Steinmetzen#
Steinmetzen (auch Steinhauer) waren besonders gefragt, als sich im Hochmittelalter die Hinwendung vom Holzbau zum teuren, aber dauerhafteren Steinbau bei sakralen Gebäuden, Pfalzen, Burgen, Stadthäusern, Befestigungen vollzog. Ihre Arbeit ging sehr oft in die Kunst der Architektur und der Steinbildhauerei über. Einen technischen wie künstlerischen Höhepunkt erreichte das Steinmetzhandwerk in der Gotik. Die neue Wölbetechnik mit Hilfe von Kreuzrippen und Strebebogen zur Aufnahme des enormen Gewölbedrucks sowie Spitzbogen und Maßwerk (aus geometrischen Formen gebildete stabartige Glieder) als konstruktive Elemente erforderte nicht nur handwerkliches Können, sondern auch ein umfassendes Wissen und einen sicheren künstlerischen Blick. Als Beispiel mag die einflussreiche Baumeister- und Bildhauerfamilie Parler aus Schwäbisch Gmünd dienen, deren Mitglieder als Hüttenmeister an den großen Kirchenbauten in Prag – Peter Parler baute dort ab 1357 auch die meisterhafte steinerne Karlsbrücke –, Wien, Freiburg, Basel, Straßburg und Ulm tätig waren. An diesem Beispiel lässt sich auch der Übergang einer Berufsbezeichnung auf den Familiennamen demonstrieren. Das französische Verb parler für »sprechen«, »reden« ging im Sinne von Sprecher beziehungsweise Vorarbeiter auf den Eigennamen Parler über und lebt im heutigen »Polier« noch fort.
Die für kirchliche Großbauten verpflichteten Baumeister und die angeworbenen Bauleute, darunter die Bruderschaft der Steinmetzen, waren in der Bauhütte vereinigt. Neben den Hüttensteinmetzen bestanden auch städtische Steinmetzen, die in der Zunft ihre Organisation hatten und deren Existenzgrundlage zumeist die weltlichen Bauten waren. Zweck aller Bauhütten und der Zunft war die Ausbildung (worüber die beiden rivalisierenden Organisationen gelegentlich in heftigen Streit gerieten) und Beschäftigung tüchtiger Steinmetzen, dann aber auch die Pflege »treuer Freundschaft, religiösen Empfindens und sittlichen Strebens«. Der jährlich nach Tüchtigkeit frei gewählte Vorsteher (Stuhlmeister) hatte »nach Handwerksbrauch und Gewohnheit« Streitigkeiten zu schlichten; die übrigen Brüder waren gleichberechtigt. Die Lehrzeit dauerte fünf bis sieben Jahre, und bei der feierlichen Lossprechung musste der Geselle unter anderem eidlich geloben, das Kunstgeheimnis zu bewahren, gehorsam zu sein, auf die Ehre des Handwerks zu halten und sein Steinmetzzeichen nicht zu ändern. Gemeint war ein geometrisches Zeichen, das ihm von der Bauhütte verliehen wurde und ursprünglich der Lohnberechnung, aber auch als Inschrift diente; auch die Meister hatten ihre eigenen Zeichen. Ferner wurde der Freigesprochene in die Geheimnisse des Grußes und Ausweises eingeweiht, die ihm auf Wanderschaft Eintritt in alle Bauhütten verschaffen sollten.
