Tarek Leitner: Mut zur Schönheit
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Tarek Leitner: Mut zur Schönheit. Streitschrift gegen die Verschandelung Österreichs. Verlag Brandstätter Wien 2012. 208 S., € 22,50
Das Schöne ist in aller Munde: Kaum eine Supermarktkassierin oder ein Kellner, die nicht "einen schönen Tag noch" wünschen. Schönheitschirurgen und Beautytempel scheinen Hochkonjunktur zu haben. Von einer schönen Umgebung, in der man sich wohlfühlt, liest und hört man fast nichts. Sieht man davon ab, was Möbelhäuser und Baumärkte für schön halten und verkaufen. Doch das steht im krassen Gegensatz zu dem, was Tarek Leitner mit "Mut zur Schönheit" meint.
Seine These lautet: "Im Namen der 'Wirtschaftlichkeit' akzeptieren wir vielfach, dass der Raum, in dem wir unser alltägliches Leben verbringen, verunstaltet wird. Durch Tankstellen und Fastfood-Ketten, Leuchttafeln und Lärmschutzwände, Baumärkte und Autobahnknoten. Alles Dinge, die wir brauchen, keine Frage. Aber bemerken wir überhaupt noch, wie sie uns den Blick verstellen?"
Der Zeit-im-Bild-Anchorman Tarek Leitner wurde zwei Mal mit der TV-Romy als beliebtester Moderator ausgezeichnet. Man kennt und schätzt seine objektive Berichterstattung über (welt-)politische Ereignisse. So ist zu hoffen, dass seine, diesmal bewusst subjektive, Streitschrift einen breiten Diskussionsprozess und Wahrnehmungsänderungen auslöst. Historische Bauwerke und die keinesfalls unerschöpfliche Ressource Landschaft fallen Spekulanten zum Opfer. Doch während andere Umweltsünden oder das Aussterben von Tierarten lautstark beklagt werden, gibt es hier offenbar keine Lobby. Die meisten Stadtbildpfleger sind zu kultiviert, um Verluste lautstark anzuprangern, und ein unabhängiger Denkmalanwalt fehlt ohnehin. Vor einem Jahrhundert gab es die - später kritisierte - Heimatschutzbewegung, die in ihren Anfängen aber weit mehr idealistisch als ideologisch agierte. Sie machte sich unter anderem gegen auffällige Reklamen auf dem Lande stark. Leitner empört sich über die scheinbar unvermeidlich gewordenen Werbefahnen, penetrante Beschilderung, das große gelbe M einer Fastfoodkette und den riesigen roten Sessel als Blickfang eines Möbelhauses. Er prangert die gesichtslose Wellblecharchitektur der Einkaufszentren auf der grünen Wiese an. Wellblech, das erinnert irgendwie an die Slums der Ärmsten in fernen Großstädten. Doch hier geht es um Konsum und Einkaufserlebnis. Die Gemeinde Wien nimmt sich des "Littering-Problems" an. Ob sie es mit grell plakatierten originell sein wollenden Sprüchen auf den Mistkübeln lösen kann ? "Schiache" Lärmschutzwände verstellen die schönsten Gegenden Österreichs und führen bei den Anrainern oft zu noch mehr Geräuschbelästigung. Es ist eine Welt voller Widersprüche, die von der Mehrheit widerspruchslos hingenommen wird.
Leitner wünscht sich "visionäre Politiker und mündige Bürger", die sich gegen die Verschandelung Österreichs zur Wehr setzen. Hässlichkeiten kennen keine Grenzen, nicht einmal der engagierte Autor zählt nicht sie alle auf. Die Rendundanz, mit der er gegen Parkplatzwüsten und Blechhallen samt Fahnenwald zu Felde zieht, ist gewollt. Aber diese sind nur ein Teil dessen, was den kritischen Blick Tag für Tag beleidigt und bei vielen abstumpfen lässt. Weitere Beispiele: Garagenrolltore statt Geschäftslokalen, funktionslos gewordene Tankstellen, Windkraftwerke, zu Tode gedämmte Häuser, Solarzellen, aufdringliche Hinweistafeln, aufblasbare Säulen als Werbeträger ...
