Thermisch-hygrisches Verhalten von GlasDoppelFassaden unter solarer Einwirkung – Theorieevaluierung durch Vorort-Messung#
Von
Dipl.-Ing. Herwig Hengsberger
Institut für Hochbau für Architekten
Ao.Univ.-Prof. Mag. Dipl.-Ing. Dr.iur.Dr.techn. Peter Kautsch
Institut für Hoch- und Industriebau
Unter dem Gesichtspunkt einer umfassenden Bewertung von GlasDoppelFassaden bildet die messtechnische Erfassung der kombinierten Wärmetransportmechanismen im Fassadenzwischenraum und die Untersuchung der Korrelation zwischen den Messergebnissen und thermischen bzw. fluidmechanischen Simulationsberechnungen den Schwerpunkt der gegenständlichen Forschungsarbeit.
Motivation
Im Zuge des sprunghaften Anstiegs der „Glas-Architektur“ werden
seit über 10 Jahren sogenannte GlasDoppelFassaden (GDF)
international äußerst kontroversiell diskutiert.
Von den einen als innovative, ökologische und zukunftsträchtige Konzepte gepriesen, werden sie von anderen als unwirtschaftlich, bauphysikalisch problematisch und in unseren Breiten als fehl am Platz bezeichnet.
Grundsätzlich bestehen Glasdoppelfassaden aus einer inneren oder Primärfassade, meist in Form einer Zweischeibenisolierverglasung, einem Fassadenzwischenraum von etwa 20 - 100 cm Tiefe und einer äußeren oder Sekundärfassade aus Einscheibensicherheitsglas. Unterschiede zwischen den zahlreichen Ausführungsvarianten bestehen vor allem in der Unterteilung des Fassadenzwischenraumes und in den Lüftungskonzepten. In Baden bei Wien wurde 1998 der vom Grazer Architekturbüro Florian Riegler/Roger Riewe geplante Neubau des Bundesinstituts für Sozialpädagogik fertiggestellt. Das fünfgeschossige, allseitig verglaste Gebäude bot die Möglichkeit, zwei Extremfälle einer vorgehängten Glasfassade zu untersuchen: die freie, solar- und windinduzierte Strömung in dem 17 m hohen und 14 cm tiefen, nicht unterteilten Luftspalt zwischen Beton- und Glasfassade und den Fall der komplex turbulenten Strömungsverhältnisse im Bereich der doppelten Glasflächen und der „Fensterkästen“. Eine vorgehängte Glasfassade mit Fensterkästen stellt einen interessanten Sonderfall von GlasDoppelFassaden dar, indem sie die Vorteile einschaliger Fassaden – wie zB die Möglichkeit der direkten Fensterlüftung - mit den wärmetechnischen Vorteilen von „klassischen“ GDF verbindet. Das vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie im Rahmen der Programmlinie „Haus der Zukunft“ geförderte Projekt wurde in fakultätsübergreifender Kooperation mit den Instituten für Wärmetechnik (Ao.Univ.-Prof. DI Dr. Wolfgang Streicher) bzw. für Strömungslehre und Wärmeübertragung (Ass.-Prof. DI Dr. Walter Meile) sowie dem Institut für Baustofflehre, Bauphysik und Brandschutz, Abteilung Bauphysik der TU Wien (O.Univ.-Prof. DI Dr. Jürgen Dreyer) durchgeführt und von der Fa. Morocutti Stahlbau unterstützt.
Ein Folgeprojekt, das im Zuge der laufenden Ausschreibung zum 6. EU-Rahmenprogramm für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration von einem Konsortium der TU Graz in Zusammenarbeit mit der Industrie eingereicht wird (Koordinator: Prof. DI Dr. Wolfgang Streicher), soll die Untersuchung der Energiebilanzen sowie der Interaktion von GlasDoppelFassaden mit dem dahinterliegenden Gebäude unter Einbeziehung des Nutzerverhaltens zum Inhalt haben.
