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Rainer Gross: Heimat. Gemischte Gefühle#

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Rainer Gross: Heimat. Gemischte Gefühle. Zur Dynamik innerer Bilder. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 2019. 176 S., € 20,-

"Heimat, daheim, heimisch: Kaum ein anderes Konzept hat im medialen Diskurs der letzten Jahre eine solche Hochkonjunktur erlebt. Das Nachdenken über Heimat als Ort oder aber Heimat als Gefühl, die Ängste vor der Gefährdung dieser Heimat durch Zuwanderung, die Identität stiftende Funktion von Heimat - das sind Dauerthemen der letzten Jahre geworden, allgegenwärtig in den Medien, spätestens seit der Flüchtlingskrise." Der besonders häufige Gebrauch eines Begriffs weist darauf hin, dass es um dessen Inhalt "nicht zum Besten steht", weiß Rainer Gross. Der Wiener Psychoanalytiker wagt "die Sicht von außen". Er hat beobachtet, dass Heimatgefühle bis vor wenigen Jahren von Intellektuellen und Progressiven misstrauisch betrachtet wurden. Das hat sich in jüngster Zeit geändert, auch jüngere und nicht konservative Menschen können jetzt den Begriff für sich positiv besetzen. Sie denken ihren Heimatbegriff im Plural. Er wird großzügig ausgelegt und bedeutet für jede/n etwas individuell anderes. Dies bietet aus therapeutischer Sicht die Chance zur Stabilisierung der eigenen Identität - zwischen Herkunft und Hoffnung, zwischen den eigenen Wurzeln und Flügeln.

Der Autor hat sein Buch in drei Teile gegliedert. Zunächst denkt er über historische, soziologische und politische Positionen nach. Er verfolgt die Geschichte des Begriffs von der deutschen Romantik, über die Pervertierung in der NS-Zeit und das daraus resultierende Misstrauen in den Folgejahren, bis zu einem neuen Verständnis. Als Psychoanalytiker und damit "Spezialist für das Zwischen" erkennt Rainer Gross "Heimat" als Zwischenbereich, eine seltsam vorpolitische Sphäre, emotional aufgeladen mit intensiven Gefühlen und Erinnerungen der Individuen. Wenn diese Emotionen aber politisiert werden, dann können aus der so unschuldigen Wurzel der Heimatgefühle giftige Blüten wachsen. Der Philosoph Odo Marquard nannte seinen 2003 erschienenen Essayband "Zukunft braucht Herkunft". Rainer Gross ergänzt, dass man oft auch eine "neue" Herkunft brauche, die für die aktuelle Lebenssituation sinngebend wirkt. Was die Literatur betrifft, stellt er fest, dass "Heimat" seit 200 Jahren speziell dann Konjunktur hat, wenn sie vom Lesepublikum als bedroht oder fast schon verloren erlebt wird. Musik beeinflusst die Gefühle leicht und intensiv, volkstümliche Musik die Heimatgefühle. Als typisches Beispiel fungiert im Buch Andreas Gabalier. Der "Volks-Rock'n-Roller" verkauft Millionen CDs, seine Mega-Konzerte sind stets ausgebucht. Dabei "trägt der Künstler poppig aufgeputzte Trachtenhemden und Lederhose, auch ein großer Teil seines Publikums erscheint im Trachtenanzug oder im Dirndl. Auch das wäre noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen - tausende junge Leute bei einem Rockkonzert in der Großstadt in volkstümlicher Tracht."

Im zweiten Teil geht es um Identität als Scharnier zwischen psychischer Innenwelt und äußerer sozialer Realität. Wie "Heimat" hat auch der Begriff "Identität" Konjunktur, wenn er in der Krise ist. "In Zeiten rascher gesellschaftlicher Umwälzungen wird die nationale Identität zum Anlass von Besorgnis, von Ängsten vor Überfremdung, die zum Aufflammen patriotischer Heimatgefühle führen." Dabei ist von Bedeutung, ob man sich einer "Kultur des Individuums" oder einer kollektivistisch/soziotropen Kultur zugehörig fühlt. Weltweit zählen ein Drittel zur ersten, zwei Drittel zur zweiten Gruppe. Bewohner der USA und des (vor allem nördlichen und westlichen) Europa sind Independent Self, Asien, Mittelamerika und der Nahe Osten hingegen kollektivistisch orientiert. Zitiert wird das Beispiel, dass sich Japaner in Psychotherapien extrem unwohl fühlen, wenn sie ihre Identität unabhängig von ihrer sozialen Rolle empfinden sollen. Individualismus im westlichen Sinn wäre für sie negativ gesehener Egoismus. Die unterschiedliche Einstellung zu Individualität und Kollektiv sorgt auch im Alltag bei Migranten und ansässiger Bevölkerung für Verunsicherung.

Der dritte Teil handelt von der Psychodynamik der inneren Bilder, psychoanalytischen Positionen zum Thema, beginnend mit Sigmund Freud. Der Autor nennt das Kapitel Der Blick von innen: Psychoanalyse und Heimat. Er beschließt es mit der Erkenntnis, dass Heimatgefühle immer gemischte Gefühle sind - eine komplexe Mischung aus Emotionen, Ängsten, Wünschen und inneren Bildern, die sich in mehreren Spannungsfeldern bewegen, wie dem Gegensatz von vorgegebener und selbst konstruierter Heimat. Dazu kommt die Spannung zwischen individueller und kollektiver Identität, die einander ständig beeinflussen. Gefühle und Erinnerungen bewegen sich in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Verschiedene Affekte führen zu innerer Unsicherheit. "Bei aller Ambivalenz, trotz aller Konflikte können wir nur hoffen, dass nicht allzu viel Lebensenergie gebunden wird durch das Weg-Wünschen von einer schlechten Vergangenheit oder das Hin-Wünschen in eine verklärte Zukunft. … Dann können wir auch leichter einen neuen Aufbruch in die innere oder äußere Fremde wagen," schreibt Rainer Gross.

hmw