Postillione#
Postillione (auch Postknechte, Postreiter, Postjungen) kutschierten Postfuhrwerke, die erstmals im Jahre 1690 zwischen Nürnberg und Frankfurt am Main verkehrten und Personen, Briefe und Pakete beförderten. Sie lösten nach und nach die recht unbequemen Landkutschen oder Haudererwagen ab.
Besonderes Aufsehen wegen ihrer Schnelligkeit und Pünktlichkeit erregte die sogenannte Journalière zwischen Berlin und Potsdam, die vom Jahre 1754 an zunächst einmal, bald darauf täglich zweimal hin- und zurückfuhr und für die sechsundzwanzig Kilometer lange Strecke vier Stunden benötigte. Etwa um die gleiche Zeit wurde eine Personenpost zwischen London und Edinburgh eröffnet, die in der sensationellen Zeit von sieben Tagen die etwa sechshundert Kilometer lange Strecke bewältigte.
Die nun auf immer mehr Kursen regelmäßig verkehrenden Personenpostwagen, Eilpostwagen, mail-coaches, malle-Postwagen, Post-Omnibuswagen, kurz Postkutschen genannt, mit vier und mehr kräftigen Pferden bespannt, vergleichsweise elastisch gefedert und weich gepolstert, fanden beim Publikum allgemein große Anerkennung, doch auch die Gegner meldeten sich eifrig zu Wort: »Außerdem kann es für Niemand gesund sein«, urteilte einer der Nörgler über die Strapazen, die ein Passagier auf sich nehmen mußte, »dass er ein oder zwei Stunden vor Sonnenaufgang aus dem Bett in die Postkutsche muss, dass er bis in die Nacht hinein in vollster Hast von Ort zu Ort weitergebracht wird, so dass er, wenn er den ganzen Tag gesessen, im Sommer von Staub und Hitze erstickt, im Winter halb erfroren und hungrig bei Fackellicht in die Herberge kommt, um am andern Morgen wieder so zeitig in die Postkutsche gepackt zu werden, dass er nicht einmal frühstücken kann. Wird eines Mannes Gesundheit oder Geschäft gefördert, wenn er mit kranken, alten Personen oder mit heulenden Kindern fährt; wenn er allen Launen sich fügen muss, durch stinkende Düfte vergiftet, durch Schachteln und Ballen zum Krüppel gedrückt wird? Ist es ihm etwa gesund, wenn er auf schlechten Wegen umgeworfen wird, bis an die Kniee im Dreck waten muß und in der Kälte sitzt, bis neue Pferde herbeigeholt sind, welche die Kutsche weiterziehen? Ist es gesund, in verfaulten Kutschen zu fahren, bis eine Achse oder ein Rad bricht, so dass man alsdann drei oder vier Stunden, oft auch einen halben Tag warten und bisweilen selbst die ganze Nacht reisen muss, um das Versäumte wieder nachzuholen?«
Und der Göttinger Gelehrte und Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) sorgte sich um die Moral in den bequemen Postwagen, »die immer voll schöner wohlgekleideter Frauenzimmer stecken, und wo die Passagiere so sitzen, daß sie einander ansehen müssen; wodurch nicht allein eine höchst gefährliche Verwirrung der Augen, sondern zuweilen eine höchst schändliche, zum Lächeln von beiden Seiten reizende Verwirrung der Beine, und daraus endlich eine oft nicht mehr aufzulösende Verwirrung der Seelen und Gedanken entstanden ist«.
Die äußeren Kennzeichen des Postillions, der auch Schwager – angeblich vom französischen chevalier – genannt wurde, waren auffallend und fast überall gleich: eine in Farbe und Schnitt besondere Dienstkleidung (blaue Jacken mit rotem Kragen und silbernen Litzen) als Ausdruck der amtlichen Würde, das Posthorn an einer farbigen Schnur, das quer über die Brust hing, das Wappen des Landes- oder Dienstherrn in einem Schild, das auf der Brust oder auf dem Arm befestigt war, die hohen steifen Stiefel (um beim Reiten einen möglichst guten Halt im Sattel zu haben) und schließlich der »Postzettel« als Legitimation für die Inanspruchnahme der eingeräumten Vorrechte.
Der Postillion durfte beispielsweise von den öffentlichen Landstraßen abweichen und Nebenwege benützen, ja unter Umständen sogar Äcker und Wiesen befahren. Er war von Zoll und Geleitabgaben befreit und genoss obrigkeitlichen Schutz gegen jede Art von Bedrohung und Gewalt. Ferner durfte er während seines Dienstes weder verhaftet noch vor Gericht zitiert werden, und auf ein Signal mit dem Posthorn mussten die Schlagbäume und nachts die Stadttore geöffnet werden. Die Postillione waren angewiesen, das weitschallende Posthorn sowohl beim Abfahren, beim Passieren der Schlagbäume, Stadttore und Ortschaften als auch bei der Ankunft in der Station »fleißig und wohl zu blasen«, wie es die Königlich-Preußische Postordnung (1712) ausdrücklich anordnete, widrigenfalls Entlassung oder Versetzung auf kleine Nebenkurse drohte. »Töne, Schwager, ins Horn, / Raßle den schallenden Trab, / Daß der Orkus vernehme: wir kommen, / Daß gleich an der Türe / Der Wirt uns freundlich empfange«, heißt es bei Goethe. Aber auch andere Dichterkollegen wie Lenau, Rückert, Müller, Chamisso, Scheffel, Heine und Eichendorff ließen sich von Postillion und Posthornklang zu stimmungsvoller Lyrik hinreißen.
Der Postillion lenkte entweder vom hohen Platz auf dem Bock aus mit großer Anstrengung der Arme das Gespann, oder er ritt auf einem Sattelpferd und war allen Unbilden der wechselnden Witterung ausgesetzt. Durch das viele Reiten litten die Postillione vielfach unter Geschwüren am Hintern und an Hämorrhoiden. Der italienische Mediziner und Begründer der modernen Pathologie Giovanni Battista Morgagni (1682–1771) versicherte, bei keiner Berufsklasse so häufig Aneurysmen (eine krankhafte Erweiterung der Aorta) angetroffen zu haben wie bei Postillionen. Nach einer anderen medizinischen Aussage waren die Postillione »sehr geneigt für die Freuden der Liebe; ohne Zweifel eine Folge der Friction des Mittelfleisches (zwischen Skrotum und After) an dem Sattel und der gelinden Erschütterung, welche sich den Samensträngen mittheilt. Dieser Ursache sind auch die Pollutionen beym Reiten zuzuschreiben, woran manche leiden und natürlich dadurch sehr entkräftet werden.«
Quellen#
- Verschwundene Arbeit, R. Palla, Christian Brandstätter Verlag, 2010