Wladimir Aichelburg: Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este 1863-1914 #
Wladimir Aichelburg: Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este 1863-1914. Notizen zu einem ungewöhnlichen Tagebuch eines außergewöhnlichen Lebens. Verlag Ferdinand Berger & Söhne, Horn. 3 Bände (Band 1: 1.068 Seiten, Band 2: 1.252 Seiten, Band 3: 996 Seiten). € 150,-
2014 ist das Gedenkjahr für den Beginn des Ersten Weltkriegs. Vorausgegangen war ihm der politische Mord am österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand (1863-1914) und seiner Gemahlin Herzogin Sophie von Hohenberg (1868-1914) in Sarajevo.
Der Historiker Prof. Dr. Wladimir Aichelburg, Jahrgang 1945, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die entmythologisierte Persönlichkeit Franz Ferdinands zu zeigen. Der Autor zahlreicher Publikationen war Mitbegründer und jahrelanger wissenschaftlicher Leiter des Erzherzog Franz Ferdinand Museums in Artstetten. Er stellt Urteile, Vorurteile und Widersprüchlichkeiten des für seinen glühenden Patriotismus bekannten Habsburgers gegenüber.
Der Thronfolger wird von den einen als Kriegstreiber, von den anderen als friedliebend dargestellt. Als Militarist bezeichnet, ging er doch am liebsten in Zivil, ohne sichtbare Orden. Er war mit Leib und Seele Kavallerieoffizier und auch an der Marine sehr interessiert. Neben der Einführung der modernsten Entwicklungen der Funktelegraphie, der Schlachtschiffe und Unterseeboote wollte er das Tegetthoff-Flaggschiff von 1866 als Museumsschiff restauriert haben. Er war den Errungenschaften der Technik aufgeschlossen, fuhr die ersten Daimler, Porsche und Mercedes, schätzte Telefon, elektrisches Licht, Zentralheizung, Aufzüge und Badezimmer. Als Sammler kaufte er neben der allgemein anerkannten aristokratischen und kirchlichen auch lokale, anonyme Kunst, die er in einem umfassenden Volkskundemuseum der gesamten Monarchie vereint wissen wollte.
Seine dekorative Konopischter Bibliothek bestand aus militärischer und jagdlicher Fachliteratur. Um auf dem Laufenden zu sein, dotierte er privat die Bibliotheksankäufe der Militärkanzlei. Bekannt ist seine Jagdleidenschaft, die nicht einmal weiße Tiere schonte, die traditionell als unantastbar galten. Franz Ferdinands Reviere waren voll von Wild, das er hegte und züchtete. Die Abschusslisten dokumentieren neben der Jagdsucht eine rastlose Reisefreudigkeit zu Großwildjagden. 1892/93 unternahm er - aus gesundheitlichen Gründen - eine Weltreise. Seine Erfahrungen beschrieb er in einem Buch, das (jetzige) Weltmuseum erhielt von der Expedition 14.000 Objekte. Dem Tiergarten Schönbrunn schenkte er exotische Tiere.
Franz Ferdinand liebte seine Familie und Kinder. Oft war er Tauf- und Firmpate. Die morganatische Trauung des Thronfolgers, das Beharren des Kaisers Franz Joseph auf dem traditionellen Familienstatut spaltete die Gesellschaft und trug zum Zerfall der Monarchie bei. Das Ehepaar hatte eine Tochter und zwei Söhne, ein weiterer wurde tot geboren. Gegenwärtig leben unter verschiedenen Familiennamen knapp hundert Nachkommen Franz Ferdinands und Sophie Hohenbergs.
Der Thronfolger kritisierte die Politik seines Onkel Kaiser Franz Josef, doch er respektierte ihn. Obwohl er in die Politik selbst nie direkt eingreifen konnte, war er oft besser als der Kaiser informiert und zur Regierungsübernahme, für die er bereits fähige Mitarbeiter aussuchte, bereit. Sein Wohnsitz als Kaiser wäre das Belvedere geblieben; er hätte sich nicht nur zum König von Ungarn, sondern sicher auch zum König von Böhmen krönen lassen.
Auf den offiziellen Lichtbildern wirkt Franz Ferdinand nicht fotogen. Nur einige private Fotos, „Momentaufnahmen“, und Filme zeigen einen lebhaften Thronfolger. Franz Ferdinand hielt nichts von der durch Emotionen und Politik beeinflussten Tagespresse. Das Missachten der öffentlichen Meinung war einer seiner größten Fehler. Wladimir Aichelburg fasst zusammen: "Die innen- und außenpolitischen Streitigkeiten des 19. Jahrhunderts nahmen nach 1900 stetig zu, ebenso die Aggressivität Russlands, das sich nach dem verlorenen Krieg gegen Japan mit seinen Konspirationen als Schutzmacht aller europäischer Slawen betrachtend, gegen den Westen wandte. Durch den von Politikern und Journalisten getragenen nationalen Radikalismus wurde die öffentliche Stimmung bis zur Katastrophe 1914, von Jahr zu Jahr immer depressiver. Die große Zukunftshoffnung der Wissenden war Franz Ferdinand. Der Thronfolger brachte moderne, grundlegende Reformideen; auch wenn alle seine politischen Pläne nicht leicht durchsetzbar gewesen wären."
Wladimir Aichelburg zeigt einen unbekannten Thronfolger. Das dreibändige Werk entstand während der vergangenen 33 Jahre. Es enthält viele noch nie publizierte Aspekte, bisher unzugängliche und nicht ausgewertete Privatkorrespondenz, Tagebücher, Zeugnisse der Zeitgenossen und von der Wissenschaft vernachlässigte historische Quellen Franz Ferdinands. Es behandelt die Zeit zwischen 1858, dem Todesjahr der ersten Frau seines Vaters Erzherzog Carl Ludwig und 1990, dem Todesjahr der Tochter des Erzherzogs, Sophie.