Zum handwerksmäßigen Vorsprechen um Arbeit gehörte auch die entsprechende Kleidung. Der fremde Steinmetz trug einen dunkelblauen, von rechts nach links mit mindestens drei Knöpfen geschlossenen Rock, weiße, zumeist englischlederne Hosen und sogenannte Suffro- (Suwarow?) oder Exkusestiefel, ein schwarzes Halstuch und auf dem Kopf einen Zylinderhut. Der Schnurrbart war bei den Steinmetzen verpönt. In der Hand trug der Reisende den »Exküser«, einen Stock aus starkem braunem Rohr mit schwarzem Hornknopf, ein Geschenk des Lehrgesellen oder Lehrmeisters, gewissermaßen als Dank für das kostspielige Schmausen bei der Lossprechung. Mit dem »Exküser« hatte er das Recht erworben, »regulär« als »fremder« Steinmetz auf anderen Werkplätzen »zuzusprechen«. Gab es Arbeit, folgte im Begrüßungsraum nun ein recht umständliches und langwieriges Ritual, das als »Ausweis« bezeichnet wurde, mit viel »Exküse« und »Gottes Wohlsein«. Vorher stärkte man sich mit Wein und Weißbrot. Für den »Ausweis« waren die »Stellungen« und die »Abnahme« derselben charakteristisch. Rudolf Wissell erläuterte den fast choreographisch anmutenden Brauch in seinem Standardwerk Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit (1929): »Durch die Art der Aufstellung der arbeitenden Gesellen wurden bestimmte Figuren markiert, deren Bedeutung nur dem zünftigen Steinmetzen bekannt und im wesentlichen aus der Fußstellung der Gesellen ersichtlich war. Diese Figuren waren durch ›Antreten‹ und ›Abtreten‹ der sie darstellenden Gesellen von dem Fremden abzunehmen, was mit ganz bestimmten Worten zu geschehen hatte. Für irgendeine Stellung waren mindestens zwei Steinmetzen erforderlich. Ein einzelner konnte nur eine rechts oder eine links gerichtete ›Irrbank‹ darstellen. […] Für alle Stellungen war die Haltung des Oberkörpers gleich. Die Arme wurden über der Brust derart gekreuzt, dass die rechte Hand auf dem linken Oberarm und der linke Unterarm auf dem rechten Unterarm lag. […] Die Ferse des rechten Fußes musste in die Höhlung des linken Fußes gezogen werden, oder umgekehrt, so dass die Füße einen rechten Winkel bildeten.« Je nach Anzahl der teilnehmenden Personen konnte ein stehendes und liegendes Richtscheit, ein Dreieck, ein Quadrat, ein Fünfeck, ein Sechseck, ein Kreis oder andere Symbole gebildet werden. Hatte der Fremde alle Stellungen abgenommen und »seine Sache auch gut gemacht«, wurde »mit Gunst und Erlaubnis« und Händeschütteln die Zeremonie beendet.
Die meisten Steinmetzarbeiten des 14., 15. und 16. Jahrhunderts konnten im wesentlichen mit Hämmern, Schlägeln und Meißeln (Eisen) bewältigt werden, die bereits im Mittelalter verfügbar waren. Die Flächenbearbeitung bestand, vom Groben zum Feinen fortschreitend, im Bossieren mit dem Zweispitz (Picke), im Flächen mit dem Fläch- und Stockhammer sowie mit dem Krönel und im Spitzen mit dem Spitzeisen. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts tauchte ein neues Werkzeug mit breiterer Schneide auf, das wie das Schlag- und Spitzeisen gehandhabt wurde: das Scharriereisen. Man konnte damit große ebene Quaderflächen ganz glatt behauen. Alle anderen bekannten Werkzeuge zur Steinbearbeitung, zum Mauern und zur geometrischen Vermessung der Werkstücke beziehungsweise zur Übertragung von Werkzeichnungen erfuhren bis in die Neuzeit hinein nur geringfügige Verbesserungen. Bei Kelle, Stechzirkel, Reißnagel, Maßlette, den diversen Lotwaagen sowie den zahlreichen Schablonen (Brettungen) gab es keine entscheidenden Veränderungen.
Bleibt noch zu erwähnen, daß die heutige Freimaurerei ihren Ursprung in den Bruderschaften der Steinmetzen und deren Bauhütten hat. Am 24. Juni 1717 vereinigten sich in London vier alte Werkmaurerlogen zu einer Großloge und wählten einen Großmeister. Man behielt den Namen »Freimaurer« bei und auch die alten Erkennungszeichen. Die alten Gesetze (»Alten Pflichten«) der Bauhütte wurden weiter entwickelt und 1723 als Konstitutionsbuch der freien und angenommenen Maurer gedruckt.
Die Tradition "Dombauhüttenwesen in Österreich (St. Stephan und Mariendom Linz)" wurde 2018 in der Kategorie "Traditionelles Handwerk ", sowie "Steinmetzkunst und -handwerk" 2020 in die Liste des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.
Quellen#
- Verschwundene Arbeit, R. Palla, Christian Brandstätter Verlag, 2010