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Lida Winiewicz: Geisterbahn#

Bild 'Geisterbahn'

Lida Winiewicz: Geisterbahn. Eine Wiener Weltreise. Amalthea Verlag Wien 2008. 176 S. € 17,90

Die Schriftstellerin, Theaterautorin und Übersetzerin Lida Winiewicz lädt zu einer "Weltreise durch Wien" ein. Schon 1786 hieß es: "Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erleben." Das gilt auch, wenn sich die Wahl der Verkehrsmittel auf die öffentlichen beschränkt und sich der Aktionsradius zwischen Nussdorf und Südbahnhof, Reumannplatz und Kagran, Schubertring und St. Marx erstreckt.

Den roten Faden bilden Gespräche mobil telefonierender Passagiere, die ihre Mitfahrer zu unfreiwilligen Zeugen von Zorn und Zärtlichkeit machen. Jeder kennt solche "Handyprotokolle", doch selten werden die mitgeteilten Banalitäten so treffend und humorvoll charakterisiert. Dialoge - "zwei Hotelstubenmädchen auf dem Weg zur Arbeit"- und witzige Berichte über lebhafte Kinder, aufmüpfige Jugendliche, Manager und seltsame Alte könnten sich so oder ähnlich zugetragen haben.

Wenn Touristen nach dem Weg fragen und keine passende Auskunft bekommen, fühlt man sich an klassisch gewordene Wiener Feuilletons erinnert, zum Beispiel an Rudolf Stürzers "Wie komme ich in die Dorotheergasse". Anders als beim Autor der Jahrhundertwende kommt es nicht zu Handgreiflichkeiten. Die Inder, die nach Schönbrunn wollen, steigen in Meidling aus, während der freundliche Wiener und eine ältere Frau über die richtige Station streiten. Ein Japaner sieht sich in eine Diskussion über das Fotografiertwerden verwickelt und der beobachtete Daddy aus Amerika ist wohl nicht der erste, der die Votivkirche für den Stephansdom hält.

Dem leichten und zugleich unterhaltsamen Schreibstil zum Trotz ist die Welt der Tramwaybenützer nicht in Ordnung. Doch gar so schlimm, wie der Titel "Geisterbahn" befürchten lässt, ist es auch wieder nicht. Exaltierte Damen, Sektierer, Kleinkriminelle und Betrunkene zählen zu den Kunden der Verkehrsbetriebe. Besserwissende Pensionisten fühlen sich durch Kinder und Jugendliche gestört, und manchmal haben sie sogar recht, wie die Episode "Drei Buben mit Hündchen" zeigt: Die jungen Trickdiebe und ihr putziges Tierchen "steigen aus und sind weg. Drei Brieftaschen ebenfalls". Manchmal verleiten lange Fahrten zum Gedankenlesen, wie bei jenem ergrauten Paar, dessen vermeintliche gemeinsame Lebensgeschichte sich die Autorin zusammenreimt - und das sich, wie sie dann hört, erst an diesem Abend beim Heurigen kennen gelernt hat. Oder bei Melanie und Josephine, die von ihren Opfern wissen wollen, ob sie richtig geraten haben. Von einem darüber verärgerten jungen Mann handeln sie sich prompt das Prädikat "Kartonagen" ein.

Sprachliche Anleihen an fast vergessenes Wienerisch findet man nicht nur bei "alten Schachteln", sondern auch die handfeste Drohung eines Dobermannbesitzers "Willst a Trafik?" Dazu die Fußnote: "Trafiken wurden vom Kaiser Kriegskrüppeln zugesprochen". Die Tramway fährt nicht mehr in der Kaiserzeit. Das allgegenwärtige Handy-Klingeln hat ihr Läuten abgelöst. Schließlich inspiriert das "preisgünstigste Kabarett der ganzen Stadt" zur Parodie einer Eingabe an den Stadtschulrat, zwecks "Einführung des Hauptfaches 'Aus- und Einsteigen in (bzw. aus) Öffentlichen Verkehrsmitteln' ". Den Epilog bildet ein Gespräch zwischen Mozart und Beethoven, die sich, von einer Wolke auf Wien niederblickend, über die Verwendung ihrer Kompositionen als Handy-Klingeltöne, wundern. Beethoven: "O, wäre ich taub geblieben!"