Die Messfassade
Das 53,7 m lange, 14 m breite und 17 m hohe, Ost-West orientierte,
fünfgeschossige Gebäude ist mit einer allseitigen Glasfassade
ausgestattet, welche als sogenannte unsegmentierte Vorhangfassade
bezeichnet werden kann. Das heißt, es gibt abgesehen von einzelnen
Fensterkästen, welche
gegen den Fassadenzwischenraum
durch gedämmte
Metallpaneele
abgeschottet sind, weder
horizontale noch vertikale
Unterteilungen des Fassadenzwischenraumes.
Die Fensterkästen ermöglichen
eine direkte Lüftung
der dahinterliegenden Räume
unter Umgehung des Fassadenzwischenraumes.
Dadurch
wird im Sommer ein Hereinlüften
von warmer Spaltluft in das
Gebäude vermieden. Zudem
verhindert diese Konstruktion
weitgehend die Schall- und
Geruchs- bzw. Brandrauchübertragung
über den Fassadenzwischenraum.
Um die Ausgangssituation
für die Simulationsberechnungen möglichst genau nachbilden zu
können und Verfälschungen der Messergebnisse durch Querströmungen
zu vermeiden, wurden die beiden Messfelder – „Wand“
bzw. „Fenster“ - durch aufblasbare Kunststoff-Schläuche von der
übrigen Fassade abgeschottet (Abb. 1).
Vorort-Messung
Zum Vergleich mit den numerischen Simulationsberechnungen wurden von Ende Oktober 2001 bis September 2002 umfangreiche
Messungen der Oberflächen- und der Lufttemperaturen, der
Luftfeuchtigkeit und der Strömungsgeschwindigkeiten im Fassadenzwischenraum,
der Strahlung im Zwischenraum und außen, des
Differenzdruckes zwischen Fassadenzwischenraum und außen, des
Außenklimas und des Wärmestroms vom Fassadenzwischenraum
nach Innen durchgeführt.
Aufgrund der hohen Kosten der Sensorik wurden die Messungen in jeder Jahreszeit mit jeweils dem gesamten Gerätepark für den Messbereich „Wand“ und unmittelbar anschließend für den Messbereich „Fenster“ getrennt durchgeführt.
Thermische Simulation
Das mit dem Programmpaket
TRNSYS zu modellierende System
umfasst im wesentlichen fünf Komponenten:
Außenraum/Außenklima
- Sekundärfassade/vorgehängte Glasscheibe - Fassadenzwischenraum
- Primärfassade/Betonwand bzw. Isolierglas
- Innenraum des Gebäudes.
In den Wintermonaten (Heizperiode) sind bei dem zu untersuchenden Fassadensystem die Lüftungsklappen geschlossen, wodurch der Wärmeaustausch zwischen der Luft im Fassadenzwischenraum und der Außenluft primär über Wärmeleitung durch die Glasscheibe erfolgt. Das Strömungsverhalten der Fassadenluft entspricht jenem eines Fluids in einem geschlossenen vertikalen Spalt, dessen Begrenzungsflächen unterschiedliche Temperaturen aufweisen. An der wärmeren Fläche (Betonwand) steigt die Luft auf, während sie an der kälteren Glasscheibe absinkt.
In den Sommermonaten sind die Ein- und Auslassklappen hingegen geöffnet. Dadurch gelangt Außenluft durch die bodennahen Einlassklappen in den Fassadenzwischenraum und wird dort durch die Begrenzungsflächen erwärmt.
