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Silke Geppert: Mode unter dem Kreuz #

Bild 'Mode'

Silke Geppert: Mode unter dem Kreuz. Kleiderkommunikation im christlichen Kult. 160 S., durchg. farbig ill., Verlag Anton Pustet, Salzburg 2013. € 25,-

Die Mode und der Tod – extremer können Gegensätze kaum sein. Doch Silke Geppert, Theologin, Kunst- und Kostümhistorikerin, geht in diesem Bildband noch weiter. Sie analysiert die „Mode unter dem Kreuz“ anhand von Darstellungen aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Gotische Flügelaltäre erweisen sich überraschenderweise als Spiegelbilder der „Haute couture des Mittelalters“. Noch überraschender ist der Schluss, den die Autorin daraus zieht. Es war „die Aufgabe der Künstler, die Identifikation der Gläubigen zu erreichen“. Die dargestellten Heiligen, allen voran die „Büßerin“ Maria Magdalena, sollten die Betrachter zu Reue und Umkehr aufrufen. Als Beispiele bringt die Dozentin für vestimentäre Kunstgeschichte berühmte europäische Bildwerke, etwa den Magdalenenaltar von Lucas Moser (um 1390 - nach 1434), den Sakramentsaltar von Rogier van der Weyden (um 1400 -1464) oder den Greverade-Altar von Hans Memling (um 1435 - 1494). Zum Vergleich zieht sie Gemälde, Handschriften-Illustrationen und Gobelins heran, darunter eine Kreuzigung Rogier van der Weydens aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum. Eine Zeichnung aus der Albertina zeigt die Herzogin Maria von Burgund (1457-1482) mit der „Hennin“, einer zuckerhutförmigen Kopfbedeckung, von deren Spitze ein bodenlanger Schleier fällt. Im 15. Jahrhundert war die burgundische Mode und Hofkultur von besonderem Einfluss auf die europäischen Fürstenhöfe. Rogier van der Weyden war als Hofmaler des Hauses Burgund ein „Berichterstatter der zeitgenössischen Mode“. Seine Erfahrungen zeigen sich auch den Heiligendarstellungen, die in krassem Gegensatz zur kirchlichen Lehre von der Modesünde „Luxuria“ standen, denn „Modischer Prunk und Pomp, Schmuck und Putz, Aufwand, kurzum Hoffart, galt im Mittelalter als eine der Todsünden und wurde als Wurzel allen Übels gesehen. Mode war ein Symbol der Sünde, das machte sie so reizvoll.“

Eine Hauptrolle spielt dabei Maria Magdalena. Die Autorin erläutert den Wandel der Legendenbildung: Nach biblischen Berichten (Mt 28, Mk 16, Lk 24, Joh 20) wurde Maria Magdalena, nachdem sie unter dem Kreuz gestanden war, als erste Zeugin am leeren Grab des auferstandenen Jesus zur „Apostelin der Apostel“. Im 4. Jahrhundert begann die westkirchliche Tradition, ihre Person mit anderen zu verknüpfen, wie der namenlosen Sünderin, die Jesus die Füße salbte, oder Maria von Bethanien. Papst Gregor der Große (um 540 – 604) erklärte dies als offizielle Auslegung, die bis zur Zeit des 2. Vatikanischen Konzils galt. Weitere Legenden flossen ein, so die Parallele zur Ägyptischen Maria, einer Büßerin und ehemaligen Prostituierten. Im 15. Jahrhundert, als die hier referierten Bildwerke entstanden, gab es 200 verschiedene hagiographische Schriften zur Vita der Maria von Magdala. „Die Apostelin der Apostel ist im Lauf der Jahrhunderte zum Musterbeispiel von Sünde und Sexualität geworden, weil ihre spezifisch schillernde, bevorzugte und einmalige Geschichte sich für entsprechende Phantasien anbot.“ Ihre Gewänder auf den Tafelbildern widersprachen allen Kleiderordnungen: tiefe Dekolletés, sichtbares Untergewand, figurbetonte Kleider, Schmuckärmel, Handschuhe… . Kleiderordnungen waren – von 1180 bis ins 18. Jahrhundert - die häufigsten kommunalen Erlässe. Kleidung wurde in den Städten, in denen die individuelle Mode entstand, zu einem essentiellen Ausdrucksmittel sozialer Distinktion.

„Das Gewand hatte daher eine andere Bedeutung als heute, weil die vormoderne ständische Gesellschaft auf die sichtbare Unterscheidung ihrer Hierarchien angewiesen war. Die herrschende Klasse war darum bemüht, ein subtiles Zeichensystem durchzusetzen und auszubauen, das Standesgrenzen und –unterschiede offenbarte und eine Einordnung des Trägers möglich machte.“

Der „vestimentäre Code der Heiligen“ ist der rote Faden des Buches. Vielschichtig verwoben zeigen sich künstlerische, politische und wirtschaftliche Aspekte. Die bedeutenden Städte in Italien, Frankreich und Belgien lebten vom 13. bis zum 15. Jahrhundert nachweislich zu mindestens 70 % von Erzeugung und Handel von Textilien. Stoffe ermöglichten den Wohlstand der Bürger, die als Auftraggeber von Kult-Bildern fungierten. Kostümgeschichtliche Entwicklungen und Bedeutung der Farben – wie die „Verschwärzung der Kleidung“ am burgundischen und später am Hof der spanischen Habsburger – sind weitere Themen. Ein Glossar erklärt die verwirrenden Kostümbezeichnungen des Mittelalters.

Das Vorwort schrieb Annemarie Bönsch, Österreichs bekannteste Kostümhistorikerin, die an der Universität für Angewandte Kunst in Wien lehrt. Darin gibt die Professorin eine Zusammenfassung: „Nach einer gründlichen Auseinandersetzung mit der Vorgeschichte im 12., 13. und 14. Jahrhundert beginnt eine breite Schilderung der Situation im burgundisch dominierten Jahrhundert. Zunächst wird die Bedeutung Giottos für die Darstellung dieser Heiligen (Maria Magdalena) hervorgehoben. Mit Giotto beginnend, sollte der … hinabgesunkene Mantel der Heiligen zum unverzichtbaren kostümlichen Signal werden. … Die Einbettung der schillernden Heiligen in die Kostümgeschichte des 15. Jahrhunderts führt in eine spannende und zugleich schwierige Phase der Entwicklung – besser: Entstehung – der Mode überhaupt. Der vielleicht manierierteste Abschnitt der europäischen Kostümgeschichte als Abschluss des Mittelalters wird in all den Facetten gründlich und spannend zugleich geschildert. … Das Bemühen, die kunsthistorische Bildbeschreibung und Interpretation einer kostümkundlichen Sichtweise anzunähern, ist voll und ganz gelungen.“