Helga Peham: Die Salonièren und die Salons in Wien#
Helga Peham: Die Salonièren und die Salons in Wien. 200 Jahre Geschichte einer besonderen Institution. Styria Verlag Wien, Graz, Klagenfurt 2013. 328 S., ill., € 24,99
In der Architektur bezeichnet "Salon" seit dem 17. Jahrhundert ein repräsentatives Empfangszimmer. Im übertragenen Sinn handelt es sich um die künstlerisch oder intellektuell interessierte Gesellschaft, die eine geistreiche Frau in ihren Salon einlädt. Das war zuerst in Pariser Adelskreisen üblich. Nach Wien kam die Salonkultur erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Sie erreichte in der Kongresszeit, um 1815, und in der Ringstraßenepoche, um 1900, ihren Höhepunkt. Vertreibung und Zweiter Weltkrieg beendeten die große Zeit der - oft jüdischen - Salonièren und ihrer Habitués (ständige Gäste).
"Ein Salon bildet sich um eine gebildete, geistreiche Frau, die Salonière.Die Besucher treffen einander mehr oder minder regelmäßig, die Geselligkeitsform ist das Gespräch mit dem Ziel, neues Wissen aufzunehmen, weiterzuentwickeln und weiterzugeben. … Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts findet man Salons als Geselligkeitsformen im Bereich zwischen privater und öffentlicher Sphäre, das ist das Emanzipatorische daran." Helga Peham beginnt ihr Buch mit der Definition dieser "besonderen Institution". Die Autorin ist Historikerin, Psychologin, Publizistin und bringt ihre vielseitigen Kompetenzen in das Werk ein. Unter Verwendung historischer Quellen und Einfühlungsvermögen zeichnet sie die Biographien von mehr als einem Dutzend Damen, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten Mittelpunkte schöngeistiger oder künstlerischer Zirkel waren. Leicht lesbar und anregend formuliert, stört doch etwas die Lektüre: Die Autorin nennt die emanzipierten und einflussreichen Frauen - wie kleine Mädchen oder Bediente - überwiegend mit dem Vornamen.
Charlotte v. Greiner (1739-1815), ehemals Maria Theresias Vorleserin und Kammerfrau, führte den ersten bürgerlichen Salon in Wien. 27-jährig heiratete sie den neun Jahre älteren Franz Greiner, der einer kaisertreuen Beamtenfamilie entstammte und zum jüngsten Hofrat der Monarchie, Ritter und einem der engsten Berater der Kaiserin avancierte. Mit einer stattlichen Abfindung versorgt, wechselte die Ehefrau vom höfischen ins bürgerliche Milieu. Bald hatte das Paar fünf Kinder, von denen nur zwei die ersten Jahre überlebten. Greiners Tochter - Karoline Pichler - wurde ebenfalls eine bekannte Salonière. Doch blieb die Mutter zeitlebens die zentrale Figur des Salons. Sie versammelte Gelehrte und Künstler um sich, wie den Botaniker Joseph v. Jacquin, W. A. Mozart und Schriftsteller der Aufklärung. "Ihr geht es um geistig-moralische Bildung der gesamten Persönlichkeit mit dem klaren Ziel, den Geschmack zu verbessern. Dasselbe gilt für die literarischen und musikalischen Zirkel des Hausherrn, das Treiben der Kinder und das Theaterspiel. Im Gegensatz dazu kennzeichnet den Salon der Fanny von Arnstein, einer Wiener Salonière aus Berlin, kulturelle Internationalität und Freude am Repräsentieren", urteilt Helga Peham.
Franziska ("Fanny") v. Arnstein (1758-1818) heiratete mit 17 Jahren den Bankier Nathan Adam Arnsteiner und zog zu ihm nach Wien. Zehn Jahre später übernahm sie die Leitung des Wiener Hauses und führte einen Salon, der die diplomatischen Verhandlungen zur Neuaufteilung Europas beim Wiener Kongress vorbereitete. Bekannt ist sie auch als Mitbegründerin der Gesellschaft der Musikfreunde und weil in ihrem Haus anno 1814 "nach Berliner Sitte" der erste aktenkundige Wiener Christbaum stand.