Die sich dadurch einstellende Temperaturdifferenz zwischen Außen- und Fassadenluft bedingt den thermischen Auftrieb, der durch eine charakteristische, aufwärts gerichtete, mittlere Strömungsgeschwindigkeit der Fassadenluft (freie Konvektion) quantifiziert wird. Der Wärmeaustausch zwischen Außen- und Fassadenluft wird also im Sommerfall sowohl über Wärmeleitung an der Glasscheibe als auch über die zu- und abströmende Fassadenluft wirksam. Die Übereinstimmung zwischen berechneten und gemessenen Temperaturwerten an der vorgehängten Glasfassade, der Betonoberfläche und der Luft an der Austrittsöffnung des Fassadenspaltes war für die untersuchten Messreihen als gut zu bewerten, wobei Abweichungen von maximal ± 3 °C auftraten. Die Messreihen umfassen dabei sowohl Tag- als auch Nachtstunden und beinhalten unterschiedlichste klimatische Bedingungen im Bezug auf solare Einstrahlung, Außenlufttemperaturen und Windverhältnisse. Die mittleren Strömungsgeschwindigkeiten (vm) sind ebenfalls reproduzierbar, wobei allerdings für kleine Strömungsgeschwindigkeiten (< 0,3 m/s) die berechneten Werte tendenziell größer sind als die gemessenen. Die festgestellten Abweichungen liegen im Bereich von 0,05 - 0,1 m/s und können zum Teil, insbesondere nahe der unteren Messwertgrenze der eingesetzten Hitzdrahtanemometer von 0,125 m/s mit der maximalen Messwertungenauigkeit von ± 0,05 m/s erklärt werden.
Der Vergleich zwischen Simulation und Messung zeigt die Komplexität und Vielfältigkeit der bei dieser Art von Fassadenkonstruktion auftretenden physikalischen Effekte und den damit verbundenen Anforderungen an die Simulation. Der messtechnisch erfasste und simulationstechnisch untersuchte Fassadenabschnitt stellt in diesem Zusammenhang eine relativ einfache Konstruktionsvariante dar. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse können als Grundlage bei der Weiterentwicklung der Rechenmodelle für komplexere Fassadenkonstruktionen mit teiltransparenten Außenwänden (Doppelfassaden) herangezogen werden.
Strömungssimulation
Mittels des Programmpaketes
FLUENT wurden in einem ersten
Schritt aus fluidmechanischen
Berechnungen die notwendigen
Anhaltspunkte für die Positionierung
der Fühler zur messtechnischen Erfassung
von Geschwindigkeiten und
Temperaturen gewonnen. Den Ausgangspunkt
bildeten dabei die thermischen
Simulationsberechnungen
der Temperaturen der Betonwand bzw. der vorgesetzten Glasfassade,
die als Randbedingungen für die fluidmechanischen Berechnungen
verwendet wurden. Die Übereinstimmung der Ergebnisse hinsichtlich
Lufttemperatur am Austritt des Spaltes sowie der mittleren Geschwindigkeit
mit den Ergebnissen der thermischen Simulation kann als sehr
gut bezeichnet werden.
Nach vollständigem Vorliegen der Messergebnisse bzw. nach deren Evaluierung wurden fünf Messfälle - jeweils für Zeitpunkte mit und ohne Strahlungseinfall (Tag bzw. Nacht) - berechnet. Die im Vergleich zum Abschnitt „Wand“ etwas deutlicheren Abweichungen der Strömungsgeschwindigkeiten im Bereich „Fenster“ können plausibel erklärt werden, indem insbesondere die Geschwindigkeiten in der Umgebung der Messpunkte in allen Richtungen deutliche Gradienten aufweisen.
Weiters konnte festgestellt werden, dass die zum Teil nicht unerheblichen Windbelastungen, die zu einigen Messzeitpunkten auftraten, insbesondere bei geöffneten Lüftungsklappen aber auch infolge von Undichtigkeiten im geschlossenen Zustand, die Strömungssituation im Fassadenspalt gravierend beeinflussen (Ausbildung von gerichteten vertikalen Strömungen anstelle zu erwartender Walzenbildung).
Im Hinblick auf die baupraktische Anwendung zur Auslegung von Doppelfassaden kann festgestellt werden, dass fluidmechanische Simulationen in der hier angewandten Form aufgrund des enormen Bedarfes an Ressourcen (Hardware, Rechenzeit) eher nicht geeignet erscheinen. Zur wissenschaftlichen Bearbeitung in Einzelfällen kann diese Art der Simulation aber mit guter Aussagekraft eingesetzt werden.
Weiterführendes#
- Thermoprozesstechnik (Thema)