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Nikolaus Hofer (Hg.) : Archäologie und Bauforschung im Wiener Stephansdom.#

Bild 'Dom'

Nikolaus Hofer (Hg.): Archäologie und Bauforschung im Wiener Stephansdom. Quellen zur Baugeschichte des Domes bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Mit Beiträgen von Günther Buchinger, Friedrich Dahm, Hubert Emmerig, Angelika Geischläger, Nikolaus Hofer, Markus Jeitler, Renate Kohn, Karin Kühtreiber, Paul Mitchell, Johann Offenberger, Doris Schön und Andreas Thinschmidt. Wiener Dom Verlag Wien 2013. 416 S., durchg. farbig ill., € 79,90

Gut Ding braucht Weile, sagt man. Die Kirche denkt in Ewigkeiten, die Denkmalpflege in Jahrhunderten. Zwischen den jüngsten archäologischen Grabungen im Stephansdom (1996 und 2000/2001) und dem Vorliegen der von Bundesdenkmalamt und Dombauhütte St. Stephan herausgegebenen Dokumentation ist mehr als ein Jahrzehnt vergangen. Aber nun liegt ein stattlicher, großformatiger Band mit 400, durchgehend farbig illustrierten Seiten vor. Das wissenschaftliche Werk gibt keine eindeutigen Antworten, es ermöglicht den Lesern, "sich ein eigenes Bild von den Grabungsergebnissen zu machen, ohne zwangsweise den Argumentationslinien des Ausgräbers beziehungsweise des Autorenteams folgen zu müssen". Für den Herausgeber ist die Publikation ein "außergewöhnlich zu bezeichnender Band …, der mit zahlreichen neuen, teils wirklich sensationellen Erkenntnissen zur Baugeschichte des Domes aufwartet, die auch massive Auswirkungen auf die künftige Sicht der historischen Entwicklung Wiens haben dürften."

Das einleitende Kapitel von Nikolaus Hofer lässt darauf schließen, dass sich nicht nur die Ausgrabungen äußerst schwierig gestalteten, sondern auch deren Auswertung und Dokumentation. "Im Spannungsfeld zwischen Dokumentation und Interpretation" entschied sich Hofer, als Verantwortlicher für die Publikationen der Abteilung Bodendenkmale (seit 2012: Archäologie) des Bundesdenkmalamts, mit dem Redaktionskomitee für eine salomonische Lösung.

Das Werk gliedert sich in drei Teile. Im ersten Abschnitt finden sich grundlegende ältere Texte, die durch neuere Erkenntnisse teilweise überholt sind. Der Dom ist seit dem 18. Jahrhundert Gegenstand intensiver Forschungen. 1862 bis 1891 leitete Friedrich Schmidt die 1852 neu gegründete Dombauhütte. (Der Dombaumeister verfasste auch die Pläne des 1872 bis 1883 in neogotischen Formen errichteten Wiener Rathauses.) Im Zusammenhang mit der dem Zeitgeist des Historismus verpflichteten intensiven Restaurierungstätigkeit am Stephansdom und der Wiederherstellung der Südturmspitze beschäftigte sich Schmidt mit der Bauforschung. Seine Abhandlungen "Ueber die zwei älteren Bauepochen der Domkirche zu St. Stephan" aus dem Jahr 1881 sind hier ebenso nachzulesen, wie Artikel über die Baugeschichte von Wilhelm Anton Neumann (1896 und 1905), Alois Kieslinger ("Die Steine von St. Stephan, 1949) und Karl Oettinger über die Grabungen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der zweite Teil umfasst die Beiträge zu den Ausgrabungen des Bundesdenkmalamtes 1996 und 2000/2001, die Johann Offenberger und Angelika Geischläger durchführten. Die archäologischen Interventionen fanden im Umfeld der Restaurierung des Riesentores (1995-1998) und anlässlich des Heizungseinbaus 2000/2001 statt. Ergänzende Beiträge beziehen sich auf die damals zu Tage gekommene Keramik, Grabbefunde, Fundmünzen, Freskofragmente, Spolien und Bodenfliesen, Inschriften und die begleitende petrographische Befundung.

Den letzten Abschnitt bilden eine Gesamtwürdigung, die auch die wesentlichsten Urkunden zur frühen Baugeschichte enthält und eine Zusammenfassung des Herausgebers. Archäologie und Bauforschung bestätigen, so Nikolaus Hofer, "dass der Stephansdom nicht umsonst als eines der wichtigsten nationalen Kulturgüter gilt". Der älteste freigelegte Befundhorizont ist der Spätantike, im Wesentlichen dem 4. Jahrhundert, zuzuordnen. Der ummauerte römerzeitliche Gräberbezirk konnte jetzt exakt lokalisiert werden. Wenn auch keine Spuren einer kontinuierlichen Siedlungs- oder Bestattungstätigkeit zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert nachweisbar waren, deutet sich doch ein baulicher Fortbestand der römischen Ruinen an. Ein Friedhof aus dem 9. bis 11. Jahrhundert weist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf eine im Umfeld des späteren Domes gelegene Kirche hin. Sie wäre die älteste Kirche Wiens. Die neuen Befunde belegen nicht nur einen bisher unbekannten frühhochmittelalterlichen Bestattungsplatz, sie deuten auch auf Siedlungsaktivitäten in seinem Umfeld hin. In diesem Zusammenhang geben Reste aus dem 11./12. Jahrhundert - eines profanen Turmbaues? - im Bereich der Westempore noch Rätsel auf. In das 12. Jahrhundert datiert der erste basilikale Bau, mit 30 x 50 m eine der größten Kirchen Österreichs. Eine moderne Rekonstruktion im Buch zeigt das imposante Erscheinungsbild der romanischen Kirche. Diese wurde bis zum spätem 13. Jahrhundert noch auf 80 m verlängert. Möglicherweise war schon damals eine Bischofskirche geplant (ein selbstständiges Bistum Wien wurde erst im 15. Jahrhundert erreicht). Interessant in dem Zusammenhang ist der Fund eines Freskofragments mit Bischofsdarstellung um 1150 - die älteste figürliche Malerei des mittelalterlichen Wiens. Aus der Zeit der ersten Basilika stammt ein Münzfund mit dem für Kirchen typischen Spektrum: viel Kleingeld und mehrere Falschmünzen. Inschriftenfunde belegen den Dom als reichsten Inschriftenstandort Österreichs - obwohl die 200 epigraphischen Denkmäler, davon 60 % zum Totengedächtnis, nur ein geschätztes Fünftel des einstigen Bestandes darstellen. Zweitverwendungen behauenen Steinmaterials waren an der Tagesordnung.

Die Verantwortlichen der letzten großen Grabung, Johann Offenberger und Angelika Geischläger, stellen in ihrer Zusammenfassung fest, dass "auf der Suche nach Erklärungen für zeitliche und bauliche Zusammenhänge letztendlich mehr Fragen aufgeworfen als geklärt" wurden. Aber der Herausgeber Nikolaus Hofer meint: "Schon jetzt kann der Stephansdom mit einigen archäologischen und bauhistorischen 'Superlativen' aufwarten, etwa dem ältesten Profanbau, der ältesten erhaltenen figürlichen Malerei, der ältesten erhaltenen mittelalterlichen Inschrift und möglicherweise sogar der ältesten Kirche Wiens."