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Gottfried Pirhofer: Maria hilf!#

Bild 'Pirhofer'

Gottfried Pirhofer: Maria hilf! Eine Straße geht ihren Weg. Mit einem Vorwort von Friedrich Achleitner und Fotografien von Johannes Faber. Sonderzahl-Verlag Wien 2013. 224 S., ill., € 19,90

Das Buch erscheint zeitgerecht zur Ankündigung des drohenden Umbaus der Mariahilfer Straße in eine Fußgeherzone ("FUZO"). "… das Stück Straße als Straße zu belassen, wird von der politischen Planung kategorisch ausgeschlossen. … die politische Planung scheut das Erfahrungswissen. Sie will die Menschen besser machen! Und so sei die FUZO unerlässlich." Gottfried Pirhofer weiß, wovon er spricht. Er ist Experte (Stadtplaner und -forscher) und Betroffener (Mieter in einer Seitengasse). "Maria hilf!" ist ein ganz persönliches, literarisches Buch über sein Grätzel, doch auch ein politisches Bekenntnis, das weit über den 6. Wiener Gemeindebezirk hinausgeht und als pars pro toto für die ganze Stadt gilt.

Der Titel klingt wie ein Hilferuf, der wohl ungehört verhallen wird. Die tristen Schwarz-weiß-Fotos verstärken den Eindruck. Schon lange wohnt der Autor in einem Gründerzeithaus in Mariahilf, seit Jahren wird es umgebaut und die Mieter in Mitleidenschaft gezogen. Von Spekulanten betriebene Umbauten dieser Art sind kein Einzelfall. In Wien zeigen sich Veränderungen und Verschleiß in einem neuen Tempo. Die Ästhetik der gründerzeitlichen Bebauung fällt Dachaufbauten und Garagentoren zum Opfer.

Das Vorwort verfasste der Architekturkritiker Friedrich Achleitner: "Gottfried Pirhofer ist mehr Beobachter als Akteur, er hütet sich, in der Rolle als 'Alleswisser' ein Fachbuch zu schreiben, er dringt mit einer elastischen Sprache in viele Eigenschaften, Befindlichkeiten, Erscheinungen der Stadt ein, mehr Fragender als Belehrender, mehr kritischer Beobachter als selbstherrlicher Richter. Seine Beschreibungen sind eigentlich Erzählungen, Ergebnisse von gründlichen Beobachtungen, Forschungen, Spaziergängen, Entdeckungen." Wie Achleitner, der sich nicht nur als Architekt, sondern auch als Literat einen Namen gemacht hat, schreibt auch Pirhofer grenzüberschreitend. Seine Eindrücke als Stadtspaziergänger wechseln mit Assoziationen und Zitaten so unterschiedlicher Autoren wie Alfred Polgar, Friederike Mayröcker, Friedrich Achleitner oder Adolf Krischanitz.

Subjektiv beginnt das erste Kapitel, mit den Schikanen, die Altmieter in Altbauten zu ertragen haben, wenn sie diese, dem Immobilienentwickler zum Trotz, nicht verlassen wollen. An Schuttcontainern und Gerüsten vorbei, bahnt sich der Stadtplaner und Stadtforscher den Weg in die Mariahilfer Straße, der man nicht ansieht, wie alt sie als Weg ist und dass sie eigentlich einen Höhenrücken markiert. Damit verbunden sind "Spuren der Vergangenheit". Der Autor verfolgt sie weit zurück, zu den Kulturen der Illyrer, Römer und Kelten. Er erzählt vom Bettlerkönig und vom Schustermichel und landet vollends im Reich der Phantasie, wenn die Marienverehrung auf "Ambeth, Wilbeth und Borbeth" zurückgeführt werden soll. Die Wallfahrtskirche, die dem Bezirk den Namen gab, liegt am Weg. Die ersten Kaufhäuser, Herzmansky und Gerngroß erfahren ihre Würdigung, wie auch das Jugendstilbauwerk der Fillgraderstiege. Der Weg führt weiter in die Gegenwart, und was für das deutsche Frankfurt gesagt wird, kann auch für Wien gelten: "Die moderne Stadt bringt kaum noch bemerkenswerte ästhetische Reize hervor, die von den Menschen ein längeres Verweilen fordern." Hingegen betont der Autor "Die Liebe zur Gründerzeit". Wieder zitiert er Achleitner und meint, nebst vielen Überlegungen: "Für die Erhaltung Wiens als Stadt des Historismus wäre eine neue Betrachtung nötig. … Wiens Schönheit ist komplex und fragil. " Danach illustrieren Bilder der Raumerkundung von Johannes Faber die Diskrepanz zwischen benachbarten historistischen Wohn- und Geschäftshäuern und modernen Einbauten. Vor einem Vierteljahrhundert hätte eine Umgestaltung im Zuge des U-Bahn-Baus urbane Impulse bringen, doch: "Die 'Neugründung' (André Corboz) der Mariahilfer Straße fand nicht statt. Im wesentlich wurden die rotweißen Straßenbahnen abgeschafft, die Gehsteige entlang der Schaufenster verbreitert und weit überdimensionierte, grotesk hohe und massive, blaue Maste gepflanzt, hinter denen die Gründerzeithäuser wie Kulissen wirken."

Der Autor geht, sieht, staunt, grübelt und notiert. Ihm begegnen Punker, Konsumenten mit Einkaufsäcken und Menschen, die in der "Gruft" unter der Mariahilfer Kirche Zuflucht finden. Von der Mariahilfer Straße ist es nicht weit zum Ring, der nicht rund, sondern geknickt ist und auch schon "Unbehagen angesichts neuer Implantate" auslöst. Wie ein Kontrastprogramm dazu wirkt ein Ausflug auf die äußere Mariahilfer Straße: Alles durcheinander, ein Mischmasch, aber doch nicht ohne einen gewissen Charme. Wenn es in seinem Wohnhaus umbaubedingt gar nicht mehr auszuhalten ist, flüchtet der Autor in die "Wasserstadt", in sein Gärtchen beim Donaupark. Für die Mariahilfer Straße bleibt der "Fußgängerzonenblues". " 'Mensch ärgere dich nicht' war das Spiel, mit dem man Kinder in eine harte Welt einübte … Das Spiel um die Mariahilfer Straße scheint ähnlich zu funktionieren. Es gelingt mir nicht, mich nicht zu ärgern …" Maria hilf!