Katharina Eisch-Angus (Hg.): Unheimlich heimisch#
Katharina Eisch-Angus (Hg.): Unheimlich heimisch. Kulturwissenschaftliche BeTRACHTungen zur volkskundlich-musealen Inszenierung. Grazer Beiträge zur Europäischen Ethnologie, Sonderband. Löcker Verlag Wien 2016. 268 S., ill., € 29,80
Der Buchtitel "Unheimlich heimisch" geht auf ein Zitat von Sigmund Freud zurück. Die Herausgeberin Katharina Eisch-Angus, stv. Leiterin des Instituts für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz, hat es ihrer "Exegese des Grazer Trachtensaales" vorangestellt. Wie ein roter Faden zieht sich das Unheimliche und das Unbehagen durch die Publikation. Deren Thema ist der Trachtensaal im Volkskundemuseum Graz. Studierende bedachten ihn mit Adjektiven wie "bedrückend, grimmig, unsympathisch". Er wurde 1938 unter der Direktion von Viktor Geramb (1884-1958) eröffnet. Und dieses Jahr "haftet wie ein Stempel an dem Saal", auch wenn diesem NS-Ideologien "von Geramb selbst nicht bewusst eingeschrieben wurden", wie Judith Hafner schreibt.
Sie ist eine von 19 TeilnehmerInnen des Projekts "Der steirische Blick", zu dem sich Studierende des Instituts, zwei Kuratorinnen des Museums und eine Restauratorin zusammengefunden haben. Die Herausgeberin hat das Buch in fünf große Kapitel gegliedert. An der Spitze stehen die beiden "Einblicke" von Katharina Eisch-Angus und Roswitha Orac-Stipperger. Als Chefkuratorin bietet sie grundlegende Informationen über "diesen besonderen Teil des Volkskundemuseums in Graz." Er stellt gleichsam die dreidimensionale Umsetzung des Steirischen Trachtenbuches dar, das Viktor Geramb und Konrad Mautner (1880-1924) konzipierten. In der in den 1930er Jahren an das Museum angebauten,140 m² großen Halle illustrieren 42 etwa lebensgroße Figuren in Ganzglasvitrinen die Entwicklung der Kleidung, von der Hallstattzeit bis ins späte 19. Jahrhundert. Den überwiegenden Teil der künstlerischen Kleiderständer schuf Alexander Silveri (1910-1986), einige stammen von Hans Mauracher (1885-1957). Die Textilien wurden nach alten Abbildungen rekonstruiert und originale Trachtenbestandteile verwendet. Der Saal ist der letzte seiner Art im deutschen Sprachraum (andere Museen richteten ähnliches eine Generation früher ein). Er blieb fast ein halbes Jahrhundert unverändert, wurde 1985 neu arrangiert und 2003 als "Museum im Museum" rekonstruiert.
"Kunst-Figuren: Unheimliche Assoziationen" ist der zweite Teil überschrieben. Susanne Schicho fragt "Wer hat Angst vorm Trachtensaal ?" und lädt anhand von Forschungstagebüchern und Gruppengesprächen zu assoziativen Begehungen des von ihr als ambivalent bezeichneten Raumes ein. Christa Meinx erläutert "Die künstlerische Sprache des Alexander Silveri". Der gebürtige Grazer erhielt 1932 in Wien den Akademiepreis. Der Museumsauftrag ermöglichte ihm die Familiengründung - der Kunstsammler Msgr. Otto Mauer war sein Trauzeuge. Nach dem Zweiten Weltkrieg, dessen Schrecken den Bildhauer sehr trafen, widmete er sich der Lehrtätigkeit, fertigte Kirchenausstattungen und 1961 das in Österreich einmalige "Mahnmal gegen den Krieg" an. Toni Janosch Krause nennt die Figurinen "lebendige Tote". Der im Buch mehrfach erhobenen Behauptung, dass keine von ihnen lächle, wäre zu erwidern, dass auch auf alten Fotos kaum jemand mit heiterem Gesichtsausdruck zu finden ist - wie der "Einleger", der nach einem Lichtbild entstand, deutlich zeigt.
