Inge Friedl: Almleben#
Inge Friedl: Almleben. So wie's früher war Styria Verlag Wien - Graz - Klagenfurt 2013. 176 S., ill., € 24.99
"Aller guten Dinge sind drei", möchte man zum jüngsten Buch von Inge Friedl sagen. Nach Almleben (2010) und Bräuchen (2012) geht es diesmal um die Alm. Auch darüber ist der Autorin ein ebenso hübsches wie informatives Buch gelungen. Das Konzept der ersten beiden hat sich bewährt: Interviews mit Männern und Frauen, die sich an die "Rückzugsgebiete der Zivilisation" erinnern, alte Fotos, Originalzitate, Lieder, Kochrezepte - alles in ein System gebracht und mit viel Liebe arrangiert.
Der Bilderbogen beginnt mit der "Almfahrt". Der Almauftrieb, lernt man dabei, "war keine feierliche Angelegenheit, im Gegensatz zum Almabtrieb." Menschen und Tiere konnten es kaum erwarten, bis es im Frühjahr Zeit zum Übersiedeln war. Zuvor, meist Ende Mai, stellten die Männer gemeinsam hölzerne Almzäune auf, um das Abstürzen der Tiere zu verhindern. Das einst landschaftsprägende Element sieht man heute nur noch in Freilichtmuseen.
Die Almsaison dauerte ungefähr vier Monate. Während dessen war die Sennerin, der sozialen Kontrolle im Dorf oder auf dem Hof entzogen, "ihr eigener Herr". In der Hütte, einem Blockhaus, gab es einen Arbeitsraum mit offenem Feuer zum Kochen und Käse machen. Dazu eine Schlafkammer und eine Stube, auf deren Aussehen die Bewohnerin besonderen Wert legte. Der Arbeitstag begann um zwei Uhr früh mit dem Melken, dann kam das Butterrühren. Der Stolz der Sennerin war "der schöne Butter", am besten vom Futter gelb gefärbt und dann geformt und verziert. Die bis zu 8 Kilogramm schweren Butterstriezel wurden in Blätter eingewickelt und von Helfern mit Kraxen oder Buckelkörben ins Tal gebracht. Käsen und Geschirr waschen waren die nächsten Tätigkeiten. Die Milchgefäße und der kupferne Käsekessel wurden auf Hochglanz geputzt und an der Außenwand zum Trocknen aufgehängt. Nach dem einfachen Mittagessen bekamen die Schweine Futter. Von drei bis fünf Uhr Nachmittag war wieder Zeit zum Melken.
Das Almleben war keineswegs idyllisch. Auch für Unglücksfälle musste man gewappnet sein. Dazu zählten Unwetter, die viele Tiere töteten. Schnee im Sommer wurde zur "Bewährungsprobe für die Sennerin", wenn die Rinder im Stall bleiben, gefüttert und getränkt werden mussten. Zum Schlimmsten, was passieren konnte, zählte es, wenn eines abstürzte. Dies zu verhindern, war Aufgabe des Halters, der oft noch ein Kind war. Der Hüterbub, der mit seinem Hund und einem Bergstock unterwegs auf den Weiden war, musste im Kuhstall schlafen.
Zu den Tieren brauchte die Sennerin eine besondere Beziehung. Sie sprach mit ihnen, gab ihnen Namen und kannte jedes Rind - was bei einer großen Herde ohne Ohrenmarken nicht leicht war. Es gab auch Ziegen und Schweine auf der Alm. Zwar schmeckte Ziegenmilch nicht so gut, doch gab eine Geiß im Vergleich zu ihrer Größe mehr Milch als eine Kuh. Das älteste Haustier des Menschen war die "Kuh der armen Leute". In jüngster Zeit werden Spezialitäten aus Ziegenmilch neu entdeckt. Schweine liefen auf der Alm umher und fraßen Alpenpflanzen. Zusätzlich erhielten sie Molke, daher soll das Fleisch der "Almsau" besonders fein gewesen sein.
Die Almromantik, speziell des 19. Jahrhunderts, umgab das Leben in der Einschicht mit allerlei Mythen. Dazu zählte das Edelweiß, das der kühne junge Mann als Liebesbeweis aus der Felswand holte. Der aufkommende Tourismus tat ein Übriges, so dass die Pflanze - als erste weltweit - seit 1886 unter Naturschutz steht. Ein großes Kapitel ist der "Liebe auf der Alm" gewidmet. Inge Friedl kommentiert: "Es waren vielfach die Frauen, die die Freiheiten, die ihnen das Almleben bot, besonders schätzten, auch wenn Schönes und Schweres, Vergnügen und Leid nah beieinander lagen." Almgeher kamen aus dem Dorf, teils in eindeutiger Absicht, teils zum harmlosen Vergnügen in Gruppen, um gemeinsam die Bauernfeiertage zu begehen oder zu musizieren. Die ersten Touristen erhielten als Gäste Butterbrote und Milch ohne Verrechnung, nur der Schnaps stellte einen kleinen Verdienst für die Sennerin dar.
Der Juchizer diente der Verständigung über weite Strecken. Kam Besuch auf die Alm, kündigte er sich so an, und man konnte sich zwischen den Hütten mit dem Schrei verständigen. Blieb die Antwort aus, war Grund zur Sorge gegeben. 1924 erstach ein zurückgewiesener Verehrer eine erst fünfzehnjährige Halterin auf einer Alm in den oberösterreichischen Voralpen. Die Reiflingbauernalm wird seither nicht mehr bewirtschaftet, ein Kreuz erinnert an den Mord. Auch Wilderergeschichten dürfen in dem Buch nicht fehlen, samt dem Hinweis, dass so manch verbotenes Gewehr in Betten von Sennerinnen ein Versteck fand. Nahte der Jäger, sollen sie den Wildschützen mit geheimen Signalen gewarnt haben. Sogar sagenhafte Überlieferungen wurden der Autorin erzählt, wie von Kasermandln, Schlangen und Würmern.
Ende September war es Zeit zum Almabtrieb. Wenn auf der Alm und im Hof alles in Ordnung war, bastelte die Sennerin aus Reisig, Blumen und buntem Krepppapier Hals-, Hörner- und Kopfschmuck für die Tiere. Besonders der Stier wurde festlich herausgeputzt und der Schmuck im Stall befestigt. Die Kühe mit speziellen Glocken, die Sennerin im Festtagskleid, der Treiber mit den anderen Tieren zogen ins Tal. Dabei gab es Bräuche, wie lustige Szenen, Musik und Böllerschüsse.