Martin Sigmund: Komponieren für Events#
Martin Sigmund: Komponieren für Events. Zur Rolle der Künste in der Eventkultur
Transcript Verlag Bielefeld 2013, Reihe Kultur- und Medientheorie. 298 S., € 32,80
Seit Mitte der 1970er Jahre hat der Begriff Event für (eine bestimmte Form von) Veranstaltungen den deutschen Sprachraum erobert. Er geht auf das lateinische Wort Eventus zurück, das so unterschiedliche Bedeutungen wie Begebenheit, Erscheinung, Zwischenfall, Zufall, Schicksal oder Los hat. Im Englischen heißt Event (seit dem 16. Jahrhundert) so viel wie Ereignis, Vorfall oder Ergebnis. Anfang der 1990er Jahre setzte sich Event als Marketing-Werkzeug durch. Eventmarketing zeichnet sich durch vier Merkmale aus: Einzigartigkeit (nicht reproduzierbar), Episodenhaftigkeit (dramaturgischer Spannungsbogen), Gemeinschaftlichkeit und Beteiligung der Besucher. „Aus der Sicht des Marketing sind die intensiven Erlebnisse, die durch Events hervorgerufen werden können, besonders geeignet, Produkte mit einer Aura … aufzuladen. … Im Zentrum steht dabei das Erlebnis, das mit dem Produkt verbunden wird und nicht mehr das materielle Produkt.“
Im Bereich der Kunst stößt die allgegenwärtige Eventisierung auf Kritik. Wie sehr die Verbreitung der Eventkultur als eine die Kunst zerstörerische Macht gesehen wird, zeigt etwa der Titel einer Veranstaltung: „Event oder Tiefgang ?“ (Salzburg, 2006). Event wurde zum Synonym für unerwünschte Entwicklungen. Andere Veranstalter betonten, dass es sich bei ihren Angeboten eben nicht um einen Event handle.
Der Musikpädagoge und Kultursoziologe Martin Sigmund lehrt u. a. an der Wiener Musikuniversität und beschäftigt sich mit der strategischen Bildungsplanung der Republik Österreich. Er sieht Event als Gegenstand der Wissenschaft und untersucht im vorliegenden – trotz des hohen Anspruchs angenehm lesbaren – Werk die Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Eventkultur.
Zunächst referiert er das viel beachtete Buch des deutschen Soziologen Gerhard Schulze über die Erlebnisgesellschaft und vergleicht es mit ähnlichen Studien. Schulze hatte von einem Erlebnismarkt mit Erlebnisangebot und Erlebnisnachfrage und einem innenorientierten Konsum gesprochen: Produkte (z.B. Autos, Motorräder) würden tendenziell nicht mehr wegen ihrer Funktionalität, sondern wegen der damit verbundenen Erlebnisse gekauft. Er unterschied fünf Milieus mit ähnlichen Interessen und Vorlieben, die nicht mehr durch die soziale Struktur vorherbestimmt, sondern von den Einzelnen ausgewählt werden.
Im Abschnitt „Event in der Kunst“ zeigt der Autor, dass sich Events nicht grundsätzlich gegen die Kunst richten, „sondern dass diese Entwicklung vielmehr gerade in den ambitioniertesten Strömungen der Kunst des 20. Jahrhunderts angelegt war.“ Als Beispiele führt er u. a. John Cages „Untitled Event“ (1952), Yves Kleins „Le Vide“ (1958), Jean Tinguelys „Maschinenspiele“ (1959) oder das Orgien-Mysterien-Theater von Hermann Nitsch (1969) an.
Das folgende Kapitel behandelt „Zeitgenössische Musik im Kontext“. Darin geht es um die Darstellung des kulturellen, ökonomischen und sozialen Kontexts, in dem Werke zeitgenössischer Musik heute üblicherweise produziert und aufgeführt werden. Es geht um das Publikum und die Frage, ob diese Musik (auch musikalische Moderne, Musikavantgarde, Neue Musik, moderne E-Musik, heutige Avantgarde oder moderne Musik genannt) ein integratives Element eines bestimmten Lebensstils ist. Dabei greift Sigmund wieder auf Schulzes Milieu-Modell zurück und schließt, dass die Präferenz für zeitgenössische Musik in der Regel mit höherem Alter und höherem Bildungsstatus verbunden ist.
Dann untersucht der Autor Kompositionsaufträge für Events. Von den fünf Beispielen stammen vier aus Österreich: Zwei Events („50 Jahre OÖ Erdgas“ und „Grabenfesttage der ÖBV“) wurden von großen Unternehmen veranstaltet. Während der Oberösterreichische Energieversorger ein Jubiläum feierte, spielte die Beamtenversicherung die Rolle des Sponsors eines 1991-2008 jährlichen Festivals zeitgenössischer Musik. „Kyral-Klang und Eppler-Epen“ wurde von zwei Wiener Spenglereibetrieben als Marketingveranstaltung einmalig abgehalten. „Allied Musical Forces Erlauf“ war ein politischer Event anlässlich 60 Jahre Kriegsende (2005). besonders bemerkenswert – und anfangs nicht einfach – war die Einbindung der Ortsbevölkerung und ansässiger Vereine. Schließlich arbeiteten so unterschiedliche Gruppen wie Trachtenblaskapelle, Unterhaltungstrio, Schule und Kindergarten in einem partizipativen Projekt mit zeitgenössischer Musik zusammen. Eine ähnliche Zielsetzung verfolgte „Ouvertüre“, ein Event zur Eröffnung der Philharmonie Luxemburg, dessen Generaldirektor der Österreicher Matthias Naske (zuvor Leiter der Jeunesses Musicales) Programm und Auftragskomposition auswählte.
Es ist aufschlussreich, über Entstehung und Ablauf sowie die Interviews mit den Komponisten zu lesen. Da sich das Buch nicht nur durch hohen Informationswert auszeichnet, sondern auch durch konsequente Gliederung und aufgelockertes Layout, kann man als Außenseiter großen Gewinn aus der Studie ziehen, die Blicke hinter die Kulissen von Kultur und Event erlaubt. Eine integrative Analyse und die Zusammenfassung der Ergebnisse bilden den Abschluss. Nach Abwägung so vieler Faktoren wirkt das Resumée wenig überraschend: „Der angenommene – und im Kunstdiskurs immer wieder zitierte – drastische Gegensatz zwischen Eventkultur und Kunst wird durch die untersuchten Fallbeispiele nicht belegt … bietet der Eventkontext gerade für innovative und avantgardistische Kompositionen vielfältige neue Möglichkeiten.“ Neue Publikumsgruppen werden erschlossen: „Dieser Aspekt hat in Anbetracht der marginalen und potentiell bedrohten Rolle von zeitgenössischer Musik im gesamten Musikleben großes Gewicht.“