Stefan Olah (Hg. Sebastian Hackenschmidt): Fünfundneunzig Wiener Würstelstände#
Stefan Olah (Hg. Sebastian Hackenschmidt): Fünfundneunzig Wiener Würstelstände
160 S., durchg. ill., Verlag Anton Pustet Salzburg 2013. € 21,-
Würstelstände gelten üblicherweise als ebenso „typisch wienerisch“ wie der Heurige. Beide scheinen das Klischee des Phäakentums zu bestätigen, beiden sagt man nach, dass sich hier die Bewohner ohne Standesunterschiede zur geselligen Konsumation treffen. Doch anders als die Buschenschenken haben es die Würstelstände nicht zur Touristenattraktion gebracht. Das könnte sich nach dem Erscheinen dieses Buches ändern.
Der Bildautor, der Fotodesigner Stefan Olah, hat schon mehrfach Bauwerke und Details ins rechte Licht gerückt, denen üblicherweise die Wertschätzung versagt bleibt, wie „Österreichische Architektur der Fünfziger Jahre“ (Verlag Pustet, 2011) oder „Stadtbahnbogen“ (Metroverlag, 2012). 2010 veröffentlichte er gemeinsam mit Sebastian Hackenschmidt das Buch "Sechsundzwanzig Wiener Tankstellen". Diese Werke leben von den Bildern, die Alltagskultur bewusst machen. Aus, wie ursprünglich von den Autoren geplant, 42 Wiener Würstelständen sind nun 95 geworden. Manche tragen phantasievolle Namen: Würstel-Express, Wurst-Stadl, Big Mama, 2 Damen vom Grill, Gourmet-Box, Rock n Wurst, Heisse am Gürtel, Klasse Hasse, Gartenbuffet, Imbisstreff, Alleestüberl, Würstelmausi oder Endstation. Weit weniger kreativ ist ihre Gestaltung, meist handelt es sich um containerartige Hütten mit plakativen Werbeaufschriften. Manch ein Betreiber bevorzugt rustikale Formen („Almrausch“), Designermodelle, wie bei der Albertina, sind selten. Imbissstände leben von ihren Kunden. Auch sie sind auf einigen Bildern präsent. Die Motive zeigen sich bei Tag und Nacht, im Sommer und Winter (besonders originell „Am Nordpol“), in der City und an der Peripherie. Wo sie sich genau befinden, verrät der abschließende Bildindex.
Für den Textteil zeichnet Sebastian Hackenschmidt verantwortlich. Der Kunsthistoriker und Germanist wirkt als Kustos für Möbel und Holzarbeiten am MAK und ist u. a. Mitherausgeber des "Lexikon des künstlerischen Materials". Der Textteil zeichnet sich vor allem durch unkonventionelle grafische Gestaltung und seine Zweisprachigkeit (deutsch – englisch) aus. Er beginnt mit einem ungustiösen Kommentar von Daniel Spoerri, der wohl als Kunst verstanden werden will, illustriert mit einem barocken Kaufruf eines Salamiverkäufers. Aus einem Einleitungskapitel erfährt man, dass deren Waren im 19. Jahrhundert bei „fliegenden Händlern“ auf ambulanten Ständen zu haben waren. Diese befanden sich oft in der Nähe von Fabriken, um den Schnellimbiss während der kurzen Mittagspause zu ermöglichen. Erst in den 1960er Jahren etablierten sich die Stände als Zeugnisse einer anonymen Architektur. Diese sind in der Folge auf ganzseitigen Bildern nach Olahs Fotos zur Geltung gebracht, ehe Beiträge von Leonhard Weidinger – ebenfalls MAK-Kurator – und Tex Rubinowitz (Kurztext + Karikatur) das Buch abrunden. Weidingers Artikel bringt das meiste an historisch Interessantem, wenn auch nicht Unbekanntem, etwa dass „Wurstigkeit“ in Wien mit „Gleichgültigkeit“ zu übersetzen wäre und der Wurstel dem Kasperl entspricht. Man sagt auch nicht „ein Paar Würste“, sondern im doppelten Diminuitiv „ein Paarl Würstel“. Als deren Erfinder gilt der Frankfurter Metzger Johann Georg Lahner, den die Walz nach Wien führte. 1805 gründete er hier seine Selcherei und präsentierte die „Original Wiener Lahner-Frankfurter Würstel“ aus Rind- und Schweinefleisch. Der Autor gibt Einblick in den Codex alimentarius, die drei Gruppen (Roh-, Koch- und Brühwürste) und vermerkt, dass es in Wien „keine solitär identitätsstiftende Wurstsorte“ gibt, sondern die Vielfalt des Angebots typisch für den Würstelstand ist. Zu Frankfurter, Burenwurst und Käsekrainer gesellen sich zunehmend internationale Speisen wie Döner, Kebab, Langos, Pizza oder Frühlingsrolle. Er erinnert auch an den Kaiserkrainer-Streit im Vorjahr, als es um die EU-geschützte Namensbezeichnung ging. Er endete mit einem Kompromiss: Slowenien konnte zwar die Marke „Kranjska Klobasa“ für sich beanspruchen, doch sind in Österreich die Bezeichnungen „Krainer“ und „Kaiserkrainer“ weiterhin erlaubt. „Der Friede am Würstelstand blieb also gewahrt.“