Martina Winkelhofer: Adel verpflichtet#
Martina Winkelhofer: Adel verpflichtet. Aristokratinnen in der k.u.k. Monarchie. Amalthea Signum Verlag Wien 2009. 300 S., 130 Abb. € 24,95
Boulevardblätter und Fernsehanstalten leben gut von den "Royals". Was hinter den verschlossenen Türen der Residenzen passiert und wie sich die Reichen und Schönen repräsentieren, garantiert Auflagen und Quoten. Im vorliegenden Buch der Historikerin Martina Winkelhofer geht es nicht um blaublütige Skandälchen oder "Sisi-"-Anekdoten, trotzdem erreichte es in wenigen Wochen die 2. Auflage. Die Universitätslektorin beleuchtet die Lebenswelt adeliger Damen zu Ende der Donaumonarchie nach Archivrecherchen, mit vielen Zitaten und Fotos. Der Titel "Adel verpflichtet" ist programmatisch gewählt.
Die in vielerlei "Korsette" gepferchten Aristokratinnen mussten im persönlichen und gesellschaftlichen Leben gute Figur machen, nicht zuletzt mithilfe des gesundheitsschädlichen Untergewandes. "Prinzessin" ist noch immer eine der beliebtesten Faschingsmasken, in der Realität wollte wohl keine der Kostümträgerinnen die Rolle mit ihrem Vorbild tauschen. Zwar wurde die Geburt einer Tochter immer begrüßt (anders als bei Bürgern oder Bauern), es war auch der finanzielle Hintergrund vorhanden, sie standesgemäß zu ernähren, zu erziehen und - schließlich als höchstes Ziel zu verheiraten. Die Töchter waren einem enormen Druck ausgesetzt. Die soziale Kontrolle, die selbst vor Tagebüchern nicht Halt machte, und die Erwartungen der Familie waren extrem hoch.
"Die Aristokratie war eine in sich geschlossene große Familie", erfuhr die Autorin in einem Interview. Alle waren mehr oder minder verwandt oder verschwägert, teilten Interessen und Erinnerungen, sie blieben streng unter sich. Wer dazu gehörte, hatte einen "Petit Nom", wie Kari, Lori oder Bobby. Standesbewusstsein, Traditionen, Verhaltenskodex und Wertekanon blieben über viele Generationen unverändert. Martina Winkelhofer fasst sie in den Stichworten "Treue zum Kaiserhaus, starker Familienzusammenhalt, ausgeprägter Katholizismus" zusammen. Standesgemäß erzogen wurden die Kinder durch das Vorbild ihrer Eltern, was zur Herausbildung eines aristokratischen Habitus führte, wie angemessene Grußformeln, ordentliche Aussprache, geistvolle Konversation. "Der aristokratische Verhaltenskodex war ein Gemisch aus ritualisierten Verhaltensweisen, anerzogener hoher Selbstdisziplin mit sozialer Kontrolle, moralischen Ansprüchen ..." Dazu zählten Respekt gegen Ältere, Contenance und Noblesse - nobel im Auftreten und gegenüber dem Nächsten und doch "natürlich". Verpönt war affektiert sein, protzen oder "Faxen machen" (sich nicht zurücknehmen). Allzu leicht blamierte sich der Geldadel der Ringstraßengesellschaft durch ein Verhalten, das gut gemeint, aber unangebracht war. Das galt dann als "portiererisch".
