Anna Hofer, die vergessene Frau#
Das tragische Schicksal des Tiroler Freiheitshelden Andreas Hofer erzählt die Tiroler Historie bekannterweise mit großem Pathos. Doch das harte Leben seiner Frau, Anna Hofer, schildert erst Jeannine Meighörner, Wissenschafterin, in ihrem Buch „Starkmut“.
Von der Wochenzeitschrift Die Furche freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Helga Reichart
Ihr Frühling trug Erdbeerfinger,
der Sommer Ohrringe aus
Kirschen.“ … Und das war’s
auch schon für Anna Ladurner,
das frische, selbstbewusste
Mädchen aus der wohlhabenden Weinbauernsippe
am Zenzenhof und am heute
noch bestehenden, stattlichen Plonerhof in
Algund bei Meran. Gleichsam schlagartig
sollte sich die Zeit der Erdbeerfi nger und
Kirschenohrringe jedoch ändern, als der
junge Andre Hofer aus dem Passeiertal in
Algund auftaucht und sich beim Kirchtags-
Ranggeln den Hagmoar erkämpft. Ein bissel
jung ist er zwar noch, der Hofer … aber was
für ein kräftiges, schönes Mannsbild!
Annas Herz ist gefangen. Für immer. Zwar
wird die Verliebte gewarnt: Das Wirtshaus
„Am Sand“ in St. Leonhard im Passeier sei
verschuldet, der Andre raufe am liebsten
oder er säße als Wein- und Rosshändler im
Sattel. Doch Liebe hat keine Zeit zum Säumen,
bald kommt der Heiratsmacher angeritten.
Anna sei jetzt im Brautstand, verkündet
der Vater verhalten unwillig. Sie dürfe dem
Andre die Hand reichen. Der Brautstand ist
kurz, die Brauttruhe wohlgefüllt. Auch das
doppelschläfrige Ehebett samt den erwartungsvollen
Strohsäcken und die Schaukelwiege
werden auf den Karren gehoben, dann
geht’s hinein ins Passeier. Die Berge ziehen
sich immer enger um Anna zusammen; die
Passeirer begrüßen die „Edelvinschgauerin“
als hantige „G’stopfte“ mit gemäßigtem
Jubel. Das Hochzeitsfest aber erlebt sie als
„heitere Braut, ihrem Schicksal freudig ergeben“.
Sie sei die rechte Frau, um dem unruhigen
Geist des Hofers einen Hafen zu
schaffen, meint der Kaplan hoffnungsvoll.
Und die Anna beschließt ihren Mann zu lieben,
mit aller Kraft zu lieben. Mit aller Sturheit zu lieben, an der sie nie Mangel hatte.
Und eine Ladurnerin hält Wort.
Mit Elan übernimmt sie die Landwirtschaft und die Arbeiten in der Taverne „Am Sand“. Ebenso schwungvoll transportiert der junge Ehemann seine Waren über den Jaufen in die Hauptstadt und nach Hall, wo die Hofschranzen und Pfeffersäcke und die reichen Münzer durstig sind nach Welschschwarzem, Vernatsch und Muskateller. Er ist gesprächig und beliebt, wenn auch etwas zu vertrauensselig, wie Anna entdeckt, und erhält 1790 ein politisches Mandat für den offenen Landtag in Innsbruck.
Andreas Hofer sitzt Stunden in der Kirche
Nun ist der Hofer noch seltener „Am Sand“
aufzuspüren. Und Anna? Eine ganze Ernte,
zwei Monate im Wirtshaus und ihren ersten
Hochzeitstag sollte sie ohne ihren Mann verbringen!
Aber der Andre zieht sie rasch ins
Heu und zeigt ihr, wie viel sie ihm bedeutet.
Die Ehe wird zu einer Reihe von Kurzbesuchen
eines Liebhabers, dessen Lebensweise
nicht bescheiden ist. Er führt auf seinen
Fahrten stets Wein und Schnupftabak mit
sich, ist neumodischen Lastern wie Schokolade,
Kaffee oder Likör nicht abgeneigt, während
Anna an jedem Bissen sparen muss.
Die Passer tritt jährlich über die Ufer und
verschont auch den Sandhof nicht. Bei seinem
liebsten Geschäft, dem Rosshandel, verliert
der Sandwirt immer wieder beträchtliche
Summen. Das erste Kind stirbt. Weitere
Geburten gestalten sich schwierig. In den
Wehen beißt die Anna auf einen Silberling,
der schon die Bisskerben ihrer Mutter trägt.
Ihren Mann will sie in Kindsnot nicht belästigen.
Von ihren sieben Kindern sterben zwei.
Vaters ganzer Stolz ist Stammhalter Hans,
ihr einziger Sohn, benannt nach Erzherzog
Johann. Anna besteht darauf, dass auch ihre
Töchter – obwohl sie lei Goaß’n sind – eine
gute Ausbildung erhalten.
