Walter Öhlinger (Hg): Die Pläne der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien#
Die Pläne der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien von Carl Graf Vasquez. Herausgegeben und ausführlich erläutert von Walter Öhlinger. Buch-Format 48 x 32 cm, Format der Pläne: 64 x 48 cm, 54 S., Edition Winker-Hermaden Schleinbach 2011. € 128,-
Das faszinierende Kartenwerk über das vormärzliche Wien zeichnet sich nicht nur durch die exakte kartographische Darstellung, sondern besonders durch die Randveduten aus. In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts erschienen jene elf "Pläne der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien" die als Ziegler-Vasquez-Pläne kostbare Raritäten geworden sind - wenn man überhaupt ein Exemplar findet, liegt der Preis bei 1200,- Euro. Durch die - meist 14, manchmal auch mehr - Stadtansichten, welche die Grundrisse wie kostbare Rahmen umgeben, sind sie kulturhistorische Dokumente ersten Ranges. Ästhetisch überaus ansprechend, begeistern sie nicht nur Viennensiafreunde.
Da der letzte Nachdruck in den 1980er Jahren erschien, ist der Edition Winker-Hermaden zu danken, dass sie die komplette Serie als Reprint aufgelegt und das Dutzend mit dem Plan der Kurstadt Baden und ihrer Umgebung ergänzt hat. Die Kommentare zu den Plandarstellungen und Bildern verfasste Walter Öhlinger, Stadthistoriker im Wien Museum, aus dessen Beständen die reproduzierten Originale stammen. Er hat jedem Plan eine Einleitung vorangestellt, die auf das Werden des Bezirks eingeht und die Veduten erläutert: "Künstlerisch stehen diese kleinen Bilder in der Tradition biedermeierlicher Stadt- und Architekturdarstellungen. Mit großer Sorgfalt sind Standort und Bildausschnitt gewählt … Sie ergänzen (die Pläne) zu einer höchst anschaulichen Darstellung des städtischen Lebens im biedermeierlichen Wien." Die Informationen sind kompakt und kompetent, auf jeweils einer großformatigen Seite. Manchmal würde man aber gerne noch mehr wissen: Was ist beispielsweise eine "Tull anglais-Fabrik"? Hier helfen der Besitzername und andere Literatur weiter: Ludwig Damböck, nach dem in Mariahilf eine Gasse benannt ist, webte Tüll und Spitzen. Er importierte die Maschinen aus England und erfand selbst einige. Daraus entstand die erste Spitzen- und Vorhangfabrik Österreichs, die zeitweise tausende Arbeiter beschäftigte und bis 1973 bestand.
Carl Graf Vasquez (1798-1861) war k.k. Hauptmann und Kartograph. Zeitweilig arbeitete er mit dem Lithographen Anton Ziegler, wie er im Dienst der Niederösterreichischen Landesregierung, zusammen. Das Team erarbeitete Häuserschematismen und Pläne der Stadt Wien, ihrer Vorstädte und einiger Vororte. Das repräsentative Planwerk schuf Vasquez vermutlich allein. Der Graf scheint es auf eigenes Risiko verfasst und ediert zu haben. Danach hatte er, schon über 50-jährig, als Oberleutnant bei Feldmarschall Radetzky militärische Erfolge. Doch auch diese konnten seine finanziellen Probleme nicht lösen. Vielleicht erhielt Vasquez von den abgebildeten Geschäftshäusern Zahlungen (wie für Inserate), seine verlegerische Leidenschaft blieb aber ein Verlustgeschäft.
Den Übersichtsplan schuf er in mehreren Varianten - ein möglicher Hinweis auf die Inseraten-Version. Neben dem Adel findet man die Häuser der wirtschaftlichen Elite - Großhändler, Industrielle, Bankiers - abgebildet. Von den 22 Ansichten der stattlichen, mehrgeschoßigen Häuser auf dem "Situations-Plan" sind je vier der damals blühenden Textilbranche und den Hofagenten zuzurechnen.
Der "Grundriss der inneren Haupt- und Residenzstadt Wien" zeigt die von der Stadtmauer und dem Glacis umgebene Innenstadt. Unter den "vorzüglichsten Gebäuden" sind auf diesem Blatt Kirchen und militärische Bauten in der Überzahl.
Der Polizeibezirk Leopoldstadt bestand aus den Vorstädten Leopoldstadt und Jägerzeile. Der überwiegende Teil des Planes präsentiert sich grün und unverbaut, mit Augarten, Prater und den Auen der unregulierten Donau.
