Rainer Schmitz: Schwärmer - Schwindler - Scharlatane#
Rainer Schmitz: Schwärmer - Schwindler - Scharlatane. Magie und geheime Wissenschaften. Böhlau Verlag Wien Köln Weimar 2011. 403 S., 49 s/w-Abb., € 24.90
"Schwärmer - Schwindler - Scharlatane" ist ein zügiger Titel für das Werk eines journalisitschen Autors. Es geht darin aber nicht, wie man anhand des Klappentextes vielleicht vermuten würde, um Kuriositäten. Rainer Schmitz, ist Literaturwissenschaftler, Lehrbeauftragter in München und war zuvor als Redakteur der Süddeutschen Zeitung und des Magazins "Focus" in leitenden Funktionen tätig. Der 400-seitige Band verfügt über zahlreiche Anmerkungen, Literaturverzeichnis etc. wie man es von einem seriösen Werk erwarten darf. Besonderen Wert legte der Autor auf bisher eher unbekannte Quellen, die er ausführlich wiedergibt. Damit beweist sich, dass aller alter Aberglaube einmal Wissenschaft war. Andererseits wird maches von dem, was heute als Wissenschaft gilt, einmal als Aberglaube gelten.
Immer wieder schlägt Rainer Schmitz Brücken zur Gegenwart: "Was beispielsweise in Genf im CERN, in dem seit Jahrzehnten laufenden Milliardenprojekt der europäischen Organisation für Kernforschung tatsächlich vor sich geht … Was Tausende von Wissenschaftlern Tag für Tag dort tun, ist so unsichtbar wie die Person hinter der sprechenden Puppe am Ende des 18. Jahrhunderts." "Sprechende Köpfe" waren schon in der Antike bekannt. Sie sollten den Herrschern die Zukunft und den Willen der Götter kund tun. Auch der Kirchenlehrer Albertus Magnus (um 1200-1280) soll einen Androiden konstruiert haben, den ihm Thomas von Aquin (um 1225-1274) aus Angst zerstörte. Mit den Fortschritten der Technik und Mechanik wurden menschenähnliche Automaten im 18. und 19. Jahrhundert populär. Im Buch erläutern zahlreiche Bilder die Funktionsweise der Trickautomaten.
Einer der berühmtesten war wohl der "Schachtürke" des studierten Philosophen und Juristen Wolfgang Kempelen (1734-1804). Kempelen stand jahrzehntelang im Dienst Kaiserin Maria Theresias und unternahm später ausgedehnte Tourneen mit dem Automaten, die ihn u. a. nach England und Holland führten. Der Türke war eine lebensgroße Figur, die hinter einer Kommode mit einem Schachbrett thronte. Den Zeitgenossen blieb verborgen, dass darin ein Mensch saß, der den komplizierten Mechanismus bewegte. Der Automat, gegen den die Zuschauer spielen konnten, galt als nahezu unschlagbar. Aus Kempelens Nachlass erwarb ihn der - als Erfinder des Metronoms bekannte - Hofmechaniker Johann Nepomuk Maelzel. Er reiste mit dem mittlerweile fast 70-jährigen Türken bis nach Amerika. Nach Maelzels Tod landete das Gerät in einem Raritätenkabinett in Philadelphia, bei dessen Brand es 1854 zugrunde ging. Als Redewendung aber lebt es weiter, wenn man für Betrug und Trick sagt, dass etwas "getürkt" sei.
Noch Mitte des 19. Jahrhunderts zogen Erfinder von Sprechmaschinen als Schausteller durch Europa und, wie der Wiener Joseph Faber, in die USA. Ein Jahrhundert zuvor waren die Automatenkonstrukteure unter Verdacht gestanden, blasphemisches Teufels- und Hexenwerk herzustellen. Vorführungen wie "das unsichtbare Mädchen" beeindruckten die Zuschauer. Ein ausgeklügeltes Rohrsystem ermöglichte, dass eine Dame im Nebenraum die der Puppe gestellten Fragen beantwortete. Das war "amüsante Physik".
Zauberkabinette, wie sie seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sinn- und trickreich eingerichtet wurden, gaben "einen tiefen Einblick in die prompte Umsetzung neuester Entdeckungen und Erfindungen. Durch geschickte Präsentation konnten höchst wunderliche und selbst für die Augen eines kritischen Beobachters unbegreifliche Dinge hervorgerufen werden." Man erlebte wahrsagende Automaten, bunten Rauch, Blitz und Donner, Elektrizität und optische Effekte, die damals vielen unerklärlich blieben. Die "Magier des Boulevards" mischten Taschenspielertricks mit ernsthaften Forschungen, und blendeten damit sogar Kaiser und Könige, wie ein "Showmaster", der sich Comus nannte und dessen Darbietung sich Joseph II. ansah. Wie der Kaiser reagierte, ist nicht überliefert. Generationen von Herrschern vor und nach ihm vertrauten jedoch zweifelhaften Alchemisten. Auch ihnen widmet Rainer Schmitz mehrere Kapitel, mit dem Fazit '"Noch immer gilt: Besteht der alchemistisch hergestellte Gegenstand aus Gold, so liegt Betrug vor, ist er es nicht, dann ist es erst recht Betrug."
Vor betrügerischen Machenschaften war das Zeitalter der Aufklärung nicht sicher. Es scheint sogar, als wäre es besonders empfänglich für die Werke der Schwärmer, Schwindler und Scharlatane gewesen. Hier wird des Wunderheilers Franz Anton Mesmer (1734-1815) und seiner Adepten gedacht. Mit seinen - im Buch wiedergegebenen - Thesen zum Magnetismus entfachte er eine Massenbewegung. Sein Zeitgenosse Cagliostro (1734-1795), ein sizilianischer Hochstapler, inspirierte zahlreiche Literaten und noch ein Jahrhundert später Johann Strauß zu einer Operette. Cagliostro ist das letzte der 20 spannenden Kapitel gewidmet. "Sein erotisch aufgeladener Okkultismus und Spiritismus markieren den Höhepunkt und zugleich das Ende eines magisch-phantastischen Zeitalters."