Günther Chaloupek et al: Österreichische Handelsgeschichte#
Österreichische Handelsgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hg. Österreichische Industriegeschichte GmbH. Mit Beiträgen von Günther Chaloupek, Johannes Jetschgo, Dionys Lehner, Michael Pammer, Andreas Resch, Roman Sandgruber, Peter Schnedlitz. Styria Verlag Graz 2012. 344 S., durchgehend farbig ill. € 49.99
Herausragende Fachleute informieren über jenen Teil der Wirtschaft, mit dem jeder Mensch tagtäglich in Kontakt kommt: Den Handel in seiner Entwicklung vom Greißler zum Diskonter, vom Bandlkramer zum Weltkonzern, vom Handwagerl zum Logistikriesen. Gleich zu Beginn findet man nicht nur eine Einführung in 300 Jahre Handelsgeschichte, sondern auch eine Zusammenfassung dessen, was in dem ebenso informativen wie schönen Buch detailreich dargestellt wird. Bis Ende des 18. Jahrhunderts war der Handel die dominante Quelle privater Vermögensbildung, dann löste ihn die Industrie in dieser Rolle ab. Allerdings hatte der Handel in der Habsburgermonarchie "nie jenen Stellenwert gehabt, welcher der Großmacht gut getan hätte". Erst nach 1890 fiel der Anteil der selbst versorgenden Landwirtschaft unter 50 %, und dementsprechend stieg die Bedeutung des Handels. Nur 3 % der Beschäftigten waren in diesem Sektor tätig, heute sind es rund fünfmal so viele. Früher dominierten Kleinbetriebe. Um 1840 gab es in Wien 3.600 Handelsgeschäfte, österreichweit stand der Typ "Gemischtwarenhandlung" im Vordergrund. 1950 eröffnete der erste Selbstbedienungsladen, ein "Konsum" in Linz.
Die riesigen Umwälzungen der vergangen Jahrzehnte beleuchtet der nächste Abschnitt, "Aspekte". Dazu zählen u. a. staatliche Rahmenbedingungen, Transport, Werbung, der "gläserne Konsument", Internetshopping, Konzentrationsprozesse und Arbeitsbedingungen. Das Werk zeichnet sich durch informative Darstellungen, bis in die jüngste Gegenwart aus. Die großformatigen Bilder sind dabei mehr als Illustrationen, sie steigern und belegen die Analysen. Die "Volkstypen" der armen Wanderhändler stehen im Kontrast zu den noblen orientalischen Händlern. Veduten und Fotos zeigen prächtige Geschäftslokale, wie eine Meinl-Filiale der Jahrhundertwende, aber auch moderne Einkaufsparks. Die Metamorphose der Einkaufswagen ist zu sehen, und verschiedene Beispiele augenfälliger Werbung.
Der Hauptteil stellt die Branchen ausführlich vor. Darunter Groß- und Einzelhandel, Lebensmittelhandel, Textilgeschäfte, Kaufhäuser und Modeketten, Handel mit Kraftfahrzeugen, mit Baustoffen und Möbeln, Elektro- und Elektronikprodukten, Apotheken, Drogerien und Parfümerien, Buchhandlungen und Trafiken, "ein ganz besonderes Stück österreichischer Kulturgeschichte". Trafiken als Verschleißstellen für die Tabakregie, Lose der staatlichen Lotterie, Briefmarken und Stempelmarken entstanden zur Zeit Kaiser Joseph II. Sie sollten Invaliden und Soldatenwitwen den Lebensunterhalt sichern. Später gab es "Konzessionstrafiken" für solcherart Begünstigte und "Konkurrenztrafiken", um die sich Bedürftige bewerben konnten. 1946 bestanden in Österreich noch 15.657 Tabaktrafiken, 2009 weniger als halb so viele, und auch diese sehen sich in ihrer Existenz bedroht.
Den Einstieg in die einzelnen Kapitel bilden fotorealistische Darstellungen der Wiener Häuserfassaden und Geschäftsportale von Franz Zadrazil (1942 -2005). Diese Bilder, meinte ein Kritiker, erzählen Geschichten, wobei der Betrachter anhand der Bildgestaltung eigene Assoziationen schaffen kann. Es finden sich Beiträge über den internationalen Vergleich und die Bedeutung des Handels in der österreichischen Nationalakademie und Betriebswirtschaftslehre, ehe der ausführliche Registerteil (Literatur und Quellen, Personen, Firmen) folgt.
Neben den strukturellen Veränderungen haben um die Jahrtausendwende der EU-Beitritt (1995) und die Einführung des Euro (2002) die Internationalisierung des heimischen Handels beeinflusst. Der Filialisierungsgrad hat zugenommen, von 10 % in den ersten Nachkriegsjahren auf 56 %, bei Kosmetik ist er mit 93 % am höchsten. 1953 eröffnete Karl Wlaschek den ersten Billa (billiger Laden). In den 1950er Jahren begann das "Kopf- an Kopf-Rennen zwischen Rewe und Spar". Die beiden österreichischen Marktführer erwirtschafteten im Jahr 2011 rund 12 Mrd. Euro Umsatz, davon 40 % im Ausland. Obwohl sich die Autoren überwiegend optimistisch zeigen, meinen sie schließlich doch: "Die Wirtschaftskrise in Europa… bedeutet für das Engagement österreichischer Handelskonzerne große Herausforderungen und stellt so manche Erfolgsstory in Frage."