Feldschere#
Feldschere nannte man nachweisbar seit dem 16. Jahrhundert Chirurgengesellen, die dem Heer zugeteilt und für die wundärztliche Versorgung zuständig waren. Entweder wurden sie während ihrer Gesellenzeit zum Militärdienst ausgehoben, oder sie meldeten sich freiwillig, denn der Krieg galt als »die hohe Schule der Chirurgie«. Ihren Befugnissen waren für gewöhnlich weniger Beschränkungen auferlegt als den zivilen Wundärzten, weil Notfälle im Feld ja nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellten. »Wir wollen alle diese vorsorglichen Anstalten loben«, sagte eines Abends der Hauptmann; »nun geht uns aber das Notwendigste noch ab, ein tüchtiger Mann, der das alles zu handhaben weiß. Ich kann hiezu einen mir bekannten Feldchirurgen vorschlagen, der jetzt um leidliche Bedingungen zu haben ist, ein vorzüglicher Mann in seinem Fache, und der mir auch in Behandlung heftiger innerer Übel öfters mehr Genüge getan hat als ein berühmter Arzt.« (Goethe, Die Wahlverwandtschaften). Übrigens war Friedrich von Schillers Vater Johann Kaspar Schiller auch ein Feldscher, der unter Herzog Karl Eugen diente.
Ein anderer, des »Großen Kurfürsten Feldscher«, war Meister Johann Dietz, geboren am 18. Dezember 1665 in Halle an der Saale, der – siebzigjährig – niederschrieb, »was er als preußischer Feldscher in Ungarn wider die Türken, als Schiffsarzt mit holländischen Walfischfängern am Nordpol, auf Reisen in deutschen Landen als Barbier und Chirurg mit Räubern und Jungfern, Soldaten und Gespenstern, endlich daheim mit zweien Ehefrauen erfahren, und also auf dieser Welt insgesamt hat leiden müssen«.
Als »junger Mensch« war Dietz »sehr glücklich im Kurieren« und wurde öfters zu Kranken geholt, »wann niemand helfen konnte. Sonderlich fiel damals die ungarische Haupt-Krankheit [ein Fieber, begleitet von heftigen Kopf- und Magenschmerzen] ein, da die Herrn Doctores die Aderlass verordneten und dann Wein und Trinken verboten. Ich aber ließ keinen zur Ader, ließ ein Gläschen guten Wein trinken, brauchte confortantia [stärkende Arznei] und alexipharmaca [Gegengifte]. Meine Patienten wurden besser. Die andern starben weg.«
Jahre später, der Große Türkenkrieg war 1683 ausgebrochen, machte Johann Dietz als Feldscher in einem Artillerie-Regiment der Brandenburger unter Generalmajor Ernst von Weiler den Marsch nach Ungarn und die Belagerung der Hauptstadt, die damals Ofen hieß, mit. Es war Juni 1686, als der Feldchirurgus Dietz in den Approschenzügen (Annäherungsgräben) bei einer Attacke gegen die Wasserstadt, einen an der Donau liegenden Vorort der Festung Ofen, seine ersten Kriegserfahrungen machte. »Mein Gott, was war da für ein Geschrei und Lamentieren von den Blessierten von allerhand Nationen. Etlichen waren die Arme, Beine weg, etlichen die Köpfe entzwei, die untern Kinn weg, daß die Zunge da hing. Wann sie so mir, auf den Zeltstangen entgegen getragen wurden und schrieen erbärmlich: ›Ach, mach mich tot! Stech mich tot!‹, da dacht ich: ›Daß Gott erbarme, gehet’s hier so zu? Wärest du davongeblieben, wie dich dein Vater gewarnet hat‹.« Auch die Türken »fielen wie die Fliegen […] und wurde auch keiner bei dem Leben gelassen, sondern alle massakriert und meist die Haut abgezogen, das Fett ausgebraten und die membra virilia abgeschnitten und große Säcke voll gedörret und aufbehalten. Als woraus die allerkostbareste mumia gemacht wird. Sie wurden auch meistens aufgeschnitten und die Eingeweide durchsuchet, ob etwa, wie ehemals, Dukaten verschlucket gefunden würden.« Tage und Wochen vergingen, und »da war nichts, als Donner, Blitz, Rauch, Geschrei, Trommeln, Lärmen und Trompeten. [….] Ich hatte selbige Zeit viel zu thun, wenig Ruhe und brachte die Stiefeln nicht Tages als Nachtes von’n Füßen.« Endlich wurde das Signal zum Hauptsturm auf die Festung Ofen gegeben. Man schrieb den 2. September 1686. Die Mannschaften bekamen Pulver und Blei, Wein und Branntwein. »Es war just umb ein Uhr bei hellem Wetter mittags, da die Türken pflegten zu schlafen oder zu essen. Und hatten sich’s am wenigsten versehen, als die Unsern in der größten Stille, ohne einigen Schuß, die Bresche erstiegen. […] So bald die ersten Gewehr losgingen, da wurde Lärmen und ging alles über und über mit Stücken, Granaten und Steinwerfen, Schießen und Hauen; sogar die türkischen Weiber und Kinder, auch die Jüden, derer viel darin waren, trugen zu und wehreten sich desperat auf der Bresche; also daß die Toten auf derselbigen über zwei Ellen übereinander lagen. Es half aber nichts. Sie mußten daran glauben. Sie mochten nun sich wehren und schreien, wie sie wollten, die Stadt war erstiegen.
Da ward das Kind im Mutterleibe nicht geschonet. Alles, was angetroffen ward, mußte sterben. Wie ich denn mit Augen gesehen, als ich auch vom Berge über die Bresche in die Stadt gedrungen, daß Weiber dagelegen und die gelösten
Pistolen noch in der Hand haltend, teils bloße Säbel. So aber nackend ausgezogen, die Leiber mit Partisanen durchstochen, durch die Geburt; die Leiber aufgerissen, daß die noch nicht gebornen Kinder herausgefallen; welches
mich am meisten gejammert. Nackete Kinder von ein bis zwei Jahren aufgespießet und an die Mauern geschmissen wurden! – Ich bin erstaunet, was da ist vorgegangen, daß auch Menschen viel grausamer, als Bestien gegen einander sich
bezeigeten.«
Der Feldscher und Hofbarbier Johann Dietz zeugte noch einundsiebzigjährig eine Tochter, die auf den Namen Tabea Friederika getauft wurde, und starb ein Jahr darauf. Das Manuskript seiner indiskreten Lebenserinnerungen landete schließlich, ziemlich ramponiert schon, in der Königlichen Bibliothek zu Berlin, wo es die Signatur – Nic. 229.40 –
erhielt.
Quellen#
- Verschwundene Arbeit, R. Palla, Christian Brandstätter Verlag, 2010