Michiko Mae - Elisabeth Scherer (Hg.): Nipponspiration#
Michiko Mae - Elisabeth Scherer (Hg.): Nipponspiration. Japonismus und japanische Populärkultur im deutschsprachigen Raum. Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2013, 358 S.
51 Abb., € 35.90
"Nipponspiration" bezeichnet den Einfluss japanischer Populärkultur auf den westlichen Alltag. Mit ihrer weltweiten Verbreitung ist sie zu einem Teil unserer Alltagskultur geworden. Ihr kultureller Einfluss und der Enthusiasmus, den sie besonders bei jungen Menschen hervorruft, ist vergleichbar mit der Bedeutung des Japonismus für die Entstehung der künstlerischen Moderne in der Zeit um 1900. Damals übernahm Gustav Klimt die ornamentale Gestaltung japanischer Holzschnitte in seine Gemäde. Und er war nicht der einzige Künstler der Wiener Secession, der sich solcherart inspirieren ließ.
Historische Nipponspiration begann, ausgehend von Paris, nach der Öffnung des Inselreiches Ende des 19. Jahrhunderts. "Im deutschsprachigen Raum bildete sich Wien als ein erstes Zentrum des Japonismus heraus. Der Grundstein dafür wurde mit der Weltausstellung 1873 gelegt, bei der sich Japan erstmals offiziell als Nation präsentierte und sogleich eine große Begeisterung auslöste," schreiben die Herausgeberinnen im Vorwort. Um die Jahrhundertwende hatte die Japanbegeisterung die Wiener Gesellschaft erfasst. Damen kleideten sich zu besonderen Anlässen in Kimonos und verwendeten japanische Fächer, Zeitungen berichteten über fernöstliche Gebräuche, die Secessions-Ausstellung 1900 war eine der ersten von japanischer Kunst in Europa. "Den Japanern war in den Augen der Wiener Beobachter der Spagat zwischen einer raschen Modernisierung bei gleichzeitigem Erhalt bestimmter Traditionen gelungen - eine Entwicklung, die man sich auch für die eigene Gesellschaft wünschte." Der Beitrag über japonistische Strömungen in der Wiener Moderne eröffnet den ersten Teil des vielseitigen Buches, "Nipponspiration um 1900". Die amerikanische Germanistikprofessorin Susanne Kelley referiert ihren Forschungsschwerpunkt. Sie beschreibt die Begeisterung auf der Wiener Weltausstellung 1873, wo gezählte 6668 japanische Objekte zu sehen und teilweise auch zu kaufen waren. Besonders die Fächer fanden als Souvenir großen Anklang. Im folgenden Jahr wurde das "Orientalische Museum" gegründet, um die Handelsbeziehungen weiter zu fördern. (Die Sammlung ging an das spätere MAK.) Wiener Kunst- und Kulturkritiker zeigten sich begeistert, Japan erhielt Anregungen für die Modernisierung seiner Wirtschaft. In der Unterhaltungskultur blieb das Fernöstliche lange populär. Peter Altenberg erkannte den Wert der Andeutung in der japanischen Kunst und übertrug das Prinzip auf seine literarischen Skizzen: "Die Japaner malen einen Blütenzweig und es ist der ganze Frühling. Bei uns malen sie den ganzen Frühling und es ist kaum ein Blütenzweig." Die Schriftstellerin und Salonière Berta Zuckerkandl-Szeps ließ sich in einem Reformkleid mit Blütendekor ablichten, ebenso wie Fotos von Gustav Klimt und Emilie Flöge Nipponspiration in ihrer Kleidung verraten. Fürstin Pauline Metternich inszenierte 1901 im Prater ein äußerst erfolgreiches "Kirschblütenfest" mit Pavillons, Pagoden, Teehäusern und Gärten.
"Orte exotischer Fremdheit" behandelt der deutsche Soziologe Christian Tagsold, der sich über Japanische Gärten im Westen habilitiert hatte. Wieder war Wien wegweisend. Während in Deutschland erst 1904 in Düsseldorf der erste derartige Park angelegt wurde, zeigten sich schon eine Gerneration zuvor Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth bei einem Besuch der Weltausstellung begeistert vom Ambiente der Pagoden und Pavillons. Der Autor weist auf die Besonderheit hin, dass dabei die Umgebung eines Shinto-Schreins nachgebildet wurde, während man üblicherweise buddhistische Tempel-Gärten mit Japan assoziiert. Diese Entscheidung erfolgte nicht zufällig: "Die neue Meji-Regierung versuchte in dieser Zeit, aus den diversen Shinto-Strömungen eine einheitliche Staatsreligion zu formen" - und diese international zu präsentieren. 1893 erschien das Buch "Landscape Gardening in Japan" des Engländers Josiah Conder, das westlichen Gartenarchitekten "quasi als Bauanleitung" diente. In der Folge fehlten derartige Anlagen auf kaum einer Welt- oder Gartenausstellung und reiche Privatiers gaben sie in Auftrag (wie in Wien Baron Rothschild).
Der zweite Teil behandelt "Nipponspiration in der künstlerischen Praxis" anhand von Interviews mit der Regisseurin Doris Dörrie, die in Japan sogar in einem Kloster drehen durfte, und der deutschen Mangazeichnerin Christina Plaka.
Schließlich geht es um Pop-Impulse aktueller Hoch- und Alltagskultur: Deutsche Spielfilme mit Japanbezug, wie die rosarote "Hello-Kitti"-Welt, Manga, Anime oder die "Lolita"-Mode-Subkultur. Manga, japanische Comics, kamen in den frühen 1980er Jahren nach Deutschland, wo sie jetzt etwa die Hälfte des Comic-Marktes ausmachen, wobei sich zunehmend Mischformen etablieren. Anime zeigt sich ebenfalls in vielen Spielarten "zwischen Trivialität und Hochkultur". Die Geschichte des Animationsfilms begann in Japan um 1910. Um 1970 wurden klassische europäische Stoffe wie "Die Biene Maja", "Pinocchio" oder "Heidi" von japanischen Zeichnern zu neuem Fernseh-Leben erweckt. Der modische Lolita-Stil hat sich in den 1980er Jahren entwickelt: "Sie tragen Kleider mit Rüschen, Schürzen und Schleifen, ihre Köpfe sind mit Häubchen bedeckt, unter denen ihre Haare in Korkenzieherlocken auf die Schultern herabfallen, sie schauen oft etwas scheu in die Kamera, wirken wie aus einem anderen Jahrhundert." Obwohl sie dem kawaii-Konzept (Konzept des Niedlichen) der shojo-Kultur (Mädchen-Kultur) folgt, ermöglicht die Verkleidung doch ein gewisses Maß an Individualität und Non-Konformität. Damit zeigt sich einmal mehr die Widersprüchlichkeit der Populärkultur, die in diesem Sammelband so eindruckvoll dargestellt wird. Die historischen und aktuellen Beispiele vermitteln nicht nur Fakten, sondern auch Nachdenkimpulse über "das Eigene", "das Fremde" und die Globalisierung.