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Stefan Zimmer (Hg.): Die Kelten#

Bild 'Kelten'

Stefan Zimmer (Hg.) Die Kelten. Mythos und Wirklichkeit. Mit Beiträgen von Norbert Baum, Doris Edel, Gisbert Hemprich, Bernhard Kremer, Bernhard Maier, Torsten Meißner, Michael Richter, Stefan Zimmer. Konrad Theiss Verlag Stuttgart 2012. 240 S., 50 s/w-Abbildungen. € 14,95

"Der Ire hat rote Haare und genießt Guiness bereits zum Frühstück, der Bretone isst pfundweise Crepes, trinkt Cidre und geht in Holzschuhen zur Feldarbeit. Schotten tragen Röcke und nichts darunter und die Waliser haben das Dorf mit dem längsten Ortsnamen der Welt." Die Autoren, anerkannte Experten aus dem universitären Bereich, kennen die Vorurteile zu ihrem Forschungsgegenstand. In klarer und allgemein verständlicher Sprache stellen sie den aktuellen Stand der Wissenschaft für einen weiten Kreis von Menschen dar, die - aus welchen Gründen auch immer - an den Kelten und ihrer Kultur interessiert sind. Sie wollen deutlich machen, "was wir wirklich von den Kelten wissen und was wir nicht von ihnen wissen können."

Was Österreich betrifft, findet der - doppelt namengebende - Fundort Hallstatt Erwähnung. 1874-76 benannte der schwedische Archäologe Hans Hildebrand die "ältere vorrömische Eisenzeit" nach der Gemeinde im Salzkammergut, wo man schon 1846 auf Gräber jener Zeit mit Waffen, Schmuck und Keramikgefäßen gestoßen war. Die Hallstattzeit teilte man in die ältere (800-640/630 v. Chr.) und eine jüngere (bis ca. 480/450 v. Chr.), an die sich die Latènezeit anschließt. "Hallstattkultur" (bzw. Latènekultur) bezeichnet hingegen eine Gruppe von Fundgegenständen mit charakteristischer Formgebung bzw. Verzierung. Über die ethnische Zugehörigkeit der Träger der Kultur können die Funde nichts aussagen. Die Gleichsetzung von materieller Laténekultur auf der einen und "Kelten" auf der anderen Seite ist daher nur aufgrund der Berichte antiker Autoren und der Ergebnisse sprachwissenschaftlicher Untersuchungen möglich.

"Kelten" nannte man in der griechischen und römischen Antike eine große Gruppe von Völkerschaften, die nördlich der Alpen, im mittleren und westlichen Europa wohnten und später nach Süd- und Südosteuropa vordrangen. Im Mittelalter hatten die keltischsprachigen Völker kein Bewusstsein von einer früheren gemeinsamen Vergangenheit. Dies änderte sich erst im Humanismus mit dem Rückgriff auf die Antike. 1707 erschien das erste wissenschaftliche Werk der Keltologie. Der bald darauf folgende Siegeszug der keltischen Literatur begann mit einer Fälschung. Der Lehrer und Dichter James Macpherson (1736-1796) gab vor, in Schottland Textfragmente aus dem 3. Jahrhundert gefunden und diese übersetzt zu haben. Als Autor nannte er den aus der mittelalterlichen Literatur bekannten Ossian. Gelehrte und Dichter, wie Herder und Goethe, waren begeistert. Erst lange nach Macphersons Tod bestätigte sich der Verdacht der Fälschung. Immerhin hatte sie eine Welle ins Rollen gebracht, die das Interesse von Sammlern in ganz Europa an "Volksdichtung" und anderen regionalen Traditionen weckten.

Das aktuelle Interesse wird durch esoterische Literatur gefördert, "von Leuten verfasst, die zwar im Einzelnen auf wissenschaftliche Ergebnisse zurückgreifen, häufig jedoch deren Bedeutung und Wahrheitsgehalt nicht richtig einschätzen können. So übermitteln sie ihren Lesern unbeabsichtigt veraltete oder falsche Ansichten weiter. Das Keltenbild in der esoterischen Literatur ist oft aus willkürlich gewählten Versatzstücken zusammengesetzt, die weder geographisch noch chronologisch zueinander passen. Wie schon in der Romantik begegnet einem die wissenschaftlich unhaltbare Kontinuität…," stellen die Autoren fest.

Nachden sie wichtige Kapitel der Kultur - wie Religion, Geschichte der keltischsprachigen Länder, Sprachen, Literatur und Recht - dargestellt und mit Grafiken verdeutlicht sowie Möglichkeiten und Grenzen der Archäologie aufgezeigt haben, befasst sich Gisbert Hemprich, Keltologe an der Universität Bonn mit "Folklore" und "Nachleben". Der Begriff Folklore wurde 1864 vom englischen Altertumsforscher William John Thoms (1803-1885) geprägt. Sein Interesse galt den Ausdrucksformen der ländlichen Bevölkerung, deren Volkskultur er reich, faszinierend und untersuchenswert fand. Dass er das Erzählgut überarbeitete und "bereinigt" dem Volk zurückgab, war damals eine Tendenz, die sich beispielweise auch bei den Brüdern Grimm zeigt. Für den Tourismus ist die "keltische Folklore" inzwischen zu einem wichtigen Kapital geworden. Ohne Stereotypen und Klischees scheint es dabei nicht zu gehen. Das wohl bekannteste ist die Erfindung des Symbols "keltische Harfe". Die letzten Harfner Irlands und Schottlands zogen Mitte des 18. Jahrhunderts zu den Sitzen der Landadeligen, für die sie spielten und komponierten. Die aussterbende Kultur der Wandermusiker fand Ende des Jahrhunderts das "antiquarische Interesse" der Bürger. Deren Wiederbelebungsversuche durch Festivals, Wettbewerbe und Ausbildung blinder Kinder führen zum Bau von Instrumenten ("neo irish harps"), deren Aussehen vage an die alten erinnerte, aber weniger mit diesen. als mit kontinentalen Pedalharfen zu tun hatte. Nachdem sich Bau- und Spielweise geändert hatten, brach die Traditionslinie in Irland ab. In der Bretagne gelten die "Harpe bardique" bzw. "Harpe celtique" mit Metall- bzw. Nylonsaiten schon 50 Jahre nach ihrer Einführung als fester Bestandteil des einheimischen Instrumentariums.

Das Buch erscheint schon in dritter, aktualisierter Auflage. Es bietet eine übersichtliche Zusammenschau dessen, "was wir von den Kelten wirklich wissen", untermauert mit Originalzitaten aus der Antike, Grafiken und Fotos. Zur Verständlichkeit tragen die vielen "Kasten" bei, die kompakt und kompetent Information zu wichtigen Stichworten bieten, wie die Gelehrtenklasse der Druiden, magische Gebote (Geissi) oder die "Anderwelt". Zur Abrundung tragen Verzeichnisse geographischer Namen keltischer Herkunft, von Museen zum Thema und weiterführender Literatur bei. Schade, dass das deutsche Autorenkollektiv nicht auch die Tätigkeit österreichischer Forscherkollegen würdigt. Die Verdienste "keltischer Archäologen" - Grabungsteam des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien unter Leitung von Prof. Otto Urban - kommen ebenso wenig vor wie die Schätze, die das Keltenmuseum in Hallein in 30 Räumen präsentiert.