Derweil übt sich der Hofer im Schießen,
denn der Name „Bonapartl“ geistert durch
die Schankstuben. In der Bozner Pfarrkirche
verharrt er stundenlang im Gespräch
mit Gott, auf dass dieser die Heimat vor dem
Antichrist aus Korsika beschütze. Er legt
mit seinen „Mandern“ das Herz-Jesu-Gelöbnis
ab; über den Tälern lodern die Bergfeuer.
Für Andreas Hofer ist sein Tirol ein „Heiliges
Land“ und ein Krieg, den der Himmel verhüten
möge, ein „Heiliger Krieg“. Auch wenn
die Anna dies wohl nicht verstünde.
Bald bestimmt Napoleon das Leben. Unter
dem Joch der Bayern wird Tirol zum Armenhaus.
Andre Hofer führt seinen Freiheitskampf,
Anna ihren eigenen. Sie schuftet am
Feld – die Knechte hat ihr Mann für den Krieg
begeistert –, leitet die Geschäfte und betreut
ihre fünf Kinder. Lange vor der Frühmesse
beginnt ihr Tagwerk. Ja, sie hat viel „G’frett“
am Hals. Aber – sie habe allen Grund stolz
zu sein, sie sei ja das Weib des Kommandanten
von Tirol. Dieser reitet gelegentlich
„Am Sand“ ein und reicht ihr die Hand wie
ein Feldherr vom Ross herab. Annas Hand ist
erdig und verschwitzt, wie alles an ihr.
Im August 1809 kommt dann die Siegesnachricht:
Zu Maria Himmelfahrt hätten
15.000 Tiroler unter der Führung des
Sandwirtes „Vater Hofer“ in der 3. Bergiselschlacht
eine Überzahl von Bayern und Franzosen
geschlagen!
Als mit der Doppelzüngigkeit der Herrscher und ihrer Politik für Andreas Hofer das bittere Ende kommt, verkriecht sich die Hoferin nicht im Haus. Sie bringt ihre Töchter zu Verwandten und flieht mit Mann und Sohn im Schneetreiben auf die Pfandleralm. In tiefer Not ist die Liebe zurückgekehrt. Im Schlaf werden sie von den Franzosen überrascht, barfüßig vor die Hütte gezerrt und als „Insurgenten“ in die Fronfeste in Bozen geworfen. Ein Rattenloch.
Anna Hofer bietet dem Kaiser die Stirn
Wie Andreas Hofers tragisches Geschick
endet, erzählt die Tiroler Historie mit Pathos.
Nicht erwähnenswert scheinen der Name
Anna Hofer und die Verarmung ihrer Familie
nach der Rückkehr ins Passeier zu sein. Dem
Sandhof droht der Konkurs.
Genug, sagt sich die Sandwirtin. Das ungeschriebene
Gesetz, nach dem der Mann befi ehlt
und die Frau liebt und schweigt, hat für
sie keine Bedeutung mehr. Fünfundvierzig
Jahre ist sie und steigt zum ersten Mal in eine
Reisekutsche. Sie will nach Wien, will dem
Kaiser die Stirn bieten. Er würde ihr den Tod
ihres Mannes und die Zukunft ihrer Kinder
teuer bezahlen müssen. Gekleidet in die Passeiertracht
mit der hohen, blauen Fatzelhaube
marschiert sie durch die Stadt und erregt
Aufsehen. Tatsächlich steht die Hoferin drei
Tage nach ihrer Ankunft vor Seiner Majestät.
Sie setzt ihren Schädel durch. Nach der zweiten
Audienz bei Franz I. in der Sommerresidenz
zu Baden tritt Anna Hofer laut Polizeibericht
am 7. September 1810 die Heimreise an.
Das Adelsdiplom so gut wie in der Tasche. Sie
habe ihn besiegt, dieses unbeugsame Weib in
seiner Tracht. Das war alles, was Franz I. über
Anna, Edle von Hofer, noch äußerte.
Im Passeiertal weiß man Bescheid: Die
Hoferin ist als Einzige reich geworden, sogar
adelig. Zwar würde sie nie darüber sprechen,
aber im „Boten für Tirol und Vorarlberg“ hätte
es gestanden, gleich nachdem die Bayern
verschwunden waren und Napoleon auf diese
Insel verbannt worden sei. Anna Hofer ist
1836 in St. Leonhard/Passeier gestorben. Sie
hat ihren Mann um fast siebenundzwanzig
Jahre und ihre vier Töchter überlebt.
Jahrzehntelang blieb ihr Grab ein vergessener Hügel, auf dem das Holzkreuz verfaulte und die Wildkräuter wucherten. Erst im Jahr 1909, zur Jahrhundertfeier des Tiroler Freiheitskampfes, stiftete das Land Tirol einen Grabstein. „Hier ruhet in Gott die Sandwirtin Anna Ladurner, Andreas Hofers Weib.“ Und darunter – heute kaum mehr leserlich – der Grabspruch von Bruder Willram: „Ein starkmütiges Weib, wer findet es? Ihr Wert ist Dingen gleich, die weither aus fernsten Fernen stammen.“
Starkmut. Das Leben der Anna Hofer
Von Jeannine Meighörner.
Loewenzahnverlag, Innsbruck 2009.
196 S., geb., € 17,95
Quellen#