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Martin Urban: Die Bibel#


Bild 'Bibel 2009'

Martin Urban: Die Bibel. Eine Biographie. Verlag Galiani Berlin 2009. 384 S., zahlreiche Abb., € 23,60

Martin Urban, geboren 1936 in Berlin, ist ein mehrfach ausgezeichneter Sachbuchautor. Er studierte, Physik, Chemie und Mathematik, gründete 1968 das Wissenschaftsressort der Süddeutschen Zeitung, das durch mehr als drei Jahrzehnte leitete. Urban ist kein Theologe, aber er entstammt einer Theologenfamilie. In letzter Zeit ist die religiöse Sinnsuche zum Lieblingsthema des Naturwissenschaftlers geworden. Seine jüngsten Bücher tragen Titel wie "Warum der Mensch glaubt" oder "Wer leichter glaubt, wird schwerer klug".

Sein neuestes Werk widmet er dem wirkmächtigsten Buch der Weltgeschichte. Es geht um Entstehung, Deutung und Wirkung der Bibel, um Mythen, Spekulationen und Fakten. Fakten und Deutung sind die Leitmotive dieser "Biographie". Urban schreibt, in einer der Aufklärung verpflichteten Kultur sei es notwendig, die biblischen Aussagen daraufhin zu überprüfen, wie die zeitbedingt unterschiedlichen Deutungen zustande gekommen sind und welche Fakten dahintersteckten: "Ich versuche das in diesem Buch, indem ich die Erkenntnisse der verschiedenen Wissenschaften miteinander verbinde."

Dabei geht der Autor sehr weit. Nicht nur klassische Methoden wie die historisch-kritische Exegese, Archäologie oder Psychologie dienen ihm als Mittel der Annäherung an Geschichte und Geschichten, sondern auch die Gehirnforschung und Untersuchungen des Verhaltens von Affen. Viele der referierten Erkenntnisse sind nicht neu, aber sie wurden selten so fundiert umfassend dargestellt. Systematisch beleuchtet der Autor die einzelnen Schriften des Alten und Neuen Testaments vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit und mit ihrer Wirkungsgeschichte.

Einige plakative Feststellungen: Die Bibel ist weder vom Himmel gefallen, noch ein Buch aus einem Guss. Der Auszug der Kinder Israels aus Ägypten unter ihrem Anführer Mose fand ebenso wenig statt wie die Eroberung des Gelobten Landes. Die "Zehn Gebote" sind ein Konstrukt, Abraham und Isaak haben nie gelebt. Die "Jungfrau Maria" beruht auf einem Übersetzungsfehler (im hebräischen Urtext ist von einer "jungen Frau" die Rede). Die Verfasser der Evangelien sind unbekannt.

Die historisch-kritische Methode, die zu solchen Ergebnissen führt, ist nicht die modernste, sondern die bekannteste Form der biblischen Exegese. Sie hat zum Ziel, einen biblischen Text in seinem damaligen historischen Kontext auszulegen, wobei die Rekonstruktion der Vorgeschichte des Textes eine besondere Rolle spielt. Fragestellungen dieser Art beschäftigten Theologen seit der Aufklärung. Martin Urban nennt den Protestanten Johann Salomo Semler (1725-1791), der als erster zwischen Theologie und Religion unterschied, die kritischen Bibelforscher David Friedrich Strauss, dessen "Leben Jesu" schon 1835 erschien, Adolf von Harnack (1851-1930), der das altkirchliche Dogma "Produkt des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums" nannte und den Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer (1875-1965). Er stellte schon 1906 fest "Der Jesus von Nazareth, der als Messias auftrat … hat nie existiert."

Urban weiß, dass solche Aussagen geeignet sind, unter gläubigen Christen Ängste zu provozieren. Aber er will seine Leser nicht provozieren, keine vermeintlichen Geheimnisse oder Skandale auswalzen, wie manche Sensations-Journalisten. "Ich versuche zu zeigen, dass die Bibel nicht weniger wichtig wird, wenn man sie kritisch liest", stellt der Autor fast bescheiden fest. "Für mich bleibt das Alte Testament zusammen mit dem Neuen Testament als eine Bibel Grundlage unserer Kultur und aller Bemühungen, Gott und Welt zu suchen und zu verstehen."

Die interessanten Informationen reichen bis in die Gegenwart. So erfährt man, dass es weltweit 34.000 christliche Denominationen gibt, die sich auf jeweils unterschiedliche Offenbarungen berufen. Am eifrigsten missionieren Fundamentalisten und Pfingstler, sie haben auch die größten Zuwächse. Zur zweiten Jahrtausendwende glaubte die Hälfte der US-Amerikaner, die Bibel sei von Gott wortwörtlich inspiriert.

Immer wieder stellt der Autor Zusammenhänge zwischen aktueller Bibelwissenschaft und Archäologie hier, zum Beispiel beim Fall Jerichos, der im Buch Josua geschildert wird. Hinter der biblischen Gestalt verbirgt sich König Josia von Juda, der um 638-609 v. Chr. lebte. Die angesehene "Neue Jerusalemer Bibel" (1985) spricht in der Einleitung zum Buch Josua zwar von einem "idealisierten und vereinfachten Bild", schlägt aber als Chronologie das 13. vorchristliche Jahrhundert vor. 2001 erschienen unter dem Titel "Keine Posaunen vor Jericho" die Forschungen von Israel Finkelstein und Neil A. Silberman. Die israelischen Archäologen fanden heraus, dass die Gegend um Jericho zur fraglichen Zeit nicht besiedelt war. Damit wurden auch die Ausgrabungen aus den 1950er- Jahren relativiert, die durch den Bestseller "Und die Bibel hat doch recht" (1955) weltbekannt geworden waren.

Letztlich geht es gar nicht um die Frage, ob die Bibel "recht" hat. Die Deutungsprozesse werden weiter gehen und wohl noch vieles Neue ergeben. Die Bibel erwies sich als so robust, dass sie in ihrer mehr als 2000-jährigen Wirkungsgeschichte schon viel ausgehalten hat, schreibt Urban. Sie helfe den Menschen, ihr Leben zu bewältigen, verleite aber auch zu absurden Spekulationen wie den Termin des Weltuntergangs. Er schließt: "Die Bibel kann Menschen weise werden lassen, aber auch abgrundtief dumm. Sie hat klerikale Machtstrukturen entstehen lassen und wurde doch den Ohnmächtigen auf der Welt zu allen Zeiten 'Frohe Botschaft' ".