Sonja Franzke: Total alles über Österreich#
Sonja Franzke: Total alles über Österreich. The Complete Austria. In Zusammenarbeit mit Hermann Gummerer und Franziska Maria Hack. Grafiken von no.parking. Folio-Verlag Wien – Bozen 2013. 128 S. ill., € 21,90
Bücher über Österreich gibt es viele, das zeigt schon diese Wissenssammlung: informative, sachliche, humorvolle, hintergründige, wissenschaftliche, feuilletonische …Dieses unterscheidet sich von allen. Es ist vielseitig – wie seine Autorin Sonja Franzke. Jahrgang 1970, war sie nach Buchhandelslehre und Universitätsstudium Programm- und Projektleiterin in namhaften Verlagen. 2008 hat sie als Bücherproduzentin die Agentur „vielseitig“ gegründet und findet auch noch Zeit für eigene Bücher.
Im Vorjahr war „Total alles über Südtirol“ erschienen, und offenbar so erfolgreich, dass man nun alles über Österreich erfahren sollte. Mit im Team sind wieder die Lektorin Franziska Maria Hack und der Mitbegründer des Folio-Verlags Hermann Gummerer, von dem Idee und Konzept dieser Bilder-Bücher stammt. Für die grafische Umsetzung der Bildstatistik zeichnet no.parking, eine Agentur für Kommunikation und Gestaltung in Vicenza, verantwortlich.
Ihre Piktogramme erinnern stark an die Isotype, die der Nationalökonom und Volksbildner Otto Neurath, ab 1925 verwendete. Er entwickelte die „Wiener Methode der Bildstatistik“ für pädagogische Zwecke. Sie kam ohne Schriftsprache aus, war weitgehend standardisiert und auf einfachste Schemata reduziert. Wie für die Darstellungsform dürfte auch die Beschreibung Neuraths auf das junge Autorenteam und sein Werk zutreffen: „Otto Neurath wird gemeinhin beschrieben als vielseitig Gelehrter mit breitem sowie „tief fundiertem Wissen“ und „lebhafter Vorstellungskraft“. Seine „lebenslustige“, „anregende“, „aufregende“ und „besessene“ Art von „sprudelnder Vitalität“ und „sprengender Energie“. (Wikipedia)
Fundiertes Wissen zeigen die Recherche bei Experten-Organisationen, wie Statistik Austria, Bund, Ländern, Museen, Verbänden, Akademie der Wissenschaft, Wifo oder ZAMG. Dazu kommen eigene Recherchen, teils im Internet. Schlecht beraten waren die Autoren – trotz seriös wirkender Quellen - allerdings beim Kapitel „Die fünfte Jahreszeit“. Dabei geht es um Bräuche, die dem touristischen Klischee entsprechen. Unverzeihlich sind Ausrutscher wie beim „Höllischen Bartelumzug“ in Kärnten, einem modernen Show-Event, wo die Gruppen angeblich „ein südgermanisches Fruchtbarkeitsritual wieder aufleben lassen“.
Lebhafte Vorstellungskraft braucht man bei den mehr als 100 Kapiteln kaum. Die Infografiken sprechen für sich. Einige Kostproben aus dem Abschnitt „24 Stunden“: 216 Kinder kommen auf die Welt und 209 Personen sterben, 105 Ehen werden begonnen und 46 geschieden, 71 Unternehmen werden neu gegründet und 66 geschlossen, 140 Ausländer wandern nach Österreich ein und 20 Österreicher wandern ins Ausland aus, 169 Minuten läuft der Fernseher und 194 das Radio, 24 österreichische Bücher erscheinen …
Zum Attribut „lebenslustig“ passen mehre Kapitel über Musik und Unterhaltung. Wer hat sich schon überlegt, dass es in Österreich 2,172 Musikkapellen gibt, von denen 77,2 % in Tracht auftreten ? Den Hauptanteil der Mitglieder macht die Altersgruppe über 30 Jahre aus (32,1 % Männer, 27,7 % Frauen). Das Musical über die Trapp-Familie („The Sound of Music“) brachte es in New York auf 1.443 und in London auf 2.386 Aufführungen. Den Film sahen 1,2 Millionen Besucher weltweit. Neujahrskonzert und Opernball fallen ebenfalls in diesen Themenkreis, wobei die korrekte Kleidung, die Aufforderung zum Tanz und die wichtigsten Komponisten im Bild, deutschen und englischen Kurztexten dargestellt werden.
Anregend ist das Bilderbuch auf jeden Fall. So erscheinen der/die/das älteste (z.B.Gestein: Bittescher Gneis, 1,38 Millionen Jahre – Kino: Breitenseer Lichtspiele, 1905), der/die das größte (z.B. Sektglas: Poysdorf, 1,98 m - Almgebiet: Postalm 42 km²). Ein historischer Parcours bietet „100 Jahre im Zeitraffer“.
Aufregend wird es bei der Politik, der Nahrung – 44,9 % der Österreicher und 29,9 % der Österreicherinnen sind übergewichtig oder manchen Preisen: 1/2 l Leitungswasser im Restaurant kann schon 3,10 € kosten, dafür sind die Besichtigung des Innsbrucker Goldenen Dachls und der Wiener Schmäh gratis.
Besessen war das Autorenteam offenbar von seinem Thema. Im knapp bemessenen Vorwort heißt es: „Die gewonnenen Fakten haben wir dann mit dem berühmt-berüchtigten österreichischen Schmäh, aber auch mit viel Respekt zu einem neuen Bild zusammengefügt. Gerade aus der Kombination von bewundernd-augenzwinkerndem italienischen Blick von außen und stolzer, heimatverliebter österreichischer Innenschau haben sich so erstaunliche neue Perspektiven eröffnet.“
Sprudelnde Vitalität und sprengende Energie begegnen den Lesern auf jeder Seite, in jeder Grafik. Wien ist eine eigene „emotionale Landkarte“ gewidmet, auf der nichts fehlt, woran man sofort denkt: Riesenrad, Sängerknaben, Fiaker, aber auch Straßenbahn-Haltestelle, Gackerl-Sackerl oder “die 48er“. Ein originelles Bildrezept zum Schnitzelkochen, Doppelseiten über Wein und berühmte Personen passen dazu wie das sprichwörtliche Kipferl zum Kaffee (dessen Variationen ebenfalls originell dargestellt sind).
Wenn auch Österreich ein kleines Land geworden ist – mit Kreisen einprägsam dargestellt – so bleibt es doch eine schwierige Aufgabe, alle neun Bundesländer über einen Kamm zu scheren. Besonders wenn es um Dialekte geht (wobei die Schimpfworte verzichtbar gewesen wären), auch die Gegenüberstellung von österreichischem und deutschem Deutsch ist nicht unbedingt gelungen. Wer sagt hierzulande schon „Da fällt mir die Lade runter“ oder „Tschuk aufs Aug?“ ? Richtig lustig sind hingegen der „Kaiser-Rebus“ – von Kaisersemmel bis Kaiserwetter -, die „Odyssee einer Kaiserin“, eine „Sisi“-Geschichte in Piktogrammen oder die Doppelseite über die Spanische Hofreitschule – 430 Jahre alt, 72 Hengste, 20 Bereiter, 300.000 Besucher pro Jahr – mit den klassischen Figuren. Und so wird sich wohl für viele der Wunsch des Autorenteams erfüllen: „Möge Ihnen diese infografische Entdeckungsreise durch Österreich mindestens so viel Vergnügen bereiten, wie Sie Neues kennen lernen und Bekanntes anders sehen werden.“