Nicht nur Immobilienentwickler und Finanzinvestoren, sorgen für Scheußlichkeiten, in kleinerem Rahmen auch die Häuselbauer und Herumbastler, die alles "praktisch" haben wollen oder ihren überbordenden persönlichen Behübschungsdrang (siehe Lichterketten zu Weihnachten) nicht einbremsen. Sogar die katholische Kirche hat ihr Gefühl für das Schöne verloren. Eingänge in Gotteshäuser unterscheiden sich oft wenig von jenen der Schnellimbisse, Sparlampen in antiken Lustern und kleinliche Ankündigungen, vor und im Sakralraum zeugen nicht von gutem Geschmack.
Noch schlimmer sind die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gruppen, die mit schuldenfinanzierten Projekten die Umgebung über Menschenalter hinaus prägen. Die Ideologie des "Alles ist möglich" hat das Landschaftsbild zum Kippen gebracht. Bergstraßen, die nur über Betonschutzwände anzulegen waren, führen zu Aussichtsplattformen. Skywalks überspannen Alpentäler, Kletterhallen und überdachte Skipisten sollen Touristen anlocken. Funparks (mit Coach) bieten Hochleistungsentspannung. Events wie Großausstellungen oder Sportveranstaltungen hinterlassen Bauten, die niemand braucht. Falsche Größen, der verlorene Maßstab, zeichnen sie aus: noch höher, noch größer, am besten für das Buch der Rekorde. Doch ist es die Kleinteiligkeit, die Liebe zum Detail, die emotionale Botschaften und Authentizität vermittelt, wenn es rundum nur noch Hybridräume gibt. EU-subventionierte Infrastrukturausbauten fördern noch das Verschwimmen von Stadt und Land.
"Jeder Österreicher verbraucht mittlerweile 530 m² Fläche im Durchschnitt für Siedlungs- und Verkehrszwecke. Das ist fast die Hälfte mehr als im Jahr 1950." Täglich werden 25 ha Landschaft "versiegelt". Die Hälfte aller neu errichteten Wohnbauten sind Ein- und Zweifamilienhäuser, sie machen drei Viertel der 2,000.000 Gebäude in Österreich aus. Aus Wien ziehen jährlich 30.000 Menschen in den "Speckgürtel" rund um die Stadt, stehen im Stau, wenn sie zum Arbeitsplatz und retour fahren. Man baut neue Straßen und Einkaufszentren, der Traum von der Grünruhelage ist rasch ausgeträumt.
Selbstverständlich war und ist nicht alles Alte gut und alles Neue schlecht. Früher gab es so etwas wie Geschmacksbildung für Schüler/innen im Bildnerische-Erziehung-Unterricht, zumindest wurde sie versucht. Erst wenige Jahrzehnte sind vergangen, als es bei der MA 7 (Kultur) Verantwortliche für die Wiener Stadtgestaltung gab. Tarek Leitner zitiert die gesellschaftspolitischen Meinungsbildner Günther Nenning und Jörg Mauthe, die 1984 ein "Schönheitsmanifest" veröffenten, "gegen die pausenlose Verhässlichung unserer Welt". Es hat nichts genützt, im Gegenteil, seither hat die großflächige Verschandelung erst richtig eingesetzt.
Ein chinesischer Weiser empfahl, der erste Blick nach dem Aufwachen solle auf etwas Schönes fallen, dann werde es ein guter Tag. Der Arzt und sozialdemokratische Politiker Julius Tandler (1869-1936) war überzeugt: "Wer Kindern Paläste baut, reißt Kerkermauern nieder". Tarek Leitner meint, wenn eine schöne Umgebung auch nicht immer bessere Menschen hervorbringe, wirke sie sich doch positiv aus: "Eine schöne Umgebung nimmt uns die Angst, die uns das Leben manchmal einjagt."