Theophil Hansen - Der Baumeister des Parlaments #
Der Baumeister des Parlaments. Theophil Hansen (1813–1891). Sein Leben - Seine Zeit - Sein Werk. Texte von Andreas Pittler und Hermann Schnell. Herausgeber: Republik Österreich - Parlamentsdirektion. Edtion Winkler-Hermaden, Schleinbach 2013 216 S., über 200 Farb- und SW-Fotos, € 49,90
Vor 200 Jahren wurde Theophil Hansen in Kopenhagen geboren. Er lebte in Athen und Wien. Hier wurde er Ehrenbürger, Ritter und als Akademieprofessor - einer seiner Schüler war Otto Wagner - ein Wegbereiter der Moderne. In einem halben Jahrhundert entwarf Hansen 73 Projekte und konnte die meisten davon realisieren, viele in den Städten der Donaumonarchie. Seit 1846 in Wien, trat er in das Atelier seines Schwiegervaters Ludwig Förster ein und baute, teils gemeinsam mit ihm, eine Reihe markanter historistischer Denkmale: Evangelische Kirche Gumpendorf, Heeresgeschichtliches Museum im Arsenal, Friedhofskirche Matzleinsdorf, Erweiterung der griechisch-orthodoxen Kirche, Palais Sina, Evangelische Schule, Heinrichshof, Deutschmeisterpalais, Musikvereinsgebäude, Miethausgruppe Schottenring 20-26 ("Palais Hansen"), Epsteinpalais, Ephrussipalais, Akademie der Bildenden Künste, die Börse und zuletzt das Parlament.
Diesem Hauptwerk ist der, von der Parlamentsdirektion herausgegebene, Bildband gewidmet. Hansens Gesamtkunstwerk ist zugleich modern und voller Symbolik, wie sie die Ringstraßenzeit schätzte. Schon der erste Blick lässt die Bestimmung des Reichsratsgebäudes als "Tempel der Demokratie" erkennen. Facettenreich wie dieser ist auch das Buch darüber. Die Autoren sind ausgewiesene Fachleute. (Sie haben es nicht verdient, dass man ihre Namen nur im Impressum findet.) Andreas Pittler, Historiker und Sachbuchautor, hat eine Reihe von Politiker-Biographien, aber auch Krimis und Belletristik, verfasst. Architekt Hermann Schnell ist Mitglied des Expertengremiums, das die anstehende Generalsanierung plant.Das Buch informiert über Hansens Leben im Kontext der politischen und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Das Neue am Historismus war der Stilmix. Zuvor, bis zur Französischen Revolution, hatte es immer eine Art internationalen Generalstil gegeben: Griechisch-römisch, Romanik, Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko, Klassizismus. Dann brachte die Industrielle Revolution der Architektur neue Aufgaben, Technologien und Materialien. An der Ringstraße, einem "Hauptexperimentierfeld des Historismus", und ihrer Umgebung wollte man für jedes Repräsentationsgebäude das passende Stilvorbild finden: Romanik oder Gotik für Kirchen, Renaissance für Banken und Bürgerhäuser, Barock für Theater. Beim Parlament war das Vorbild der griechischen Antike wegen der Demokratiebezüge entscheidend, auch empfand Hansen den klassischen Baustil "als besonders vornehm, von reduzierter, dichter Qualität und von ruhiger Inspiration". Wie richtig er damit lag, bestätigt Hermann Schnell: "Das Ur-Layout des Parlaments hat sich über die Nutzungsdauer von 130 Jahren als außerordentlich robust und flexibel erwiesen". Dies käme auch der geplanten Generalsanierung sehr zugute.
Die Geschichte des Parlamentsgebäudes an der Ringstraße stellt Andreas Pittler unter den plakativen Titel "Der Däne und seine Pläne". Sie begann mit der Stadterweiterung, dem berühmten kaiserlichen Handschreiben vom 20. Dezember 1857, dem ein Architektenwettbewerb folgte. Theophil Hansen war Mitglied der Beurteilungskommission. 1871 stellte er seinen Entwurf für das Bauwerk vor, drei Jahre später wurde der Grundstein gelegt, 1879 erfolgte die Gleichenfeier. Bei dieser Gelegenheit war Kaiser Franz Joseph anwesend, der das Gebäude nie mehr betrat. Zumindest lobte er Ende 1883 anlässlich der ersten Sitzung im Abgeordnetenhaus die Leistungen des heimischen Gewerbes. Der Architekt verwirklichte mit seinem Gesamtkunstwerk ein eindrucksvolles Programm: "In seinem Entwurf gelingt es Hansen, Föderalismus und Zentralismus zu versöhnen, und er postuliert, dass die Liebe zur Freiheit verbunden mit dem Willen zur gesetzlichen Ausgestaltung des Zusammenlebens die Menschheit auf eine neue zivilisatorische Stufe emporhebt, welche die Grundlage für ein neues, lichtvolles Zeitalter bildet."
