Klaus Schreiner: Rituale, Zeichen, Bilder#
Klaus Schreiner: Rituale, Zeichen, Bilder. Formen und Funktionen symbolischer Kommunikation im Mittelalter. Herausgegeben von Ulrich Meier, Gerd Schwerhoff und Gabriela Signori. Norm und Struktur Band 40. Böhlau Verlag Wien Köln Weimar 2011. 343 S., 27 s/w-Abb., € 51,30
Der Mediävist Klaus Schreiner ist ein Pionier der neueren Politikgeschichte, die sich mit historisch-anthropologischen und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen beschäftigt. Im vorliegenden Band geht es schwerpunktmäßig um symbolische Kommunikation im Mittelalter. Dieses gilt als "Zeitalter der Zeichen". Sie zu lesen und in einen größeren Kontext zu stellen, ist eine spannende und lohnende Aufgabe. Klaus Schreiner thematisiert Rituale, Zeichen und Bilder als Phänomene von langer Dauer und verdeutlicht zugleich deren Wandel.
Die Herausgeber haben aus seinem reichen Schaffen fünf Themenkreise herausgegriffen: Siege im Zeichen des Kreuzes, Friedensstiftung als symbolisches Handeln, Barfüßigkeit als Ritual, Marienbilder, Bücher als zeichenhafte Kommunikationsmittel.
Die Politisierung des Kreuzes begann mit der Bekehrung Kaiser Konstantins (um 280 - 337) und ihren Folgen. Das Kreuz fungierte als Kriegsstandarte, an deren siegbringende Wirkung geglaubt wurde. Geweihte Fahnen ließen auf gewonnene Schlachten hoffen, oft trugen sie Bilder von Kriegerheiligen oder der Madonna. Reliquien und Kreuzpartikel galten ebenfalls als hilfreich. Alle heiligen Zeichen waren in ein umfassendes Symbolsystem eingebunden, zu dem auch Fasten, Buße und Kommunionempfang zählte. Doch: "Übersteigerte Erwartungen machten aus heiligen Zeichen magisch handhabbare Medien. In deren Gebrauch vermischten sich oftmals religiöse Einstellungen mit magischen Vorstellungen."
Das zweite Kapitel ist mit einem Psalmvers überschrieben. "Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküsst " (Ps. 84,11). Der Kommunikationsstil des Mittelalters war ein demonstrativ-gestischer. "Was die zeichenhafte Repräsentation politischer und sozialer Ordnungsstrukturen bedeutete, war durch Brauch und Tradition festgelegt. Alle, die sich in der Öffentlichkeit an rituellen Praktiken beteiligten, wussten, worum es ging." Das ausdrucksstärkste Friedenszeichen war der Kuss (auf den Mund). Der im Psalm Beschriebene ließ Gerechtigkeit und Frieden zu sozialen Grundtugenden mit religiöser Dimension werden.Als frühmittelalterliche Friedenszeichen galten außerdem Eid, Mahl, Geschenke und Handschlag. Im 13. und 14. Jahrhundert waren Friedensprediger aktiv, deren berühmtester Franz von Assisi wurde. Die "Alleluja-Bewegung" des Jahres 1233 lobte Gott lautstark auf ihren Prozessionen. Auch die Geißlerzüge, die ab 1260 die oberitalienischen Städte heimsuchten, verstanden sich als Friedensstifter, doch stand bei ihnen die Buße im Vordergrund. "Schuld gebot Buße", das galt auch im weltlichen Bereich. Die rituelle Inszenierung einer friedensstiftenden Unterwerfung fand in der größtmöglichen Öffentlichkeit statt. Zeichen dafür waren Asche auf dem Haupt, härene Bußgewänder und Barfüßigkeit.
Mit der Unehre der nackten Füße beschäftigt sich der dritte Anschnitt "Nudes pedibus". Zunächst wurde die Barfüßigkeit religiös interpretiert. Nach Ex 3,5 befahl Gott, als er sich Moses im brennenden Dornbusch zeigte: "Ziehe deine Schuhe aus…". Augustinus (354-430) deutete Schuhe - aus der Haut toter Tiere - als Sinnbild "toter Werke", die Christen hinderten, zum ewigen Heil zu gelangen. Schließlich wurde die nuditas pedum eine schichtenübergreifende Verhaltensform. Barfuß gingen Büßer, Pilger, Mönche, Bauern, Bürger und Adelige, sogar Könige und Kaiser zu bestimmten Anlässen. Es war symptomatisch für Religion und Rechtskultur einer weitgehend analphabetischen Gesellschaft. Ohne Rituale gab es keine Versöhnung mit Gott oder den Menschen. Das Verschwinden von Ritualen verweist auf ein neues Verständnis von Religion, Recht und Gesellschaft.
Zwei weitere Kapitel sind spezifischen Muttergottesdarstellungen gewidmet, der Maria Lactans und dem Antijudaismus in spätmittelalterlichen Marienbildern. Darstellungen der stillenden Gottesmutter haben Parallelen in der ägyptischen Muttergottheit Isis. Auch die altorientalische Liebesdichtung "Hohelied", die sich im biblischen Kanon findet, wurde mariologisch gedeutet. "Marienmilch" sollte seit dem 12. Jahrhundert wundertätige Wirkungen haben. Obwohl schon damals, mehr noch von den Reformatoren, kritisiert, spielte die Ikonographie Marias mit dem Jesuskind an der Brust in der Gegenreformation eine Rolle.
Tod und Begräbnis der Muttergottes sind keine Themen der kanonistischen Evangelien. Eine apokryphe Schrift erzählt vom "Transitus Mariae", wobei Juden das Begräbnis der Muttergottes zu stören versuchten. Als Bildmotiv findet findet sich die Szene im späten 12. Jahrhundert. Solche Bilder, schreibt Klaus Schreiner, lösten keine Gewaltaktionen gegen Juden aus, konnten aber zu deren Rechtfertigung missbraucht werden. Jedenfalls astärkten sie das Zusammengehörigkeitsgefühl christlicher Gruppen, die sich der Feindbilder bedienten.
"Das Buch im Nacken" handelt von Büchern und Buchstaben als zeichenhafte Kommunikationsmittel. Da der biblische Gott ein schreibender Gott ist (z.B. die Zehn Gebote) wurden Buchstaben, Wörter und Texte zu Trägern und Vermittlern von Heilswahrheiten gemacht. Der Autor beschreibt vier rituelle Handlungen: Das Auflegen des Evangeliars auf Kopf und Nacken bei der Bischofsweihe, die Übergabe des Evangelienbuches bei Priesterweihen oder Taufen, die Inthronisation des Evangeliars bei Konzilien und die Verwendung des ABC bei der Kirchweihe.
Das Buch beweist, dass eine wissenschaftliche Publikation zur anregenden Lektüre werden kann. Es zeigt Fakten auf, bietet Interpretationen an (aber drängt sie nicht auf) und erschließt Zusammenhänge. Mehr als zwei Dutzend Abbildungen erleichtern das Verständnis einer fernen, fremden Zeit, die sich alles andere als "finster" erweist.