Reinhard Pohanka: Tatzelwurm und Donauweibchen#
Reinhard Pohanka: Tatzelwurm und Donauweibchen. Österreichs Naturgeister und Sagengestalten. Amalthea Signum-Verlag Wien 2013. 240 S., zahlr. Abb., € 24,95
Tatzelwurm und Donauweibchen, Riesen und Zwerge, Feen und Berggeister - man kennt sie gut aus Österreichs Sagen. Aber bei näherer Betrachtung tauchen doch Fragen auf: Wie kennt man Zwerge, Wichtel und Kobolde auseinander ? Was ist anders bei Drachen oder Lindwürmern ? Was unterscheidet Elfen und Feen ?
Reinhard Pohanka, Kurator am Wien Museum, kennt die Differenzen und beschreibt die Charakteristika der Naturgeister genau: "Allen Zwergen gemeinsam ist, dass sie in einem unterirdischen Reich in Stammes- oder Familienverbänden leben und arbeiten. Sie wohnen unter den Bergen oder in Felshöhlen und verkörpern geheimnisvolle Naturkräfte im Inneren der Erde. … Wichtel, auch Wichte oder Wichtelmännchen genannt,sind kleine Erdgeister, die weitschichtig mit den Zwergen verwandt sind. … Man kann sie leicht erzürnen und sie freuen sich, wenn sie jemandem eine Bosheit antun können. … Der Kobold ist ein Hausgeist, der das Haus schützt, aber seine Bewohner neckt, allerdings ohne Schaden anzurichten. Er sorgt sich um das Gedeihen des Hofes und seiner Bewohner, und wenn früher ein Bauer schnell zu Reichtum kam, so sagte man von ihm, dass er wohl einen Kobold am Hofe hätte."
Hinweise auf Drachen und Lindwürmer finden sich auf mittelalterlichen Landkarten. "Hic sunt dragones" - hier gibt es Drachen - las man bei unerforschten Gebieten. In der frühen Neuzeit erstellten Forscher Systematiken, wie "Flugdrachen haben einen schlangenähnlichen Leib mit vier Füßen und Flügeln, die denen der Fledermaus gleichen. Dagegen ist der Lindwurm als Laufdrache mit nur einem Beinpaar ausgestattet und trägt keine Flügel."
Die Bezeichnung Elfen findet sich erst im 18. Jahrhundert, noch später, nach den 1826 von den Brüdern Grimm herausgegebenen "Irischen Elfenmärchen" kommen sie in österreichischen Sagen vor. Elfen zählt der Autor, wie Dryaden, Sylphen und die Windsbraut, zu den Luftgeistern. Das Feenreich bevölkert er hingegen mit Vilen, Saligen, Frau Holle und Perchtengestalten wie Pudelmutter oder Luzelfrau. Interessant sind stets die Verbindungen zu Sagen, die das Aussehen der jenseitigen Gestalten beschreiben und Brauchrelikten, wie der Pudelmutter. Die "weitschichtige Verwandte der Frau Percht" geht in der Oststeiermark von Haus zu Haus, reisst die Tür auf und wirft wortlos Obst und Süßigkeiten auf den Fußboden. "Dieser Brauch dürfte aus dem italienischen Raum stammen, in dem in der Nacht vom 5. auf den 6. Jänner die Befana, eine weibliche Weihnachtshexe, ihre Gaben an die Kinder verteilt". Mit diesem Ansatz - Besuch der Befana am Vorabend des ähnlich klingenden Festes Epiphanie - ließe sich auch die Percht erklären, ohne Rückgriff auf vermeintlich nordische Göttinnen, sondern als Gestalt der katholisch inspirierten sozialen Kontrolle. Die Fleißigen werden belohnt, den anderen drastische Strafen angedroht. Bis heute bekannte Arbeitsverbote (In den Rauhnächten darf keine Wäsche hängen) verweisen auf die kirchlich gebotene Feiertagsruhe.
Ein Blick in das umfangreiche Literaturverzeichnis zeigt, dass Bücher aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert zu Rate gezogen wurden. Vor allem erstere hätte der vielseitig ausgebildete Autor - Studien der Medizin, Psychologie, Ethnologie, Klassischen Archäologie und Geschichte - kritischer kommentieren können. Bei vielen Zitaten wie "Den Ursprung dieser Gestalt hat man in den Göttinnen der Jungsteinzeit gesehen, später führte man sie auf die germanische Göttin Nerthus zurück" bei Frau Holle oder im Zusammenhang mit dem Krampus: "Eine andere Auslegung glaubt im Einkehrbrauch des hl. Nikolaus die christliche Einvernahme eines germanischen Wotankultes zu sehen." legen Kontinuitätstheorien nahe, die wissenschaftlich längst überholt sind.
Ein so umfassendes, von einem Experten verfasstes Buch hätte die Chance geboten, sich von falschen Meinungen deutlich zu distanzieren. Bedenklich auch, dass ausgerechnet die Wilde Jagd vom Untersberg - mit ihren ideologischen Interpretationen - ausführlich beschrieben, deren Erfindung aber nicht erwähnt wird. Die Gestaltung des Umzugs geht auf Kuno Brandauer (1895-1980), zurück, der während und nach der NS-Zeit die Salzburger Heimatpflege leitete.
Dabei finden sich im Vorwort zeitgemäße Deutungsansätze für die Vorstellungen von den dunklen Wesen. Der Mensch brauchte die Dämonen: "Sie gaben ihm jene Erklärungen, welche die Wissenschaft und der Glaube der früheren Zeiten nicht liefern konnten. Sie erklären die Welt und ihre Phänomene und lassen den Menschen nicht schutzlos diesen gegenüber zurück. Denn kann sich der Mensch einen Ausdruck der Natur erklären, so kann er auch ein Mittel dagegen finden." Wissenschaft und Technik haben die Elementargeister an den Rand gedrängt, sie "haben aber in unserem Unterbewusstsein noch immer einen Platz, wie jeder weiß, der einmal allein durch einen dunklen Wald bei Wind und Sturm oder Nebel gewandert ist."