Den dritten Teil, "Volkskundliche Figuren und Diskurse", eröffnet Johanna Westermaier mit einer fundierten Geschichte des musealen Genres Trachtensaal. Dabei fällt auf, dass die deutschen Sammlungen meist von Großindustriellen gesponsert wurden. Auch Konrad Mautner (1880-1924) entstammte einer Fabrikantenfamilie. Sein Vater besaß in der Monarchie 42 Fabriken. Mautner übernahm Aufgaben in der Geschäftsführung, sein Interesse galt aber der Volkskultur des Ausseerlandes. In Gößl am Grundlsee fühlte er sich wohl, forschte, sammelte, publizierte die erste wissenschaftlich kommentierte volksmusikalische Dorfmonographie Österreichs. Er nahm mit Viktor Geramb Kontakt auf und weckte dessen Interesse an den Trachten. Daraufhin verfasste der Gründer des Grazer Volkskundemuseums das zweibändige "Steirische Trachtenbuch", von dem sechs Lieferungen 1932 bis 1935, sieben weitere bis 1939 erschienen. Der Mitautor Mautner erlebte das nicht mehr, doch ersparte ihm sein früher Tod auch die Verfolgungen in der NS-Zeit, in der es Juden verboten war, Trachten zu tragen. Die Museumskuratorin Eva Kreissl hatte sich schon 2010 Gedanken über eine Neukonzeption des Trachtensaales gemacht, die noch heute aktuell klingen. Melanie Strutz stellte diesen in den Kontext der Heimatschutzbewegung, deren Vorläufer bis in die Zeit Erzherzog Johanns zurückreichen. Der "Verein für Heimatschutz in der Steiermark" wurde 1909 gegründet, widmete sich Naturschutz, Brauchtum und Denkmalpflege. Viktor Geramb, der 1913 das Grazer Volkskundemuseum gründete und 1931 der erste Universitätsprofessor dieses Faches im deutschsprachigen Raum wurde, zählte zu ihren Exponenten.
Der vierte Teil beschäftigt sich mit den "ambivalente(n) Erfahrungsweisen von Tracht". Sie changieren, so Mateja Marsel, "Zwischen Lust und Angst". Claudia Größ beobachtete das Leben von Asylwerbern. Im Beitrag "From Syria to Styria" beschreibt sie, wie ein Mann eine gespendete Trachtenjacke erhielt, die sonst keiner wollte: "Er mag sie, aber er weiß nicht, wann er sie anziehen soll." Anton Wilflinger hat sich "Die Pflicht der Tracht" angesehen - bis zu Entwicklungen wie dem Event "Aufsteirern" und Billigangeboten von "steirischer Tracht aus China". Er beleuchtet auch die "Richtlinien zur Trachtenpflege" aus den 1930er Jahren, als Geramb das Heimatwerk gründete und seinem Museum angliederte.
"Erbgut: Vom Urgrund und Abgrund" zeigt noch einmal die ganze Problematik von Tracht und Trachtensaal. Viktor Geramb war ein Kind seiner Zeit, dachte und sprach im Ton seiner Zeit. Ihn prägten die Denksysteme des 19. Jahrhunderts, die eine entwicklungsgeschichtliche Perspektive verfolgten und eine "Urgesellschaft" und "Urtrachten" annahmen. Er "argumentiert also kulturalistisch und damit dezidiert gegen einen biologischen Rassismus und Antisemitimus," schreibt Judith Hafner. Wie ein Briefwechsel mit dem Reichspropagandaamt Steiermark zeigt, weigerte er sich (erfolglos), die Figuren des Germanen und der Germanin sowie des Bergmanns aus der Hallstattzeit für eine Propagandaschau zur Verfügung zu stellen. Besonders erhellend ist der letzte Beitrag, in dem der Historiker Hans-Peter Weingand "Fünf populäre Irrtümer über den Trachtensaal" widerlegt: "Irrtum eins: Der Trachtensaal ist Nazikram … Die Vorstellung 'eindeutig rassistisch gebundene(r) Elemente' vertrat Geramb nicht. Sie wurde auch im Trachtensaal nicht propagiert. In Gegenteil: Geramb wurde die Berücksichtigung der Slawen im historischen Teil des Trachtensaales von NS-Ideologen vorgeworfen. … Irrtum zwei: Im Trachtensaal werden die Trachten aus den steirischen Regionen gezeigt. … Irrtum drei: Der Trachtensaal dient der Trachtenpflege und -erneuerung. … Irrtum vier: Der Trachtensaal ist ein 'Museum im Museum'… Der Trachtensaal sah bei seiner Eröffnung 1938 ganz anders aus und hatte dadurch auf das Publikum eine ganz andere Wirkung, als der heutige kahle Raum … Irrtum fünf: Der Trachtensaal spiegelt das aktuelle 'Revival' der Tracht wider. … Da der Trachtensaal historisch angelegt ist, zählt es nicht zu seinen Aufgaben, die zunehmende Kommerzialisierung, Ironisierung, Popularisierung und vor allem Entideologisierung von 'Tracht' in den letzten Jahren zu thematisieren."
So werden in dem gekonnt layoutierten Buch viele Aspekte behandelt. Künstlerische Interventionen sind heute in Museen State of the Art - im Trachtensaal z.B. die teilweise Verhüllung der Vitrinen mit Dirndlstoffen und durch die Exponate inspirierte Designer-Outfits. Im Buch ist es ähnlich, zwischendurch eingestreute, kurz kommentierte Fotoessays regen zur kreativen Auseinandersetzung an. Besonders witzig sind die Fotocollagen, die im Rahmen der Praxis-Lehrveranstaltung "Der steirische Blick" entstanden sind. Da findet sich Conchita Wurst im grauen Lodenkleid, Angela Merkel im Dirndl mit Haferlschuhen, H.C. Strache erscheint als "Slawe in Urtracht". Trotzdem vermisst man einiges, wie Autoren-Biographien, eine Kurzbeschreibung der 42 Figuren oder einzelne Bildtexte.