Die Landstraße, im Umfang des heutigen 3. Bezirks (die damaligen Polizeibezirke sind mit den heutigen nicht immer identisch) umfasste die Vorstädte Landstraße, Erdberg und Weißgärber. Auch hier dominierte um 1830 noch das Grün. Der Bezirk ist erst teilweise verbaut, darunter mit Sommerpalais in weiten Parks, wie jene der Fürsten Metternich, Schwarzenberg, Rasumovsky und dem Belvedere.
Wieden bezeichnete damals den 4. und 5. Bezirk, wo sich ebenfalls Adelspalais befanden. Doch zeigen die Veduten schon "Fabriken", wie man die Produktionsstätten der nicht zunftmäßig organisierten Gewerbe nannte. Hier für Strohsessel, optische Geräte und Möbel. Eine monumental wirkende Steinbrücke überspannt den Wienfluss.
Der heutige 6. und Teile des 7. Bezirks bildeten den aus den Vorstädten Laimgrube, Mariahilf, Windmühle, Magdalenengrund und Gumpendorf zusammengesetzten k.k. Polizeibezirk Mariahilf. In dieser Gegend war gerade ein rascher Wandel im Gange: "Die letzten landwirtschaftlich genutzten Flächen und die vielen, in ausgedehnten Lehmgruben betriebenen Ziegeleien machten einer geschlossenen Verbauung des gesamten Vorstadtareals Platz."
Das biedermeierliche Gewerbegebiet St. Ulrich galt als Heimat der legendären "Hausherren und Seidenfabrikanten". Wohnungen und Fabriken befanden sich (nicht nur) am Schottenfeld unter einem Dach. Vasquez hielt fest, wie diese Häuser aussahen: dreigeschossig, mit mehr als 20 Fensterachsen. Fast die Hälfte der Veduten zeigte solche Gebäude.
In der Josephstadt entsprechen die Grenzen des Polizeibezirks nicht denen des heutigen 8. Bezirks. Interessant an den Veduten sind die Interieurs. Sie zeigen den Salon im Gasthaus "Zum goldenen Strauß" und das Theater in der Josephstadt.
Die Alservorstadt wurde 1850 zwischen dem 8. und dem 9. Bezirk geteilt. Gilt der 9. heute als der Universitätsbezirk Wiens, so zeichnete sich vor 200 Jahren seine Bedeutung als Zentrum der Medizin und Wohlfahrt ab. Abgebildet sind neben Kirchen, Palais und ärarischen Gebäuden, wie Alserkaserne und Landesgericht, auch das Josephinum, Allgemeines und Militärspital, Versorgungshaus und die Kuranstalt Brünnlbad.
Der Polizeibezirk Rossau umfasste die weniger noblen Vorstädte Rossau, Thury, Althan, Lichtental und Himmelpfortgrund. Als Prachtbauten ragen die Servitenkirche, das Liechtensteinpalais samt Glashaus und Gloriette, das Palais Althan-Pouthon und die Pfarrkirche Lichtental heraus. Auf die Nähe des Donaukanals verweisen am Ufer gelegene Holzlagerplätze und das Kaiserbad.
Seine Serie von Wien-Plänen ergänzte Graf Vasquez durch einen historischen. Dafür wählte er das Weihejahr der ersten Stephanskirche, 1147, die damals außerhalb der Stadtmauer lag. Die Veduten zeigen Wahrzeichen aus allen Bauperioden, von der Romanik bis zum Biedermeier. Auch die Staffagen waren zeitgenössisch: Kutschen in den Straßen, Spaziergänger im Paradiesgärtchen auf der Löwelbastei oder beim damals recht neuen Theseustempel.
Den Abschluss bildet die Stadt Baden mit ihrer Umgebung. Baden war ein aufstrebender Kurort. 22 Veduten zeigen vor allem Badeanstalten und beliebte Ausflugsziele, wie das Helenental und romantische Burgruinen.
So lässt sich das großartige Werk in verschiedener Weise mit Gewinn betrachten. Wer Familienforschung betreibt, findet die Häuser der Ahnen mit den Konskriptionsnummern, ebenso gut bedient wird - mit Text und Bild - Interesse an der eigenen Wohnumgebung. Man kann die exakten Pläne in aller Ruhe studieren und die Veränderungen im Straßenbild verfolgen. Beim Betrachten der Veduten wird die Welt des Biedermeier lebendig. Dies erlaubt kulturhistorische Aufschlüsse ebenso wie, nach Lust und Laune, nostalgisches Eintauchen in eine Generationen zurückliegende Zeit.