Im Rahmen der noblen ungeschriebenen Gesetze war für eine romantische Liebesheirat kein Platz. "Liebe ist nur etwas für Stubenmädeln," hieß es für eine Komtess. Nicht persönliches Glück stand im Vordergrund, sondern die Erfüllung der hoch gesteckten Erwartungen, gesellschaftlichen und sozialen Pflichten. Dafür waren die Mädchen von klein auf erzogen, Mimosenhaftigkeit wurde ihnen früh ausgetrieben, Affekte mussten beherrscht werden, Gejammer war unerwünscht. Sie lernten ein tadelloses Heim zu führen, Französisch sprechen, Klavier spielen. Körperliche Ertüchtigung war wichtig, Tanzunterricht gehörte dazu. Waren die Kinderbälle absolviert, durften sich die Backfische auf Adoleszentenbällen vergnügen. Beim "Tanzerl" lernten sie junge Männer kennen, doch galt es als Ideal, unschuldig und naiv zu bleiben. Die wichtigste Zeitspanne im Leben einer jungen Aristokratin waren die ein bis zwei Jahre zwischen dem Ende ihrer Erziehung und der Hochzeit. Die Komtessen nahmen am gesellschaftlichen Leben teil, immer mit dem Ziel einer glänzenden Verlobung, die innerhalb der Adelshierarchie zu einer guten Heirat führen sollte. Unbarmherzig kommentierten und beurteilten Mütter, Großmütter und Tanten, welche Paare sich am Ende der Saison gefunden hatten. Die schwerste Enttäuschung für die Betroffenen und ihre Familie war - kein Ehemann. Unverheiratete Frauen hatten wenig Alternativen. Diese bestanden im Eintritt in ein Damenstift, in das man sich einkaufen musste, das man aber zwecks Heirat jederzeit verlassen konnte. Eine andere Möglichkeit war, Hofdame zu werden, diese begehrten Stellen waren rar und erforderten gute Beziehungen. Viele ledig gebliebene Aristokratinnen dürften dem Zerrbild der verhöhnten "alten Jungfer" oder weltfremden Tante entsprochen haben, die von der Familie erhalten werden musste.
Als größte Erfüllung und Verpflichtung galt die Mutterrolle. Sie war meist schon mit 40 Jahren ausgespielt, die Kinder verheiratet und die Dame zu jenen im fortgeschrittenen Alter gezählt, denen man Respekt und Achtung zollte. Obwohl sich an ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen, Einladungen oder Haushaltsführung nichts änderte, hatte sie endlich gewisse Freiheiten: "Sie beobachtete die Jüngeren mit Argusaugen … nicht wenige kosteten diese neue Macht aus… und nahmen sich die Freiheit, all das einzufordern, was sie in ihrer Jugend an Zugeständnissen an die Konventionen hatten machen müssen." Eine Zäsur bedeutete der Tod des Ehemanns, denn die Witwe hatte keinen Zugriff mehr auf das Familienvermögen. Hatte das Glück der Ehefrau weitgehend auf der Identifikation mit ihrem Mann beruht, so stand sie als Witwe außerhalb der klassischen familiären Rangordnung. Depressionen, Krankheiten und Schicksalsschläge durften nicht artikuliert werden, dies wäre der stets eingeforderten Contenance zuwider gelaufen.
Das 12. Kapitel des Buches ist dem Ende des Adels gewidmet. Schon der Erste Weltkrieg brachte einschneidende Änderungen, viele Aristokratinnen halfen als Rotkreuzschwestern aus. "Die jungen Frauen dieser Generation wurden schnell erwachsen, die Zeit, Mädchen unwissend und naiv zu halten, war vorbei." Der traditionelle Heiratsmarkt war zusammengebrochen, die Güter im Osten Europas fehlten als Einkommensgrundlage. Die unhinterfragte Treue zum Herrscherhaus gab es, wie dieses, nicht mehr. Schließlich hob das Gesetz vom 3. April 1919 den Adel in Österreich auf. Martina Winkelhofer spricht von einer versunkenen Welt, "deren Beurteilung aus späterer Sicht oft recht radikal zwischen nostalgischer Verklärung - ja Kitsch - und scharfer Verurteilung schwankt. Hier einen etwas nüchternen Zugang zu ermöglichen, ist Ziel dieser Arbeit." Dieses Ziel hat sie in hervorragender Weise erfüllt.