Die weitere Entwicklung Österreichs war keineswegs nur lichtvoll. Die Geschichte des Gebäudes vom Untergang der Monarchie, vor dem und im Zweiten Weltkrieg, Wiederaufbau und Umbauten bis zur Gegenwart spiegeln den Zeitgeist. Beim Bombardement im Februar 1945 wurden 50 % des Parlamentsgebäudes vernichtet. Nach den wichtigsten Sicherungsmaßnahmen konnten die neu konstituierten Gremien von National- und Bundesrat im Dezember wieder ihrer verfassungsmäßigen Arbeit nachgehen. Bis 1953 war die Säulenhalle hergestellt, wobei sich die solide Bauweise bewährte. Um dem Materialmangel an Bodenplatten abzuhelfen, schnitt man die Marmorplatten quer durch und verlegte sie neu. Der optische Eindruck blieb gewahrt. Während hier möglichst originalgetreu rekonstruiert wurde, sollte der Sitzungssaal modern gestaltet werden. Sein aus Stahl getriebener Bundesadler wurde zum "Leitfossil für die Industriegesellschaft". "Der heute noch weitgehend im Zustand von 1956 erhaltene Saal mit seinen Nebenräumen gilt als eines der wichtigsten Baudenkmäler der Österreichischen Nachkriegsarchitektur" ', meint Architekt Hermann Schnell, der dem Plenarsaal eine insgesamt hohe Austattungsqualität bescheinigt. In den 1970er Jahren erhielten die Abgeordneten eigene Büros. Nach der Jahrtausendwende wurde das benachbarte Palais Epstein, ebenfalls ein Hansen-Bau, für Parlamentszwecke adaptiert. Gleichzeitig nahm man den Bau des Besucherzentrums unter der Rampe in Angriff. Hand in Hand damit gingen Erneuerungen der Infrastruktur und die Sanierung des Brunnens, der zuletzt täglich 1000 Liter Wasser verloren hatte.
Ein größerer Umbau des Parlaments steht unmittelbar bevor. Die letzten beiden Kapitel schrieb Architekt Hermann Schnell, der Mitglied des damit befassten Expertengremiums ist. Unter dem Titel "Der moderne Hansen" stellt er neue, überraschende Perspektiven des Monumentalbaues an der Ringstraße vor. In der Architekturanalyse zeigt sich Hansen als moderner Architekt. Der Würdigung des Parlamentsgebäudes in seiner zeitlosen Qualität schließt Schnell einen Ausblick auf Potentiale für zukünftige Nutzungen an. Schließlich widmet er sich dem Bau, seiner Symbolik und architektonischen Qualität. Dabei erfährt man viel Interessantes, über dessen "erzählende Ausstattung" und psychologische Aspekte der Raumwirkung und Ausstattung, die nicht nur für das konkrete Beispiel gelten. "Die grundsätzlichen Effekte von Gestaltbotschaften lassen sich auf der menschlichen Befindlichkeitsskala von kalt-lähmend, langweilig-einschläfernd, entspannend-beruhigend, über interessant, anregend-heiter, aufwühlend-befremdend, bis hin zu aggressiv-irritierend beschreiben. … (Sie entstehen) durch das Zusdammenwirken von Raumproportionen, Materialität, Farben, Licht und Akustik." Die richtige Balance zu finden war und ist schwierig. Theophil Hansen hat sie in seinem Gesamtkunstwerk Parlament gefunden: "Die nach außen gerichteten … Botschaften von Diskretion, philosophischer Weisheit, Ruhe, Klarheit und beiläufger Begegnung werden auf der 'städtebaulichen' Ebene der Gebäude-Grundlayouts und der Baumassen-Arrangements perfekt transportiert. … Im ganzen Haus - auch und gerade in den großen und sogenannten repräsentativen Räumen - wirkt der Mensch niemals klein und fremd, sondern darf sich als angenehm willkommen und von der Eleganz und Großzügigkeit der Raumfolgen erhoben fühlen." Dem modernen Architekten stellt sich die Frage, was sich aus Hansens Werk in die Zukunft übertragen ließe, und er zieht die Schlussfolgerung: "Aus … dem universellen Können und der souveränen Haltung des Architekten haben wir zu lernen."
Ein integrierender Bestandteil des Prachtbandes sind die mehr als 200 Abbildungen, großteils in Farbe, nach Originalzeichnungen und Plänen des Baukünstlers und historische Schwarz-weiß-Fotos aus dem Parlamentsarchiv. Dazu kommen perfekte zeitgenössische Aufnahmen des Objektes mit seinen zahlreichen Details und Vergleichsbeispiele. Das Werk bildet ein würdiges Geburtstagsgeschenk für den Meisterarchitekten der Ringstraße.