ des Präsidenten besprochen.

Tatsächlich war die Reaktion Trumps auf den Ausbruch der Krise ein Abziehbild seiner Taktik als Klimaleugner: Evidenzen anzweifeln, Sorgen lächerlich machen, Wirtshausverstand statt Hausverstand pflegen. Dementsprechende Antwort auf die Frage nach Vorsichtsmaßnahmen bei seinen Wahlveranstaltungen? I wo: „Also mich stört das Virus nicht und die Zehntausenden, die zu den Veranstaltungen kommen, auch nicht.“

Virus ohne Grenzen #

Trumps Fehler: Corona ist nicht mittelbares Problem wie der Klimawandel. Es straft die Leugnungstaktik sofort. Die Krankheit hat laut US-Epidemiologen nun längst die Grenze überschritten, innerhalb derer sie als Problem durch herkömmliche Maßnahmen noch bewältigbar wäre. Etwa 20.000 Infizierte sollen es nach ihren Schätzungen sein. Konkrete Zahlen gibt es nicht, weil die Regierung viel zu wenige Tests bei Verdachtsfällen machen ließ. Etwas unter 2000 waren es nach Auskunft der US-Gesundheitsagentur CDC landesweit seit Dezember. Im Vergleich dazu Österreich: bis zu 1000 Tests pro Tag.

Das epidemiologische Desaster hat für den wahlkämpfenden Präsidenten dramatische Folgen: Denn nicht nur versagt er in der allgemeinen Einschätzung als Krisenmanager. Der Wirtschaftseinbruch im Gefolge der globalen Virus-Lähmung (siehe auch Seite 5) wird auch in den USA die arbeitsplatzintensiven Industrien treffen und die Arbeitslosigkeit steigen lassen – beides Atouts des Präsidenten im Wahlkampf. Damit wären Trump mit einem Mal alle Trümpfe aus der Hand geschlagen, wenn nicht noch ein Wunder passiert und das Virus binnen weniger Wochen verschwindet.

Allerdings muss hinzugefügt werden: Auch seine demokratischen Herausforderer haben derzeit wenig zu bieten, was Covid-19 betrifft. Zwar üben sich der gemäßigte Joe Biden und der weiter links stehende Bernie Sanders in harscher Kritik am Präsidenten. Doch ihnen selbst fällt derzeit darüber hinaus auch nicht sehr viel ein.

Sanders fordert da etwa einen Impfstoff für alle gegen Corona, aber bekanntlich gibt es den noch nicht und es wird ihn auch über die nächsten Monate nicht geben. An in China und Europa erfolgreich probierten harschen Strategien zur Eindämmung der Ausbreitung beteiligen sich weder Biden noch Sanders. Immerhin scheinen bei ihnen die wichtigsten Botschaften der Experten anzukommen. So sagten beide die Massenveranstaltungen nach den Vorwahlen am Dienstag ab.

Im Fokus des Wahlkampfs #

Immerhin rückt das private Gesundheitssystem der USA nun endgültig in den Fokus der landesweiten Diskussion. Denn viele Bürger kommen nicht einmal in die Nähe adäquater Versorgung – aus Geldmangel. Dieser offensichtliche Reformbedarf ist nun mehr als bisher Thema. Bernie Sanders hat sich jedenfalls ein staatlich finanziertes Gesundheitssystem für alle auf die Fahnen geheftet. Das betrifft auch das Arbeitsrecht in den USA, das derzeit die Kranken in ihren Lohnfortzahlungsansprüchen nur unzureichend absichert.

Allein: Sanders Programm (inklusive kostenloser Kinderbetreuung und freien Uni-Zugangs) würde 52 Billionen Dollar kosten. Diese Summe lässt sich nicht über Millionärssteuern und eine Tobintax allein finanzieren. Die zu erwartenden Einnahmen dadurch lägen nur bei 24 Billionen. Es bleibt also ein hoher Fehlbetrag. Solche Berechnungsschieflagen sind es mitunter, die derzeit viele demokratische Wähler ins Lager des ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden treiben. Bidens Programm hat zwar nicht die Schärfe des Sanders’schen, aber er verspricht immerhin, die Trumpjahre ungeschehen zu machen: Das Recht auf Abtreibung soll gesetzlich verankert werden. Der Klimaschutz soll mit einem Green New Deal mit 1,7 Billionen Dollar vorangetrieben werden. Die Gesundheitsversorgung soll laut Biden durch eine Versicherung der öffentlichen Hand ergänzt werden, die gegen die privaten Versicherer antritt und diese zu Zugeständnissen gegenüber ihren Kunden zwingen kann. Den in Bildungsschulden verstrickten Studenten der USA (unter anderen auch Bidens Konkurrent Pete Buttigieg) sollen kostenfreie Semester aus der Misere helfen. Für die unterprivilegierten schwarzen Gemeinden soll es mehr Staatsunterstützung geben, vor allem in der Bildung. Verglichen damit wünscht sich die Mehrheit der Amerikaner aber radikalere Reformen. 62 Prozent sind laut Umfrage des Democracy Fund für die Besteuerung der reichen Klasse, ebenso viele meinen, dass Colleges nichts kosten dürfen, immerhin die Hälfte wünscht sich eine staatliche Gesundheitsversorgung für alle. All das kann Joe Biden nicht bieten. Zu seinem Trost sei vermerkt: Donald Trump noch viel weniger.

Der Politologe Patrick Schoettmer von der Seattle University sagte in einem Interview mit der Austria Presse Agentur, dass Covid sowohl Sanders als auch Biden helfen könnte. Die aktuelle Krise würde die „nationale Dringlichkeit“ ihrer Bemühungen unterstreichen. Entsprechend fallen auch die jüngsten Umfragen aus (siehe S. 3). Sowohl Biden als auch Sanders haben da einen Vorsprung auf Trump in der Wählergunst. Dabei ist Covid-19 gerade erst einmal angekommen in den USA.

DIE FURCHE (12. März 2020)