Karl Brunner: In Freiheit glauben#
Karl Brunner: In Freiheit glauben. Historisches zu Gott und Kirche. Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar 2013. 173 S., € 19,90
Ein Historiker schreibt über Gott und die Kirche. Nicht irgendein Historiker, sondern der renommierte em. Universitätsprofessor für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Wien, ehem. Direktor des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Karl Brunner. Die Schwerpunkte seines Forscherlebens - Realienkunde, Alltags- und Mentalitätsgeschichte, Umweltgeschichte, Sozialgeschichte - finden sich auch in diesem Buch. Hier heißen die Fragen unter anderem: Wie vermittelt man die Bilder, die uns von den Heiligen Schriften und der reichen, historischen Tradition vorgestellt werden? Wie bewahrt man die grundlegenden Werte? Wie bleibt man glaubwürdig?
Der Autor ist kein Theologe, hat weder eine pfarrliche Funktion, noch ist er Mitglied eines konfessionell gebundenen Vereins, aber er bezeichnet das katholische Milieu als seine "seelische Heimat." In diesem Zusammenhang schreibt er: "Mein Dienst ist der des Historikers, das habe ich gelernt, und der des einfachen Zeugen. Aber die Sehnsucht bleibt, irgendwo dazuzugehören. Nicht in einem Verein mit seinesgleichen, sondern zu einer Vielfalt von Menschen mit verschiedenen 'Talenten'. " Wie er seinen Studierenden und Teilnehmern an Exkursionen und Vorträgen aus allen Berufs- und Altersgruppen Unbekanntes erklärt hat, zeigt er hier aus dem Blickwinkel des Mittelalterhistorikers, was christliche Gegenstände und Begriffe dem heutigen Betrachter und Leser sagen können. Immer steht dahinter - völlig unaufdringlich - das persönliche Zeugnis, das dem Geschriebenen Glaubwürdigkeit verleiht. Der Autor denkt weiter und scheut sich auch vor so genannten heißen Eisen nicht. Aus der Distanz der Jahrhunderte sind sie oft gar nicht so heiß. Zölibat und die Weigerung, Frauen zum Priesteramt zuzulassen, "sind entgegen anderslautender Behauptungen, nur Organisationsfragen und nicht Bestandteil der Glaubensfundamente, wie auch ein Blick auf die frühe Kirche zeigt."
Für den Historiker ist es selbstverständlich, "ad fontes" zu gehen. Das ist in diesem Fall liegen die Quellen in der Bibel. "Ich möchte zeigen, dass es sich immer noch lohnt, die alten Texte neu zu lesen … Es sind überraschend präzise Beschreibungen menschlicher Zustände und Träume, und man wundert sich und wird sehr traurig, wenn man sieht, mit welcher Blindheit und Gewalt die Botschaft der Befreiung, die sie enthalten, überlesen oder verbogen wurde." Die ersten Gedanken beschäftigen sich mit theologisch-theoretischen Begriffen, wie Gott, Freiheit oder Liebe. Diese erscheinen für den christlichen Glauben grundlegend.
Der zweite große Abschnitt ist der Praxis gewidmet. Religion, Kirche, Konfession und Einrichtungen wie Gemeinde, Gebäude, Klöster sind hier einige Stichworte. Mit historischem Wissen im Hintergrund wird vieles verständlicher: Religion ist das Bewusstsein bzw. Bekenntnis der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Menschen mit gemeinsamer Geschichte, ähnlichen Lebensvorstellungen und gleichem Glauben. Das Wort Kirche kommt vom griechischen "kyriakón", - zum Herrn gehörig - und meint sowohl das Gotteshaus als die dort versammelte Gemeinde. In den frühen Gemeinden nahmen Frauen verantwortungsvolle Stellen ein. Den Männern stand, wie auch sonst in den Kulturen des Römischen Reiches, vor allem die "politische Arbeit" zu. Die Geschichte der konfessionellen Spaltungen - beginnend mit den Arianern und Donatisten bis zur Abspaltung der Anglikanischen Kirchen von Rom - hatte weniger religiöse Gründe, als solche der Macht, des Ranges und der Politik.
Jahrhundertelang bestimmte die katholische Kirche die Abläufe im Jahres- und Lebenskreis. Die Generation des 1944 in Oberösterreich geborenen Autors "ist die letzte, die Lebensformen und Strukturen einer alten Welt noch selbst erleben konnte". Elektrischeer Strom, Auto, Mähdrescher waren einst sensationell, Bauernweisheiten und Wetterregeln Allgemeingut. Die Bedeutung des (seit den 16. Jahrhundert so genannten) Kirchenjahres prägte die Alltagskultur in Europa. "Theologisch lässt der Jahreskreis die großen Zyklen der Heilsgeschichte nachvollziehen, praktisch wurden an den bekannten Kirchenfesten die üblichen und notwendigen Tätigkeiten der Menschen merkbar gemacht. Viele jahreszeitliche Arbeiten mussten ja in einer bestimmten Region unter den Bauern einigermaßen im Gleichklang erfolgen … Die zeitlichen Parallelen von Kirchenfesten zu heidnischen Feiern sind - entgegen der landläufigen Meinung - meist eher zufällig. Die Anliegen, die Menschen in agrarischen Gesellschaften haben, sind nun einmal zu großen Teilen an den Kreis der Jahreszeiten gebunden. Außerdem bleibt das 'Vokabular', die Wünsche, Sorgen und Ängste der Menschen sinnlich auszudrücken, begrenzt. Wir wissen im Übrigen sehr wenig über die vorchristliche Alltagsreligiosität."
Im Einzelnen werden die Feste im Jahreskreis - Advent und Weihnachten, Osterkreis, Marienfeste, Pfingsten, Allerheiligen und Allerseelen - sowie die Heiligenfeste erläutert. Man lernt nachzuvollziehen, warum frühere Generationen eine Wallfahrt antraten, Reliquien verehrten und manches als Wunder erklärten. Im Lebenszyklus möchten auch heute viele Menschen die kirchlichen Rituale nicht missen oder suchen Ersatzrituale. Geburt/Taufe, Hochzeit und Tod sind Knotenpunkte des Lebens, die der Autor reflektiert: "Ab einem bestimmten Alter sollte es einem bewusst sein, wie viel man geschenkt bekommen hat, und dass alles, was nun kommt, eine noch größere Gabe ist…"
Das ausführliche Glossar im Anhang erlaubt es, den Inhalt punktuell zu erschließen und bietet eine Grundlage für die Auseinandersetzung mit den Ursprüngen des Glaubens.