Das dritte Kapitel ist Karoline Pichler (1769-1843) gewidmet, die den Salon ihrer Mutter weiterführte. Sie heiratete den späteren Regierungssekretär Andreas Pichler, der sie in ihrer schriftstellerischen Arbeit ermutigte. Ihre "Sämtlichen Werke" umfassen 60 Bände. In Pichlers Salon verkehrten prominente Literaten der Romantik, wie die Brüder Schlegel, Madame de Stael, die Geschwister Brentano sowie Franz Grillparzer und Ferdinand Raimund.
Auch Fanny Arnsteins Tochter, Henriette Pereira (1780--1859), gründete nach dem Vorbild ihrer Mutter einen Salon. Wie diese war sie musikalisch und diplomatisch. Franz Grillparzer, die Maler Moritz von Schwind, Friedrich von Amerling, Moritz Michael Daffinger und Josef Kriehuber zählten zu ihren Gästen. Auch in anderen Häusern der jüdischen Hochfinanz traf man damals viele Künstler an. Sie kamen zu Cäcilie Eskeles, der Schwester Fanny Arnsteins und den geadelten Bankiers Rothschild. Als Strohwitwer bzw. Junggeselle fanden sie an der Stelle von Gattinnen prominente Damen, "die ein kultiviertes Ambiente und inspirierende Atmosphäre" schufen. Bei Nathaniel Rothschild spielte Fürstin Pauline Metternich-Sándor diese Rolle, bei seinem Vorgänger Salomon Rothschild war es Josephine v. Wertheimstein.
Josephine v. Wertheimstein (1820-1894) war die Gemahlin des Rothschild'schen Prokuristen. Die Familie zählte zur "Zweiten Gesellschaft Wiens" (Bürgertum und niederer Adel). Zuerst in ihrer Wohnung im Deutschordenshaus in der Innenstadt, dann in der Döblinger Villa, entwickelte sich ihr eigener Salon "zum kulturellen Zentrum Wiens, wo so bekannte Persönlichkeiten wie Ferdinand von Saar, Eduard von Bauernfeld, Hugo von Hofmannsthal, Heinrich Gomperz, Joseph Dessauer und andere ein und aus gingen." Seit 1955 ist die Villa im Besitz der Gemeinde Wien. Das Bezirksmuseum Döbling bewahrt die Erinnerung an die Besitzer und ihre Gäste mit Gedenkräumen. Der Wertheimstein-Park dient der Öffentlichkeit als Erholungsraum.
Rosa v. Gerold (1830-1907) "ist Verlegersgattin und Salonière im Wien der zweiten Hälfte des19. Jahrhunderts. Von Jugend an große Gesellschaften gewöhnt, führt sie später ein vornehmes Haus. Sie empfängt ihre Gäste in der Stadtwohnung der Familie oder in der Villa Lindenhof, ihrem Landhaus im Wiener Vorort Neuwaldegg. Musische Symposien werden ebenso dargeboten wie Lesungen aus Rosas schriftstellerischen Werken. Die männlichen Gäste werden mit Lorbeerkränzen geschmückt, während man den weiblichen Rosen- und Kornblumenkränze um das Haupt flicht." Gartenkultur und Floristik spielten im Neuwaldegger Besitz eine große Rolle. Gäste beschrieben bewundernd die zweimal wöchentlich von der Hausfrau auf dem Tisch des Salons arrangierten Riesenbouquets und den Blumenschmuck im ganzen Haus.
Berta Zuckerkandl (1864-1945) war die Tochter des Zeitungsherausgebers Moriz Szeps, einem Vertrauten von Kronprinz Rudolf. 1886 heiratete sie den späteren ersten Direktor des Anatomischen Instituts, Emil Zuckerkandl. Ihr Haus in der Döblinger Nusswaldgasse entwickelte sich zum Treffpunkt für Wissenschaftler und Künstler, u.a. Julius Wagner-Jauregg, Julius Tandler, Gustav Klimt, Kolo Moser, Otto Wagner, Felix Salten, Max Reinhardt, Arthur Schnitzler, Alexander Girardi … 1938 emigrierte sie nach Paris und floh dann nach Algerien."Berta Zuckerkandl ist in die Geschichte eingegangen als DIE Wiener Salonière", schreibt Helga Peham.
Doch deren Epoche ging zu Ende. Die letzten drei Kapitel sind Alma Mahler-Werfel (1879-1964) und Anna Mahler (1904-1988), Maria Lang (1858-1934), Lina Loos (1882-1950), Gina Kaus (1893-1985) und Grete Wiesenthal (1885-1970) sowie der Pädagogin Eugenie Schwarzwald (1872-1940) gewidmet.